Müde aussehende Schüler im Unterricht. In Plochingen wurde Gleitzeit in der Schule getestet. Die Schule würde da Projekt gern fortsetzen.

Interview mit Lehrer Till Richter

Gleitzeit an Schule in Plochingen soll weitergehen - allerdings mit Unterbrechung

Stand
Interview mit
Diana Hörger

Ausschlafen oder früh durchstarten - das hat die Klasse 7a von Till Richter getestet. Jetzt liegt das Ergebnis vor. Der Lehrer erklärt, was gut lief und wie es weitergehen soll.

Nach sechs Wochen Gleitzeit-Test am Gymnasium in Plochingen (Kreis Esslingen) wollen die beteiligten Schülerinnen und Schüler sowie ihr Lehrer Till Richter den Test weiterführen und wissenschaftlich begleiten lassen. Wenn das Regierungspräsidium und der Rest der Schule zustimmen, sollen im kommenden Schuljahr noch mehr Schülerinnen und Schüler entscheiden können, ob sie lieber früher oder später in den Schultag starten.

Wie sich Deutschlehrer Till Richter die wissenschaftliche Fortführung vorstellen kann, hat er dem SWR im Interview erklärt. Dabei geht es unter anderem darum, was ihn bei dem Test überrascht und begeistert hat, warum manche Kollegen kein Fan von Gleitzeit sind und warum nach den Sommerferien erst einmal keine Gleitzeit stattfinden wird.

SWR Aktuell: Herr Richter, wenn es nach Ihnen geht und nach den Schülerinnen und Schülern der Projektgruppe, dann läuft der Test nächstes Jahr weiter und wird wissenschaftlich begleitet. Wer muss denn davon noch überzeugt werden?

Till Richter: Also das Schulleitungsteam ist der Überzeugung, dass es sich lohnen würde, das mal wirklich zu testen. Wir müssen jetzt die Schulaufsichtsbehörde, das Regierungspräsidium, um Erlaubnis bitten. Denn wir weichen ja von bestehenden Regelungen ab. Wir müssen auch noch ins Gespräch gehen mit anderen Gremien an der Schule, mit der Gesamtlehrerkonferenz, mit der Schulkonferenz, mit externen Partnern. Der Schulträger wird bei einer Schule, die 1.300 Schüler hat, mitreden wollen. Busunternehmen müssen angesprochen werden. Da ist noch viel zu klären. Und wir wünschen uns die Fortführung des Tests. Aber ob alle mitspielen, ist noch lange nicht gesagt.

Das ist auf keinen Fall schon im ersten Halbjahr durchzuführen.

Wir wünschen uns auch unbedingt eine wissenschaftliche Begleitung, die uns dabei hilft, die Testphase, wenn sie denn kommt, ordentlich zu konzipieren. So dass wir verschiedene Klassenstufen testen, Vergleichsklassen haben, die eben nicht in diesem Gleitzeitmodell sind, um dann zu sagen, was hat sich denn wirklich geändert? Und das geht weit über unsere Kenntnisse als Schule heraus, wie wir das überhaupt empirisch messen können, was wir da rausbekommen wollen. Wir müssen noch so viele organisatorische Dinge klären. Das ist auf keinen Fall schon im ersten Halbjahr durchzuführen.

SWR Aktuell: Sie haben ja gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern wertvolle Erfahrungen gemacht in den sechs Projektwochen der Gleitzeit. Welche Erfahrung hat Sie am meisten überrascht?

Richter: Das Ganze ging ja aus vom Thema Ausschlafen, Müdigkeit in der Schule. Das hat auch eine Rolle gespielt. Aber viel spannender war es, was sich dann pädagogisch oder im Verhältnis von mir zu den Schülerinnen und Schülern geändert hat. Ich war plötzlich in diesen Gleitzeit-Stunden Begleiter und Gesprächspartner und nicht mehr derjenige, der vorne steht und alle Schülerinnen und Schüler in der Hand haben muss. Sondern ich war derjenige, mit dem man reden konnte, wenn man wollte, bei dem man Unterstützung suchen konnte, wenn man wollte, der da war, wenn es Fragen gab und der sonst einfach unterstützt hat. Das hat ganz, ganz viel geändert. Die Schülerinnen und Schüler haben sich ernst genommen gefühlt, die durften selbst entscheiden, ob sie kommen oder nicht. Und wenn dann die Schülerinnen und Schüler eben gekommen sind, dann sind sie motiviert gekommen und wollten auch tatsächlich was machen.

Die Schülerinnen und Schüler haben sich ernst genommen gefühlt.

