Vor allem jugendliche Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren sind in Baden-Württemberg mit Depressionen, Angststörungen und Essstörungen in ärztlicher Behandlung, das zeigt die aktuelle Studie "Kinder- und Jugendreport für Baden-Württemberg" der Krankenkasse DAK. Depressionen und Angststörungen werden immer häufiger gemeinsam diagnostiziert, erklärt Jan Steffen Jürgensen, Vorstandschef des Klinikums Stuttgart. Das mache die Therapie komplexer.
Hohe Belastung seit Corona-Pandemie
Psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen stabilisieren sich laut der DAK-Studie im Land auf einem hohen Niveau. Nach Anstiegen seit der Corona-Pandemie gab es 2022 im Vergleich zu 2021 leichte Rückgänge in den ambulanten und stationären Behandlungszahlen. Trotzdem ist die Inanspruchnahme bei jugendlichen Mädchen immer noch höher als vor der Corona-Pandemie.
Zwar ging der Studie zufolge die Neuerkrankungsrate bei Depressionen 2022 um 14 Prozent im Vergleich zu 2021 zurück. Doch im Vergleich mit 2019, dem letzten Jahr vor Ausbruch der Corona-Pandemie, steht ein Plus von 32 Prozent.
Immer mehr junge Mädchen leiden an Angststörungen
Im Vergleich zu 2021 erkrankten rund sieben Prozent mehr jugendliche Mädchen 2022 neu an Angststörungen - im Vergleich zu 2019 waren es 46 Prozent mehr. Bei Essstörungen gingen 2022 die Neuerkrankungen im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent zurück. Mit Blick auf 2019 stiegen die Zahlen aber um 53 Prozent an. Die Politik in Baden-Württemberg habe reagiert und die Versorgungskapazitäten in den letzten zwei Jahren spürbar erhöht, so Jürgensen. Vorrang vor klinischen Therapieangeboten als letzter Option müssten aber vorbeugende Ansätze haben.
Psychopharmaka statt Therapie und Prävention
Immer mehr Kinder und Jugendliche bekommen Medikamente gegen psychische Erkrankungen verschrieben. Das Universitätsklinikum Ulm spricht von einem besorgniserregenden Trend. Heranwachsende bekommen laut der Ulmer Uni-Klinik 17 Prozent häufiger als vor zehn Jahren Antipsychotika verschrieben.
Die vermehrte Verschreibung von Antipsychotika hängt für Professor Jörg Fegert, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Uniklinik Ulm, auch mit fehlenden Therapieplätzen zusammen. "Wir haben ja in der ganzen Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland relativ hohe Wartezeiten. Das heißt, man ist vielleicht auch stärker versucht, erst einmal mit einem Medikament zu überbrücken, wenn man auf Psychotherapieplätze wartet. Denn in der gleichen Zeit ist die Versorgung mit Psychotherapie nicht angestiegen."
Studie der Uniklinik Ulm Kinder bekommen öfter Antipsychotika verschrieben
Immer mehr Kinder und Jugendliche bekommen Medikamente gegen psychische Erkrankungen verschrieben. Das Universitätsklinikum Ulm spricht von einem besorgniserregenden Trend.
Keine Entwarnung bei psychischen Erkrankungen
Siegfried Euerle, Landeschef der DAK-Gesundheit in Baden-Württemberg, findet das "vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltsplanungen" besonders besorgniserregend. Denn da droht laut Euerle vielen präventiven und pädagogischen Angeboten der Rotstift. "Wir brauchen mehr Präventionsinitiativen in Schulen, Vereinen und der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Denn es geht um die Zukunft unserer Kinder in Baden- Württemberg."
Jan Steffen Jürgensen vom Klinikum Stuttgart erklärt, einige Negativtrends seien gebrochen: "Wir sehen eine Stabilisierung der Neuerkrankungen an psychischen Leiden auf einem erhöhten Niveau. Von einer Normalisierung der Lage kann leider noch keine Rede sein." Zudem sehe Jürgensen einen "Trend zur Chronifizierung", sprich zu dauerhaften Erkrankungen. Das liege möglicherweise auch an "unzureichenden Therapiekapazitäten der letzten Jahre mit zu langen Wartezeiten für junge Patienten in frühen, noch besser behandelbaren Krankheitsphasen".
Es gebe also noch keinen Grund zur Entwarnung - auch wenn einige Kennzahlen rückläufig sind: Die vielen Krisen gleichzeitig haben laut Klinikchef besonders die seelische Gesundheit junger Menschen strapaziert.