Kathrin Yen, heute immer noch Leiterin der Gewaltambulanz, war der Motor der Gründung im Jahr 2011 in Heidelberg. Waren es am Anfang gerade mal 50 Untersuchungen von Gewaltopfern im Jahr, so sind es heute allein in Heidelberg 800.
Ein wesentlicher Anteil der Untersuchungen betrifft Frauen, die Opfer von Gewalt geworden sind. Die Zahl der Taten nimmt zu, zeigt die Statistik. Die Frauenhäuser in Mannheim und Heidelberg bestätigen diese Entwicklung, berichtet Britta Schlichting von der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser in Mannheim.
Telemedizinprojekt in Heilbronn und Ravensburg
Die Landeshauptstadt Stuttgart gehört mittlerweile mit einer Zweigstelle zum Einzugsgebiet der Gewaltambulanz Heidelberg. Die Landesregierung Baden-Württemberg hat zudem in Ulm und in Freiburg die Einrichtung von Gewaltambulanzen finanziell abgesichert. Hinzu kam im Sommer ein Telemedizinprojekt für Heilbronn und Ravensburg unter Heidelberger Führung.
Mit Datenbrillen untersuchen dabei Ärzte vor Ort zusammen mit den über eine Datenleitung verbundenen Kolleginnen und Kollegen aus Heidelberg die Opfer.
Untersuchung nach Gewalttaten, Missbrauch oder Misshandlungen
Die Gewaltambulanzen in Baden-Württemberg untersuchen Menschen nach Gewalttaten, nach Missbrauch, nach häuslicher Gewalt oder auch nach Kindesmisshandlungen. Kathrin Yen hat die Arbeit der Gewaltambulanz und die Pläne für die Zukunft kürzlich in einer Fachtagung in Mannheim skizziert, die Gewalt an Frauen im Fokus hatte.
Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen
Im November gibt es zahlreiche Veranstaltungen anlässlich des "Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen" am 25. November. Die UN-Kampagne "Orange the World" macht seit 1991 auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam.
Krankenkassen müssen Untersuchungen bezahlen
Es hat sich einiges verändert, seit Kathrin Yen die Gewaltambulanz in Heidelberg maßgeblich angeschoben hat. Sie ist Ärztliche Direktorin am Institut für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin der Universität und leitet die Gewaltambulanz.
Die Neufassung des Sozialgesetzbuches 5 verpflichtet mittlerweile die gesetzlichen Krankenkassen, Untersuchungen an Gewaltopfern zu bezahlen. Die Finanzierung dieser forensischen Untersuchungen entlastet den Etat der Gewaltambulanz in Heidelberg, die ansonsten von der Universität, dem Land, der Stadt Heidelberg und dem Rhein-Neckar-Kreis getragen wird. Aber auch Privatpatienten werden untersucht.
Die meisten Untersuchungen ohne Strafanzeige
Für Kathrin Yen ist es wichtig, weitere Anlaufstellen im Land zu schaffen. Einige der Untersuchten sind Opfer von Gewalttaten, nach Messerangriffen oder anderen Körperverletzungen. Diese Fälle werden von Polizei und Staatsanwaltschaft verfolgt, die auch die rechtsmedizinischen Untersuchungen beauftragen.
Die Gewaltambulanz Heidelberg bietet eine offene Verletzungsdokumentation und Spurensicherung nach Gewalt - als Basis für eine spätere Strafverfolgung, die sonst kaum möglich wäre. Fast drei Viertel der Opfer werden ohne Strafanzeige untersucht, weil die Gewalttaten häufig im häuslichen oder verwandtschaftlichen Bereich passieren. Nicht selten handelt es sich um Babys, Kinder oder um gepflegte Angehörige. Deshalb würden Strafanzeigen anfangs oft ausbleiben. Kathrin Yen weist besonders darauf hin, dass auch ältere Frauen Opfer von Gewalt sind, oft über viele Jahre. Untersuchungsergebnisse spielen später in Gerichtsverfahren eine Rolle. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gewaltambulanz treten deshalb in Prozessen als Gutachter auf.
"Sensibilität für Opfer von Gewalttaten gestiegen"
Ein Lichtblick immerhin: Kathrin Yen hat festgestellt, dass sich die Sensibilität der Menschen verbessert habe. Es werde nach ihrem Eindruck heute weniger weggeschaut. Sie forderte dazu auf, noch mehr Verantwortung für Mitmenschen zu übernehmen und begründete Verdachtsfälle von Gewalt zu melden.