Die Siebtklässler trafen selbst die Entscheidung, brauche ich Hilfe bei der Aufgabe? Sie mussten also erstmal reflektieren: Will ich lieber ausschlafen? Was ist für mich gut? Und dann haben die Schülerinnen und Schüler schon gemerkt, dass diese Freiheit eben auch Verantwortung bedeutet und dass man seine Hausaufgaben eben trotzdem gut machen und trotzdem verstanden haben muss. Und das hatte ich vorher überhaupt nicht so im Blick, dass das in den Mittelpunkt treten würde. Also ich hatte in der Test-Zeit einmal wirklich nur zwei Schülerinnen und Schüler dasitzen, das war die erste Stunde, da wollten es wahrscheinlich alle probieren. Und manchmal hatte ich auch mehr als die Hälfte der Klasse da. Das war ganz unterschiedlich. Jeder konnte für sich entscheiden, ob er das jetzt braucht. Und ich glaube gerade das war das Motivierendste für die Schülerinnen und Schüler.

Till Richter ist Lehrer am Gymnasium in Plochingen. Dort soll der Gleitzeitunterricht fortgesetzt werden.
Till Richter ist Lehrer am Gymnasium in Plochingen. Dort soll der Gleitzeitunterricht fortgesetzt werden.

SWR Aktuell: Und gab es bei einigen Schülerinnen und Schülern auch die Erkenntnis, dass der Raum Schule hilfreicher ist beim Lernen als das eigene Zimmer zuhause?

Richter: Ja, das ist, meine ich, den Schülerinnen und Schülern bewusst geworden: Ich gehe dahin, und ich muss nicht hin. Aber ich gehe trotzdem. Dann heißt es ja, das muss ja für die Schülerinnen Schüler ein guter Ort sein, an dem sie besser arbeiten könnten als zuhause, an dem sie sich wohlfühlen, indem sie sich Unterstützung holen konnten. Das ist, glaube ich, vielen Schülerinnen und Schülern beim Nachdenken dann erst bewusst geworden, dass Schule manchmal doch gar nicht so schlecht ist.

SWR Aktuell: Wie waren denn die Rückmeldungen der Eltern bisher?

Richter: Ich habe keine einzige negative Rückmeldung bekommen aus der Klasse. Der Elternbeirat unserer Schule hat sich sehr interessiert gezeigt und möchte das gerne voranbringen. Ich habe gar nichts Negatives gehört. Aber es kam natürlich von der Klasse, die ohnehin ihr eigenes Projekt machen wollte und euphorisiert war. Das mag vielleicht in einer anderen Klasse, die gar nicht so drin ist, anders sein.

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SWR Aktuell: Gab es denn vielleicht andere Lehrer und Lehrerinnen, die sagen: Auf keinen Fall Gleitzeit, das möchten wir nicht!

Richter: Im Kollegium gehen die Meinungen schon weit auseinander. Das kann ich auch verstehen. Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die sagen Nein, jede Unterrichtsminute in Präsenz ist mir wichtig. Die brauche ich, um einen Stoff voranzubringen, um ein Verhältnis zu den Schülerinnen und Schülern aufzubauen. Gerade die Erfahrungen in der Pandemie-Zeit, in der wir sehr wenig Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern hatten, haben mir das gezeigt. Und diese Einstellung kann ich auch vollkommen nachvollziehen. Und dann geht das Spektrum bis zur anderen Seite, die Kolleginnen und Kollegen, die sagen super interessant: Ich möchte das ausprobieren und bin gespannt. Das geht durchs ganze Kollegium.

Natürlich müssen wir da auch in der Gesamtlehrerkonferenz und in vielen Gesprächen mit den Kolleginnen und Kollegen eine Testphase entwickeln, die dann auch für alle in Ordnung ist. Also im Sportunterricht zum Beispiel stelle ich es mir schwierig vor oder wenn in Naturwissenschaften größere Experimente anstehen. In manchen Fächern oder in manchen Stunden gibt es dann halt doch keine Gleitzeit, weil pädagogische Gründe oder ganz organisatorische Gründe oder sicherheitstechnisch Gründe einfach dagegensprechen.

SWR Aktuell: Das Interesse an ihrem Projekt war groß - viele Medien haben berichtet. Können Sie sich das erklären?

Richter: Das hat uns auf jeden Fall damals völlig überrollt. Wir hatten nur die Zeitung eingeladen und dachten, vielleicht ist das irgendetwas Kleines für den Regionalteil. Und von diesem Artikel in der Esslinger Zeitung aus ist diese Lawine über uns drüber gerollt und das war toll. Wir haben Medienbildung am eigenen Leib erfahren, Artikel, Videos, Post zum Thema im Unterricht angeguckt und besprochen. Das war total toll.

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