Vor etwa vier Wochen mussten sich die Viertklässler in BW erstmals flächendeckend einem einheitlichen Leistungstest unterziehen. Es gab schriftliche Prüfungen in Deutsch und Mathe. Der sogenannte Kompass-4-Test ist Bestandteil der neuen, strikten Grundschulempfehlung fürs Gymnasium. Mit ihm soll verhindert werden, dass das G9, das vom nächsten Schuljahr an wieder zur Regel werden soll, überrannt wird. Schon kurz nach Ankündigung der neuen Grundschulempfehlung gab es Protest gegen das Vorhaben.
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat nach dem ersten landesweiten Test eine Umfrage unter den Lehrkräften der Grundschulen gemacht. Das Ergebnis: Zwei Drittel der Lehrerinnen und Lehrer halten das neue Verfahren für überflüssig.
Große Kritik an Mathe-Aufgaben: Zu schwer, zu wenig Zeit
An der Umfrage beteiligten sich 1.131 Lehrkräfte, die GEW-Mitglieder sind. Große Kritik gab es an den Mathe-Aufgaben. Diese seien zu schwierig gewesen und es habe zu wenig Zeit zum Bearbeiten gegeben. Zudem seien die Textaufgaben für Kinder mit Sprachdefiziten kaum zu bewältigen gewesen. Vier von fünf Lehrerinnen und Lehrer sagen laut GEW, die Testergebnisse stimmten überhaupt nicht mit ihrer Einschätzung der Kinder überein.
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GEW fordert von Kultusministerin Stopp des "Grundschul-Abis"
GEW-Landeschefin Monika Stein appellierte angesichts der Resultate an Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne): "Hören Sie auf tausende pädagogische Profis in Ihren Grundschulen, vertrauen Sie in deren Beratungskompetenz und stoppen sie dieses übereilt eingeführte Verfahren. Wir brauchen kein neues Grundschul-Abi, das Kinder und Eltern mit fragwürdigen Inhalten unnötig unter Druck setzt." Der Test demotiviere die Kinder und führe zu Versagensängsten.
Kultusministerium hält Umfrage für begrenzt aussagekräftig
Das Kultusministerium hält die Umfrage nur für begrenzt aussagekräftig. "Die Einstellung der GEW zur neuen Grundschulempfehlung und analog zum Instrument Kompass 4 ist bekannt. Das Meinungsbild ist insofern keine Überraschung", sagte ein Sprecher dem SWR. Das Ministerium werde den gesamten Rücklauf aller Schulen abwarten und diese auswerten. "Erst dann lassen sich belastbare Aussagen treffen." Intern heißt es, auch die absehbar schwächeren Ergebnisse in Mathe seien wenig überraschend. Das hätten die jüngsten Studien schon gezeigt. Es sei klar, dass man daran arbeiten müsse.
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GEW: Unruhe bei Eltern ist groß
Die Reaktion des Kultusministeriums gegenüber dem SWR bezeichnete die GEW-Landesvorsitzende Stein als "peinlich". Eine Umfrage, an der innerhalb einer Woche jede fünfte beteiligte Lehrkraft teilgenommen habe, müsse ernst genommen werden. Die Unruhe bei den Eltern der größten Schulart im Land sei zurecht groß, sagte Stein am Mittwoch.
SPD gegen "Grundschul-Abitur"
In den Landtagsfraktionen stößt der Test auf ein geteiltes Echo: An den Grundschulen sollte es nicht darum gehen Kinder zu demotivieren, sondern zu stärken, so die SPD. Man brauche kein "Grundschul-Abitur" Der Kompass-4-Test sei absurd und schlecht vorbereitet, so die Partei.
Als grundsätzlich richtig und wichtig verteidigt dagegen die FDP die Grundschulempfehlung. Die Rückmeldungen der GEW beschädigten jedoch die Seriosität der verbindlichen Grundschulempfehlung. Die Partei forderte nun mehr Informationen von der grün-schwarzen Landesregierung. Die AfD im Landtag betonte, Leistungsdruck sei per se nicht negativ. Dass Testergebnisse so niederschmetternd ausgefallen seien, sei ein Zeichen dafür, was in Grundschulen alles schieflaufe.
Nach Test an Grundschule könnte noch Test an Gymnasium folgen
Der neue Leistungstest ist Teil eines mehrstufigen Verfahrens zur Klärung der Frage, auf welche weiterführende Schule ein Kind gehen soll. Grüne und CDU hatten sich darauf geeinigt, dass an der Grundschule die Regel 2 aus 3 gelten soll. Das heißt, es gibt einmal eine Empfehlung der Klassenkonferenz. Dazu kommt Kompass 4. Wenn diese beiden ergeben, dass es nicht für das Gymnasium reicht, müssen die Eltern das Votum nicht akzeptieren. Wollen sie ihr Kind trotzdem auf das Gymnasium schicken, muss es einen verbindlichen Potenzialtest am Gymnasium absolvieren.
Bei der Grundschulempfehlung vollzieht die Regierung eine Rolle rückwärts. Seit dem Schuljahr 2012/2013 war die Empfehlung der Lehrkräfte nicht mehr verbindlich, sondern die Eltern konnten selbst entscheiden.
Rückkehr von G9: Sorge vor zu vielen Schülerinnen und Schülern
Grund für die Wiedereinführung der strengen Grundschulempfehlung ist das Comeback des neunjährigen Gymnasiums und die Sorge, dass G9 überlaufen werden könnte. Internen Prognosen zufolge könnten nach der G9-Einführung im Schuljahr 2025/2026 etwa 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler auf ein Gymnasium wollen. Bisher sind es 44 Prozent. Dann würden die Gymnasien aus allen Nähten platzen, während andere Schulen Klassen schließen müssten.
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GEW erwägt rechtliche Prüfung der Grundschulempfehlung
Die GEW hat nach eigenen Angaben 22 Fragen zum Kompass-Test an ihre Mitglieder in den Grundschulen geschickt. An den 2.323 öffentlichen Grundschulen werden etwa 100.000 Schülerinnen und Schüler in den etwa 5.000 vierten Klassen unterrichtet. Die Gewerkschaft stößt sich auch daran, dass die neue Grundschulempfehlung eingeführt wurde, bevor die entsprechenden Änderungen im Schulgesetz vom Landtag beschlossen wurden.
GEW-Landeschefin Stein erklärte, man erwäge das rechtlich zu prüfen. Die Umfrage unter den Lehrkräften habe auch ergeben, dass Eltern nicht rechtzeitig informiert werden konnten (44 Prozent) und die Unterlagen zu spät zur Verfügung standen (68 Prozent).