Bis 2040 werden in Baden-Württemberg einer Studie zufolge rund 860.000 Stellen allein für akademische Fachkräfte zu besetzen sein, insbesondere Ingenieure. Deshalb startet das Land jetzt bundesweit eine neue Werbekampagne unter dem Titel "The Nerd Länd", um junge Menschen für ein Studium der sogenannten MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) in Baden-Württemberg zu begeistern.
Damit ergänzt die Landesregierung die bereits laufende Kampagne "The Länd" um den Zusatz "Nerd". Was früher der Tüftler gewesen sei, sei heute der Nerd, erklärte das Wissenschaftsministerium am Donnerstag in Stuttgart. "Nerds sind all jene, die Baden-Württemberg zur innovativsten Region der Europäischen Union und zum führenden Wissenschafts- und Wirtschafsstandort gemacht haben - und in Zukunft noch stärker machen."
Kampagne richtet sich an 15- bis 22-Jährige
Das Ministerium verwies auf Baden-Württemberg als die Heimat von Erfindern wie Bertha und Carl Benz oder die Spielwarenfabrikantin Margarethe Steiff. "Als Land nutzen wir dieses Alleinstellungsmerkmal deshalb für uns und laden den Begriff Nerd mit positiven Inhalten auf", sagte Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) bei der Vorstellung der neuen Kampagne. Diese ist auf drei Jahre angelegt und soll sich vor allem an junge Menschen zwischen 15 und 22 Jahren richten.
"Damit wirken wir nicht nur den bundesweit rückläufigen Einschreibungszahlen in MINT-Fächern entgegen, sondern gehen auch die Herausforderungen des Fachkräftemangels aktiv an", sagte Olschowski. Insbesondere ohne Frauen könne die Lücke an Fachkräften in den Ingenieurswissenschaften nicht geschlossen werden. Laut Wissenschaftsministerium sind für die Kampagne pro Jahr eine Million Euro eingeplant, insgesamt also drei Millionen Euro. Beteiligt sind auch die Hochschulen und die Wirtschaft.
Kampagne spielt mit Klischees: "Wir sind Kehrwoche"
Mit Werbetrailern, Plakaten und insbesondere einer Social-Media-Kampagne soll die Botschaft gesendet werden: Kommt nach Baden-Württemberg, wir haben hier eine hohe Lebensqualität, hervorragende Universitäten und weltweit erfolgreiche Unternehmen, also auch tolle Jobs, die auf euch warten. Dazu wurde auf Instagram bereits ein neuer Auftritt unter dem Slogan "Bestes Studium. Bestes Leben. Beste Jobs." geschaffen.
Man wolle zeigen, dass in den natur- und ingenierurwissenschaftlichen Berufen die Zukunft gestaltet werde und "auch gut Geld zu verdienen" sei, so Olschowski. Den Punkt "Bestes Leben" greift die Kampagne auf in Aussagen wie "Wir sind Kehrwoche, Bollenhut und die meisten Exzellenzuniversitäten" oder "Wir sind 1.728,23 Sonnenstunden, höchste Lebenserwartung und Innovationsregion Nr. 1 in Europa".
Im Rahmen der Kampagne erzählen Studierende aus Baden-Württemberg, warum sie ihr Studienfach lieben, was ihnen im Bundesland gefällt und was ihre Jobpläne sind. Begleitet wird die Kampagne von einer Website, die Studiengänge und entsprechende Jobmöglichkeiten auflistet.
FDP kritisiert Kampagne als "grotesk" und "peinlich"
Der Arbeitgeberverband Südwestmetall begrüßte die Kampagne. "Baden-Württemberg bietet mit seinem einzigartigen Mix aus differenzierter Hochschullandschaft und starker Unternehmensstruktur hervorragende Studien- und Arbeitsbedingungen", sagte Geschäftsführer Stefan Küpper.
Klare Kritik an der Kampagne kam von der FDP. "Mit dem Begriff ‘Nerd’ Fachleute ansprechen zu wollen ist einfach grotesk", sagte der forschungspolitische Sprecher der FDP/DVP-Fraktion im Landtag, Dennis Birnstock. "Man braucht kein besonders feines Sprachgefühl, um zu wissen, dass dieses Wort im Alltag einen sozial unbeholfenen, verschrobenen Einzelgänger bezeichnet. Wer findet das witzig oder gar persönlich ansprechend?"
Birnstock forderte die Landesregierung auf, "zu einer vernünftigen Werbung für Fachkräfte" zurückzufinden "statt wieder einmal mit einer peinlichen Kampagne unangenehm aufzufallen und Geld für ungeschickte Ironie zu verschwenden". Im Sommer 2023 hatte das Land für ein provokantes Werbeplakat am Flughafen Stuttgart einen Shitstorm geerntet. Auch die im Herbst 2021 gestartete Kampagne "The Länd" hatte für Häme gesorgt.