Seit Jahrhunderten sind die unterschiedlichsten Traditionen und Bräuche mit Silvester und Neujahr verbunden. Manche werden in ganz Baden-Württemberg gefeiert, andere nur in einzelnen Gemeinden. Manche gehen aufs Mittelalter zurück, andere sind noch jung. Einige davon sind hier zusammengestellt.
Silvesterritt in Westhausen
Eine Viehseuche machte den Bauern in Westhausen (Ostalbkreis) Anfang des 17. Jahrhunderts das Leben schwer. Dann kam auch noch der Dreißigjährige Krieg dazu. Die Gemeinde flehte den heiligen Silvester, Schutzpatron der Haustiere, an und versprach, ihm zu Ehren eine Kapelle zu errichten, wenn er sie erlöse. Als die Seuche tatsächlich verschwand, wurde das Versprechen eingelöst. Die Kapelle wurde bald zum Wallfahrtsort und lockte alljährlich zum Silvestertag Reiter an. Nach einer Flaute lebte die Tradition Mitte des vergangenen Jahrhunderts wieder auf (Titelbild links). In diesem Jahr erwartet die Gemeinde 200 Reiterinnen und Reiter:
Glückbringende Neujahrsbrezeln und Zocken um Hefegebäck
Neujahrsgebäck in unterschiedlichsten Formen gibt es in ganz Deutschland. In Schwaben und Baden hat vor allem die Neujahrsbrezel Tradition. Meist werden die übergroßen Brezeln aus süßem Milch- oder Hefeteig am 1. Januar gemeinsam zum Frühstück gegessen. Häufig sind sie mit individuellen Flechtmustern verziert. Sie sollen Glück bringen und vor Hunger schützen. Früher wurden sogar Geldstücke darin eingebacken. Das passende Rezept dazu gibt es hier. In Südbaden haben auch Neujahrswecken Tradition.
Beim Silvesterpaschen wird um Hefegebäck oder andere Leckereien gewürfelt - etwa in Schramberg (Kreis Rottweil) oder Sigmaringen. Die Tradition stammt wohl aus dem Mittelalter. Nach dem gleichen Prinzip läuft in Reutlingen das Mutscheln ab, wenn auch nicht an Silvester. Die sternförmigen Mutscheln werden aus ähnlichem Teig gebacken wie die Neujahrsbrezeln. Am Mutscheltag, dem Donnerstag nach dem Dreikönigstag, wird um diese ebenfalls gewürfelt. Eine ganze Reihe von Spielen gibt es dafür, mit interessanten Namen wie "Einsame Filzlaus" oder "Langer Entenschiß". Wer sich selbst ans Backen wagen möchte, findet hier ein Rezept.
Silvesterwiegen in Nürtingen
Nach Weihnachten steht eigentlich niemand gerne auf die Waage. Das Silvesterwiegen in Nürtingen (Kreis Esslingen) dient jedoch einem guten Zweck - und das bereits seit 1832. Nicht nur der Oberbürgermeister lässt dort traditionell sein Gewicht auf einer Sackwaage messen, auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) galt in vergangenen Jahren als Stammgast. Nach coronabedingter Pause findet die Veranstaltung 2022 wieder in der Stadthalle statt. Jeder kann sich gegen eine Spende wiegen lassen. Die Einnahmen werden einer gemeinnützigen Organisation gespendet.
Ketsch: Zuckerschachteln für die Patenkinder
Bunte Holzschachteln, bis zum Rand gefüllt mit süßen Leckereien: In Ketsch (Rhein-Neckar-Kreis) bekommen Kinder diese traditionell von ihrer Patentante zu Neujahr geschenkt. In Handarbeit stellt Andrea Lemberger diese seit über 30 Jahren am Küchentisch her. Rund 250 Zuckerschachteln hat die 63-Jährige vergangenes Jahr verziert und im Kiosk verkauft:
Silvesterläufe und Neujahrsschwimmen in eisigem Wasser
Mehr Sport gehört zu den beliebtesten Neujahrsvorsätzen. Warum nicht gleich zum Jahreswechsel damit loslegen? Bereits an Silvester stürzen sich mutige Schwimmerinnen und Schwimmer vielerorts in eisiges Wasser. Beim Kocherabschwimmen in Schwäbisch Hall beispielsweise: Im Neoprenanzug kämpfen sich die Teilnehmenden über zwei Kilometer hinweg durch den etwa zwei Grad kalten Fluss. Zum Aufwärmen gibt’s im Anschluss Glühwein, warme Duschen und Linsen mit Spätzle. Die Veranstaltung findet bereits seit über 40 Jahren statt.
Nicht ganz so lange müssen Schwimmerinnen und Schwimmer beim traditionellen Neujahrsschwimmen im Grötzinger Baggersee in Karlsruhe ausharren, hier ist allerdings auch kein Neoprenanzug Pflicht. Beide Veranstaltungen werden von Ortsgruppen der Deutschen Lebensrettungs-Gesellschaft (DLRG) organisiert und überwacht.
Hunderte Läuferinnen und Läufer machen sich beim Silvesterlauf in Kirchheim (Kreis Esslingen) auf den Weg vom Rathaus hoch zur Burg Teck und wieder zurück. Gemeinsam, nicht im Wettlauf, und am Ende begleitet von Fackelträgern. Die noch junge Tradition wird seit Anfang der 80er Jahre gepflegt. Silvesterläufe gibt es auch an anderen Orten in Baden-Württemberg, unter anderem in Kißlegg (Kreis Ravensburg), Tettnang (Bodenseekreis) oder Bietigheim-Bissingen (Kreis Ludwigsburg). In Leinfelden-Echterdingen (Kreis Esslingen) gibt es einen Neujahrslauf.
Historisches Böllern zum Jahreswechsel
Mit einem Feuerwerk der besonderen Art wird das neue Jahr in Villingen-Schwenningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) begrüßt. Weniger farbenprächtig, aber laut: Zwölf Kanonenschüsse werden am Neujahrsmorgen auf dem Villinger Hubenloch, einer Anhöhe, vom Historischen Grenadiercorps abgefeuert. Der Verein lässt damit nach eigenen Angaben eine Tradition aus dem 17. Jahrhundert wieder aufleben. Demnach wurde damit ursprünglich an die überstandene Winterbelagerung der Villinger durch Schweden und Württemberger im Jahr 1633 während des Dreißigjährigen Kriegs erinnert. Die zwölf Salutschüsse stehen für die Monate des Jahres. Auf ähnliche Weise feiern auch die Badischen Böllerschützen in Nussdorf bei Überlingen (Bodenseekreis) den Jahreswechsel, allerdings schon am Nachmittag des Silvestertags.