Krise in der Autobranche

Sorge um Automobilstandort: Wie sicher sind Arbeitsplätze und Kommunen in BW?

Stand
Autor/in
Natalie Meyer
Natalie Meyer ist Teil des Teams von "Zur Sache! Baden-Württemberg".

Haushaltslöcher, Kündigungen oder der Verlust des Ausbildungsplatzes: Menschen und Kommunen bekommen zu spüren, was eine Autokrise für Baden-Württemberg bedeutet.

Es war ein Schock für Angelika Schilling, als sie im September eine Kündigung bekam. Und zwar, bevor sie ihre Ausbildung überhaupt antreten konnte. Eigentlich sollte sie drei Tage später beim Autozulieferer Iwis in Schwaigern (Landkreis Heilbronn) eine Ausbildung zur Industriemechanikerin beginnen. "Ich hab mich veräppelt gefühlt, ich war richtig sauer, wütend. Ich stand erstmal vor dem Nichts." Und sie war nicht allein mit diesem Gefühl.

Auszubildende Angelika Schilling in Roboter-Werkstatt
Angelika Schilling arbeitet jetzt an Robotern anstatt an Batteriesystemen für E-Autos.

Nicht weniger als "Wir bewegen die Welt" - das steht auf dem Dach der Firma Iwis in Schwaigern. Die Welt von Angelika Schilling und neun weiteren Azubis brach zusammen. Iwis begründete die Entscheidung mit der schlechten Auftragslage. Man könne keine langfristige Übernahme nach der Ausbildung garantieren. Am gleichen Tag noch protestierten die gekündigten Azubis gemeinsam mit Kollegen von Iwis.

Ich war richtig sauer und wütend. Ich stand erstmal vor dem Nichts.

Die 19-jährige Angelika Schilling hatte sich mit dem Abitur an einem technischen Gymnasium auf die Branche vorbereitet, freute sich auf Feilen, Fräsen und Bohren. Dennoch hatte sie Glück - gleich zum nächsten Monatsbeginn konnte Schilling die geplante Ausbildung bei einem anderen Arbeitgeber antreten. Nun ist sie bei einem Roboterhersteller untergekommen. "Ich bin froh, so schnell eine zukunftsträchtige Firma gefunden zu haben in meinem Wunschberuf. Es macht richtig Spaß." Mit der Autozulieferindustrie will sie aber vorerst nichts mehr zu tun haben.

Zukunftsangst bei Autozulieferer Recaro

Nicht jeder Beschäftigte in der Automobilindustrie hat so viel Glück wie Angelika Schilling. Iwis ist kein Einzelbeispiel: Automobilunternehmen und Zulieferer in Baden-Württemberg verzeichnen Umsatzrückgänge. Auch Städte und Gemeinden bekommen das zu spüren. Bei vielen Menschen wächst die Sorge. Um ihre Zukunft und ihren Arbeitsplatz bangen aktuell rund 200 Mitarbeiter des einst so renommierten Autositzherstellers Recaro. Im Juli meldete Recaro Automotive in Kirchheim unter Teck (Landkreis Esslingen) Insolvenz an, die Produktion vor Ort wird zum Ende des Jahres eingestellt. Als internationales Unternehmen wird Recaro zwar weiterexistieren. Vor Ort soll ein Vertriebs- und Technologiezentrum erhalten bleiben. Der Insolvenzverwalter geht aber davon aus, dass die Arbeitsplätze nicht gerettet werden können. Recaro möchte sich dazu nicht äußern - es würden noch Gespräche mit Investoren laufen. Dabei hatten Autositze von Recaro nicht nur in Baden-Württemberg, sondern in ganz Europa einen guten Ruf.

Unverständnis bei Beschäftigten

Von außen sieht das Gebäude mit Glaselementen noch gut aus - auf dem Gelände finden sich Recaro-Stühle in Müllcontainern, auf den Fluren liegen braune Blätter der Zimmerpflanzen. Die Uhr in der Kantine steht still, als sich die freigestellten Mitarbeiter zu einer Info-Versammlung der IG-Metall hier treffen. Viele sind ratlos. Auch Betriebsratsvorsitzender Frank Bokowitz: "Wir haben ein Produkt, das muss in jedes Fahrzeug rein. Und wir schaffen es nicht, 200 Leute zu beschäftigen. Das ist traurig." Seit 50 Jahren arbeitet er hier. Wer schuld sei - die Krise der Autoindustrie oder ein Vermarktungsproblem - da ist sich die Belegschaft nicht sicher.

