Wie konkret waren die Anschlagspläne auf eine Synagoge in Heidelberg? Noch ist vieles im Dunkeln, aber die Festnahme zweier junger Männer bereitet Sorgen. Die Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden sieht eine deutliche Steigerung der Bedrohungslage für die jüdischen Gemeinden. Zwei junge Männer hatten geplant eine Synagoge mit Messern bewaffnet zu stürmen. Die Polizei konnte das im Vorfeld verhindern.
Antisemitismusbeauftragter für enge Zusammenarbeit mit Polizei
Der Antisemitismusbeauftragte des Landes, Michael Blume, hat erleichtert auf die Festnahmen im Zusammenhang mit mutmaßlichen Anschlagsplänen auf die Synagoge in Heidelberg reagiert. "Angesichts der zahlreichen Drohungen im Netz wussten wir alle um die Gefahr", sagte er am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Er habe sich mit den Sicherheitsbehörden ausgetauscht. "Ich habe heute bereits mit Polizei und den jüdischen Religionsgemeinschaften über die Verhaftungen aufgrund mutmaßlicher, antisemitischer Angriffspläne gesprochen", so Blume.
Blume respektiere zwar die Arbeit der Ermittlerinnen und Ermittler, habe aber in Absprache mit dem Innenministerium zeitnah Informationen sowie den Schutz der Feste zu Lag baOmer am Sonntag in ganz Baden-Württemberg zugesagt. Die enge Zusammenarbeit der Polizei und der Jüdischen Gemeinde zahle sich in erhöhter Sicherheit für alle Bürgerinnen und Bürger aus, so Blume.
Jüdisches Fest Lag baOmer
Lag baOmer ist ein jüdischer Feiertag, bei dem der Mystiker aus dem 2. Jahrhundert, Rabbi Schimon Bar Jochai, geehrt wird.
Laut dem jüdischen Magazin Raawi ist es ein Feiertag, der vor allem für Lagerfeuer, Hochzeiten und Haarschnitte bekannt ist. Dieser beginnt am Abend des 33. Tag des Omers. Zu den wichtigsten Aspekten des Lag baOmer gehören die Abhaltung jüdischer Hochzeiten. Es ist der eine Tag während des Omers, an dem das jüdische Gesetz dies erlaubt.
Strobl: Jüdisches Leben "fest im Blick" - Veranstaltungen unter Polizeischutz
Ein Sprecher des Innenministeriums versicherte, dass Veranstaltungen an Lag baOmer polizeilich geschützt würden. Konkrete Gefährdungserkenntnisse gebe es aktuell zwar nicht, die regionalen Polizeipräsidien seien über das derzeitige Ermittlungsverfahren aber informiert und entsprechend sensibilisiert worden.
Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) erklärte, eine "mörderische Tat gegen jüdisches Leben" habe verhindert werden können. Polizei und Verfassungsschutz hätten den Schutz jüdischen Lebens "fest im Blick", fügte er am Freitag in Stuttgart an. Die Behörden hätten daher auch frühzeitig einschreiten können.
Das Innenministerium bot einem Sprecher zufolge dem Innenausschuss im Landtag an, die Abgeordneten dort über die Vorgänge zu informieren. Die nächste reguläre Sitzung des Gremiums ist laut der Internetseite des Landtags für den 5. Juni geplant.
Rund drei Wochen nach der Festnahme eines 24-Jährigen in Bad Friedrichshall (Kreis Heilbronn) wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat hatten Ermittlerinnen und Ermittler einen zweiten Verdächtigen gefasst. Der 24-jährige Deutsche sowie der inzwischen ebenfalls festgenommene 18-jährige Deutsch-Türke aus Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis) hätten per Chat über einen "möglichen Messerangriff auf Besucher einer Synagoge in Heidelberg" gesprochen. Das teilten die Staatsanwaltschaften Stuttgart und Karlsruhe sowie das Landeskriminalamt am Freitag mit.
Jüdische Gemeinde besorgt nach mutmaßlichem Anschlagsplan
In Heidelberg reagierten am Freitagabend etwa 120 Personen mit einer Menschenkette auf mutmaßliche Anschlagspläne gegen die Synagoge der Stadt. In mehreren Redebeiträgen wurde die Solidarität mit der Jüdischen Gemeinde ausgedrückt. Der Rabbiner der Heidelberger Jüdischen Gemeinde, Jona Pawelczyk-Kissin, sagte dem SWR, er sei sehr beunruhigt. Zwar seien die mutmaßlichen Pläne aufgedeckt worden, aber niemand könne sagen, ob es weitere Beteiligte gibt.
