Schockanrufe, Enkeltrick oder auf der Straße angerempelt werden: Die Sorge bei vielen Seniorinnen und Senioren ist groß, zu einem leichten Opfer zu werden. Sie befürchten, dass das Alter und schwindende Kräfte ausgenutzt werden oder es einfach an Rücksicht für Ältere fehlt. Im Kreis Esslingen soll älteren Menschen mit einem Sicherheitstraining das Gefühl von Selbstsicherheit wieder zurückgegeben werden.
Sicherheitstraining: Lautes Schreien gegen Herzklopfen
"Ich wohne oben am Berg", erzählt Marianne Fischer aus Reichenbach an der Fils (Kreis Esslingen). "Und wenn ich abends nach dem Turnen da rauf muss, da habe ich manchmal Herzklopfen.“ Sie will im Senioren-Sicherheitstraining lernen, wieder ohne Angst auf ihren Berg zu gehen. Im Kurs stehen sich Täter und Opfer mit abwehrender Handhaltung und den Beinen im Ausfallschritt gegenüber und schreien sich lauthals an. "Halt! Keinen Schritt weiter!", rufen sie. Auch die Täter werden dabei von Seniorinnen und Senioren gespielt.
Das zunehmende Alter bedeutet für viele, dass sie weniger Mut zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben. Trainer Rolf Kersten ist sicher, dass ein Selbstverteidigungskurs die Selbstwahrnehmung der Teilnehmer verändern kann. Wichtig sei es den Seniorinnen und Senioren zu vermitteln, dass sie im Ernstfall tatsächlich zuschlagen und treten dürfen. Außerdem müssen sie in Gefahrensituationen alle Höflichkeit vergessen und laut werden.
Organisiert werden die Kurse an mehreren Standorten im Kreis Esslingen vom Kreisseniorenrat in Kooperation mit der Altenhilfefachberatung. Das Selbstsicherheitstraining ist so erfolgreich, dass inzwischen andere Landkreise anfragen, ob sie das Programm übernehmen können. Man bemühe sich seit Jahren, mehr Angebote für ältere Menschen zu schaffen, die Sicherheit geben, Austausch ermöglichen und es den Älteren erleichtern, weiter Teil der Gesellschaft zu sein, sagt Karl Praxl, der Vorsitzende des Kreisseniorenrats Esslingen. Sich gewappnet zu fühlen sei dabei ein entscheidender Faktor, so Praxl weiter, damit sich ältere Menschen auch unterwegs wohlfühlen und nicht Gefahr laufen, in eine Opfer-Rolle zu rutschen.
Mit Selbstverteidigung zu einer besseren Wahrnehmung
Ziel des Kurses ist es, selbstsicherer und gelassener aufzutreten und die Körpersprache besser zu kontrollieren. Dabei wechseln sich kurze Theorie-Einheiten und praktische Übungen ab. Auch unter Stress sollen die Kursteilnehmer, die zwischen 60 und über 80 Jahre alt sind, laute und bestimmende Worte finden. Die Lektion: Spontane Reaktionen in Angstsituationen sind nicht immer die richtigen. Die Angst kann vermieden werden.
Kurs hilft auch beim Umgang mit Enkeltrick und falschen Polizisten
Selbstsicheres Auftreten hilft den Seniorinnen und Senioren nicht nur draußen auf der Straße. Thema im Kurs ist auch das Verhalten bei betrügerischen Telefonkontakten oder an der Haustür, zum Bespiel bei Enkeltricks oder falsche Polizisten. Die Kursteilnehmenden sollen neue Verhaltensweisen und gedankliche Haltungen spielerisch miteinander ausprobieren.
Am Ende des Kurses ziehen die Teilnehmer eine positive Bilanz - viele sind überrascht, was in ihnen steckt. Zum Beispiel die 77-jährige Margit Bieg: "Ich hoffe sehr, mir passiert nichts. Aber sollte doch je etwas sein, weiß ich jetzt: ich muss mich nur trauen - ich kann das!"