Betriebsrat berät freigestellte Mitarbeiter
Betriebsratsvorsitzender Frank Bokowits berät freigestellte Mitarbeiter, wie es jetzt weitergehen kann.

Nicht jeder will hier namentlich genannt werden, weil sie schon auf Jobsuche sind. Eine junge Mitarbeiterin arbeitet erst seit einem Jahr bei Recaro, zweifelt an der Autoindustrie. Sie sagt: "Der Jobmarkt in der Branche ist sehr, sehr schwer. Ich war auch davor schon in einem Unternehmen, bis es in die Insolvenz gegangen ist. Und da fragt man sich schon, ob man sich jetzt ganz umorientieren muss. Es ist beängstigend." Andere geben zu: Es seien auch Tränen geflossen. Trotz aller Wut tragen bei der Versammlung viele die T-Shirts mit dem Schriftzug ihrer Firma, identifizieren sich nach wie vor mit der Marke.

Gemeinde Dettingen sorgt sich um Finanzen

Aber die Krise der Autobranche trifft nicht nur die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Auch Gemeinden, Städte und Kreise im Land haben jahrelang von den rund 200 Autozulieferern profitiert - zum Beispiel, wenn es um Einnahmen durch die Gewerbesteuer geht. Was es für eine Gemeinde bedeutet, wenn diese Einnahmen fehlen, zeigt sich am Beispiel Dettingen an der Erms (Landkreis Reutlingen). "Wir waren immer top und jetzt sind wir ganz unten vom Pro-Kopf-Steueraufkommen her", erzählt Michael Hillert (parteilos). Seit über zwanzig Jahren ist er Bürgermeister von Dettingen.

Grund für die finanziellen Sorgen: Auch hier unter anderem die Automobilindustrie. Der Umsatz der hier ansässigen Zulieferer wie etwa ElringKlinger oder Voestalpine ist etwa leicht zurückgegangen. Inzwischen hat die Kasse der Gemeinde mit circa 10.000 Einwohnern ein Loch von rund fünf Millionen Euro. Nun seien sie auf kommunale Ausgleichszahlungen angewiesen - nachdem man sich jahrelang auf die Einnahmen aus der Wirtschaft verlassen konnte. Immer ging es Dettingen gut, seit über 20 Jahren. Jetzt kämpft die Gemeinde mit Schulden und bangt um die rund 3.000 Arbeitsplätze, die an der Automobilindustrie hier hängen.

Unser gemeinsames Ziel war immer Wohlstand. Ich fürchte, dass der Wohlstand der nächsten Generation schon weg ist. Das tut weh.

Der Schmerz reicht von Dettingen bis nach Stuttgart. Eine aktuelle Studie des Stuttgarter IMU-Instituts und des Instituts für Fahrzeugkonzepte des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik hat ergeben: In den Regionen Neckar-Alb und Stuttgart werden bis 2030 20.000 Arbeitsplätze wegfallen, sollte sich die aktuelle Entwicklung in der Branche fortsetzen. Die beiden Regionen erwirtschaften aktuell zwei Drittel des gesamten Kfz-Umsatzes in Baden-Württemberg.

Stuttgarter Oberbürgermeister Nopper plant Autogipfel

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) will nun gegensteuern - mit einem eigenen Automobilgipfel. "Wir müssen die Akteure in Berlin und gerade auch in Brüssel sensibilisieren für die Probleme." Dabei gehe es unter anderem um weniger Strafzahlungen, keine Zölle und eine Überprüfung des Verbrenner-Aus, so Nopper. In wenigen Regionen sei die Abhängigkeit von der Automobilbranche so stark ausgeprägt wie in der Großregion Stuttgart.

Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU)
Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) plant einen Autogipfel, um seine Stadt zukunftsfähig zu machen.

Wann der Gipfel stattfinden wird, sei noch unklar. Teilnehmen sollen nicht nur Autohersteller und Zulieferer, sondern auch Verbände, Gewerkschaften und betroffene Landkreise und Kommunen. Klar ist: Egal ob Gemeinde, Zulieferer, Beschäftigte oder Azubis: Die Automobilbranche in Baden-Württemberg ist ins Wanken geraten.

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