Der Bedarf an betreuten Wohngruppen für Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg steigt. Darauf haben mehrere Einrichtungen stationärer Jugendhilfe beispielsweise im Kreis Esslingen aufmerksam gemacht. Die betreuten WGs seien vermehrt gefragt, weil etwa junge Geflüchtete untergebracht werden oder Kinder und Jugendliche dringend von der eigenen Familie weg müssten. Aber es gebe zu wenig Personal.
Es sei immer nur vom Fachkräftemangel in Kitas oder der Seniorenhilfe die Rede, klagen viele Jugendhilfeeinrichtungen. Ihr Bereich werde total vergessen. Die Lage sei teils so gravierend, dass Kindeswohlgefährdung drohe, wenn nichts passiere.
Bisher musste keine Wohngruppe im Waldhaus geschlossen werden
Eine dieser stationären, erzieherischen Einrichtungen der Jugendhilfe ist das Waldhaus in Hildrizhausen (Kreis Böblingen). Hier werden Jugendliche aufgenommen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zu Hause leben können. Auch hier gibt es zu wenig Betreuerinnen und Betreuer für die Jugendlichen.
"Wir haben das Glück, dass wir bisher keine Gruppe schließen mussten", sagt Michael Weinmann, Bereichsleiter stationäre erzieherische Hilfen im Waldhaus. "Aber auch wir müssen leider darüber nachdenken." Und Weinmann bekommt nach eigenen Angaben täglich fünf bis zehn Anfragen, ob er nicht noch Kinder und Jugendliche unterbringen kann, die er nun regelmäßig absagen muss.
Sozialpädagoginnen und -pädagogen überall gefragt
Es sei ein Trend, der sich bereits seit geraumer Zeit abzeichne. Früher sei es einfacher gewesen, spontan auf personelle Änderungen reagieren zu können, so Weinmann. "Aktuell fehlt bei uns eine halbe Stelle. Eine Kollegin ist unerwartet schwanger geworden, die werde ich sicherlich auch nicht schnell ersetzen können." Im Waldhaus gibt es eine 24-Stunden-Betreuung. Sicherlich sei das anstrengender als ein anderer Job als Sozialpädagoge, gibt Lukas Kastner, der als Sozialpädagoge im Waldhaus arbeitet, zu. Aber dafür könne er auch viel intensiver mit den Jugendlichen arbeiten.
Das Problem sei die große, gestiegene Konkurrenz in sozialen Bereichen insgesamt und vor allem bei der Ganztagsbetreuung, so Weinmann. Alle möglichen sozialen Einrichtungen und auch Kitas buhlten deshalb um Personal.
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Der Schichtdienst, das regelmäßige Arbeiten am Wochenende und die oftmals schlechte Bezahlung würden viele abschrecken, einen sozialen Beruf zu ergreifen - oder ihn fortzusetzen.
Problem der Jugendhilfe ist ein gesellschaftliches
Der Job in der stationären, erzieherischen Jugendhilfe ist ein gesellschaftsrelevanter. Hier habe man es zum größten Teil mit Jugendlichen zu tun, die schon "Jugendhilfe-Karrieren" hinter sich haben, so Weinmann. Was die Betreuung hier leiste, werde von der Gesellschaft zu wenig gesehen.
Es geht um den kompletten Alltag von Wohnen über Zusammenleben bis Ausbildung: Durch die Unterbringung und Betreuung im Waldhaus bekämen die Jugendlichen wieder festen Boden unter den Füßen, sagt Sozialpädagoge Lukas Kastner: "Wir gestalten das Zusammenleben mit klaren Alltagsstrukturen, klaren Regeln, Verlässlichkeit, Beziehungsarbeit durch uns als Pädagogen." Es ginge darum, die Jugendlichen bestmöglich auf ihre Zukunft vorzubereiten. "Die Jugendlichen bleiben sonst in prekären Verhältnissen", ergänzt Weinmann.
Während Corona einfach vergessen
Auch Gesetze, Empfehlungen und Regelungen durch die Politik seien Bereiche, in denen noch nachgearbeitet werden könnte, meint Weinmann. Gerade während der Corona-Pandemie sei die stationäre Jugendhilfe vergessen worden. Für etwaige andere Versorgungseinrichtungen habe es angepasste Lösungskonzepte gegeben. "Dass es hier Jugendliche mit besonderen Betreuungsbedürfnissen gibt und wie man damit umgeht - daran wurde nicht gedacht", so Weinmann. Auch eine bessere finanzielle und personelle Ausstattung wäre sinnvoll.
Personalmangel könnte in Katastrophe führen
Das Waldhaus musste wegen Personalmangels zwar noch keine Wohngruppe schließen - andere Einrichtungen allerdings schon. Damit die stationäre Jugendhilfe nicht in eine Katastrophe schlittert, müsse ein Umdenken einsetzen, fordert Michael Weinmann. Eine bessere Bezahlung und mehr gesellschaftliche Anerkennung dieser Arbeit sei nötig, damit keine Jugendlichen auf der Strecke bleiben, weil das Personal fehlt.