In einer gemeinsamen Stellungnahme hatten Pawelczyk-Kissin und das Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Heidelberg, Halyna Dohayman, am Freitag mitgeteilt, dass sie sich Sorgen um ihre Gemeindemitglieder machten. Sie befürchteten, "dass sie sich jetzt einsperren und nicht mehr zu unseren Gottesdiensten kommen. Wir versuchen, ihnen die Angst zu nehmen." Man werde jetzt gemeinsam beraten, wie man mit der Situation umgehe. "Wir stehen in engem Kontakt mit der Polizei und verstärken unsere internen Sicherheitsmaßnahmen."
Rami Suliman: "Damit ist eine ganz neue Stufe erreicht"
Die Israelitische Religionsgemeinschaft (IRG) Baden sieht nach den vereitelten Anschlagsplänen eine deutliche Steigerung der Bedrohungslage für die jüdischen Gemeinden. "Zum einen war es kein Einzeltäter mehr, sondern es gibt zwei Verdächtige", sagte der Vorsitzende der IRG Baden, Rami Suliman.
Zum anderen seien die jungen Männer nach Angaben der Ermittler bereit gewesen, sich als "Märtyrer" zu opfern. "Das macht mir Angst, das sind ja Verhältnisse wie in Israel. Damit ist eine ganz neue Stufe erreicht, die ich hier noch nicht erlebt habe", sagte Suliman. Er habe die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde in Baden aufgerufen, besonders wachsam zu sein. Außerdem vertraue er der Polizei, die vor den Synagogen sichtbar und auch im Heidelberger Fall rechtzeitig zur Stelle gewesen sei.
Evangelische Landeskirche bekundet "Solidarität und Mitgefühl"
Auch die Evangelische Landeskirche in Baden stellte sich an die Seite der Jüdischen Gemeinde. In einem am Samstag veröffentlichten Schreiben an den Rabbiner Pawelczyk-Kissin hieß es: "Unsere Solidarität und unser Mitgefühl gilt Ihnen und den Mitgliedern Ihrer Gemeinde. Wir sind Gott dankbar, dass die Anschlagspläne rechtzeitig aufgedeckt und so vereitelt werden konnten." Es bleibe aber die tiefe Erschütterung, dass Jüdinnen und Juden in Baden und ganz Deutschland wieder um Leib und Leben bangen müssten, so Cornelia Weber, die Ständige Vertreterin von Landesbischöfin Heike Springhart, die sich derzeit auf einer Auslandsreise befindet.
ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg über die derzeitige Bedrohung für jüdische Menschen in Deutschland:
Vorbereitungen zur Tötung über Chat
Weitere Details zu den Anschlagsplänen wurden auch am Wochenende zunächst nicht bekannt. Ob es sich dabei um einen Angriff auf die Synagoge handelte, ist unklar. Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende Gefährdung von Besucherinnen und Besuchern der Synagoge habe es nicht gegeben, so die Staatsanwaltschaft Karlsruhe. Man habe früh genug eingegriffen, sagte ein Sprecher. Wie das Landeskriminalamt in Stuttgart sowie die Staatsanwaltschaften in Stuttgart und Karlsruhe erklärten, ergaben sich die Erkenntnisse bei der Auswertung beschlagnahmter Beweismittel durch IT-Expertinnen und -Experten.
Die beiden jungen Männer hatten sich demnach im April per Chat darüber ausgetauscht, Besucherinnen und Besucher eines jüdischen Gotteshauses in Heidelberg zu töten und sich von Polizisten erschießen zu lassen. Die Wohnung des 18-Jährigen war am 18. Mai durchsucht worden, der Mann wurde festgenommen und sitzt nun in Haft.
Hintergrund: Polizeieinsatz schon am 3. Mai
Wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wurde die Wohnung des 24-Jährigen am 3. Mai durchsucht. Der Mann nahm laut Polizei während der Durchsuchung plötzlich mehrere Küchenmesser an sich und flüchtete aus einem Fenster ins Freie. Dort stellten ihn die Beamten. Statt die Messer abzulegen, bewarf er demnach einen Beamten gezielt mit einem Messer und lief auf ihn zu. Dieser schoss auf den Mann.
Der 24-Jährige sitzt bereits in Haft. Ihm werden zudem versuchter Totschlag und ein besonders schwerer Fall des tätlichen Angriffs auf Einsatzkräfte vorgeworfen.
Antisemitische Straftaten zuletzt gestiegen
Auch der Oberbürgermeister von Weinheim, Manuel Just (CDU), dankte am Freitag in einem Statement den Ermittlungsbehörden für ihre "professionelle und erfolgreiche Arbeit". Es habe sich gezeigt, dass die Polizeibehörden die digitale Ermittlungsarbeit in den vergangenen Jahren deutlich verbessert und ausgebaut hätten. Rassismus und Antisemitismus seien immer auch "ein Angriff auf unsere freiheitliche Grundordnung".
Antisemitische Straftaten in Baden-Württemberg hatten 2023 zuletzt zugenommen und sich im Vergleich zu 2022 verdoppelt. Von den knapp 670 Fällen hatte fast die Hälfte einen direkten Bezug zum Nahost-Konflikt.