Wer die deutsche Antwort auf OpenAI sucht, kommt an Aleph Alpha kaum vorbei. Ein Unternehmen, ein Start-Up aus Heidelberg-Wieblingen. Ein unscheinbares Gebäude am Rand eines typischen Gewerbegebiets im Südwesten. Flache Allzweckarchitektur. Graue Fassaden. Im Westen die A5, im Osten der Neckar. Viel landwirtschaftliche Fläche.
"The Power to think" liest der Nutzer beim Empfang auf der Webseite des Unternehmens Aleph Alpha. Grafiken. Dunkle, moderne Ansprache. Auf den ersten Blick ähnelt das der Tech-Firma OpenAI. Deren KI ChatGPT der Chatbot der Stunde ist. So sieht Künstliche Intelligenz (KI) aus. So stellt man sie sich visualisiert vor. Doch zwischen der künstlichen kalifornischen Welt und dem Kurpfälzer Gewerbegebiet liegen Welten. Dort der milliardenschwere Tech-Gigant, mit Geld aus der Hand von Elon Musk und Microsoft. In Heidelberg der Versuch einer europäischen Lösung. Weniger Geld. Weniger Glamour. Das Ziel: praxisnahe KI programmieren. Beispielsweise ein Bürgerassistenz-System. In Zukunft könnte Künstliche Intelligenz dieser Art vielleicht Medizinern helfen. Oder Juristen.
Jonas Andrulis ist der Gründer von Aleph Alpha. Er ist 41. Und er hat Erfahrung beim kalifornischen Musterschüler Apple im Silicon Valley gesammelt. Bis er genug davon hatte. Zu sehr, sagte er im Interview mit SWR Aktuell, haben ihn die tieferen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz fasziniert.
Künstliche Intelligenz: Die Kunst zwischen Wiederholung und Mustern
SWR Aktuell: Herr Andrulis, zunächst einmal: Kann man etwas so Komplexes wie Künstliche Intelligenz einfach erklären?
Jonas Andrulis: Die KI lernt Muster und plappert sie nach. Wir als Menschen können intuitiv sprechen. Über Dinge, die wir kennen, Dinge, die uns vertraut sind. Wir müssen nicht bewusst nachdenken. Wir sind intuitiv in der Lage, richtig zu antworten. So ähnlich macht das auch die KI. Also sie hat einfach ganz viele Muster gelernt, ganz viele Konzepte, und kann diese dann kombinieren.
Und es ist extrem erstaunlich, was das allein schon bewirkt. Das war eine der großen Überraschungen, dass allein durch die Mustererkennung und Wiederholen von Mustern Dinge möglich werden. Wie zum Beispiel auf recht komplexe Fragen richtige Antworten geben. Aber nur weil das eben so wirkt, als sei da eine Intelligenz dahinter, die dem Menschen ähnelt, ist das nicht der Fall.
SWR aktuell: Also plappert KI tatsächlich nur nach?
Andrulis: Ja, aber mit Sinn. Die KI hat eben nicht nur Worte gelernt. Die KI lernt Konzepte. Und deswegen kann die KI solche Dinge machen wie die Unabhängigkeitserklärung im Stil von Jar Jar Binks (Charakter aus STAR WARS, Anm. der Redaktion) schreiben. Man muss sagen: Okay, das war in den Trainingsdaten nie drin. Das hat sie nicht auswendig gelernt. Aber die KI hat das Konzept gelernt. Wie spricht Jar Jar Binks? Was ist die Unabhängigkeitserklärung? Und dann werden beide Dinge kombiniert.
Aleph Alpha: Heidelberg statt Silicon Valley
SWR Aktuell: Wie ist die Idee zu Aleph Alpha entstanden?
Andrulis: Entscheidend war meine Zeit bei Apple. Ich habe immer schon gern unternehmerisch gearbeitet, habe auch schon zwei Unternehmen vorher gegründet. Bei Apple war ich in der KI-Forschung und habe gesehen, dass KI entsteht, die ganz grundsätzlich anderen Strukturen folgt. Davor war es immer so, und auch meine letzte Firma war so, dass KI einen ganz engen, spezifischen "usecase" (Anwendungsgebiet, Anm. der Redaktion) hatte. Zum Beispiel Fußgänger auf Kamerabildern erkennen. Solche Systeme sind nie in der Lage mehr zu machen als das, wofür sie entwickelt werden. Also das Beste, was eine Fußgänger-KI machen kann ist, einhundert Prozent aller Fußgänger erkennen. Mehr wird diese KI nie machen. Egal wie viele Trainingsdaten ich nehme.
Bei Apple gab es frühe Forschung an KI, die ganz grundsätzlich die Struktur von Welten selbst erkennt. Und zwar, ohne auf spezifische Anwendungen limitiert zu sein. Man kann also sagen: Die KI lernt, wie eine Welt funktioniert. Und dann kann sie alle möglichen Probleme, alle möglichen Fragen, die diese Welt betreffen, lösen. Das hat mich total fasziniert. Und außerdem hatte ich keinen Bock mehr auf Corporate Management.
SWR Aktuell: Eines ihrer Projekte ist das Heidelberger Bürgerinformationsystem "Lumi". Wie kam es zu dieser KI?
Andrulis: Im Prinzip, weil wir ja schon vor ChatGPT gesagt haben, dass eine der natürlichsten, eine der besten Möglichkeiten sich mit KI auszutauschen, Sprache ist. Wir Menschen haben Sprache genau dafür erfunden, uns auszutauschen. Also haben wir gesagt, wir wollen genau das möglich machen. Und dann kam es durch ein Gespräch mit Eckart Würzner, dem OB, (Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg, parteilos, Anm. der Redaktion) dazu. Der gesagt hat: "Lasst uns einfach etwas ausprobieren!"
Vergleichstest mit Open AI von Microsoft Start-up für Künstliche Intelligenz aus Heidelberg punktet gegen US-Unternehmen
Das Heidelberger Start-up-Unternehmen Aleph Alpha hat bei einem Leistungsvergleich ähnlich gut abgeschnitten wie bislang führende US-Software für Künstliche Intelligenz.
SWR Aktuell: Wie ist der Standort Heidelberg grundsätzlich zu bewerten?
Andrulis: Phänomenal. Sehr lebenswert, eine extrem schöne Altstadt, natürlich sehr friedlich. Das ganze kulturelle Umfeld. Heidelberg selber ist ja recht klein, aber wir sind ja direkt neben Mannheim, gegenüber ist Ludwigshafen. Wir haben Karlsruhe, Darmstadt in Reichweite. Eine Stunde brauche ich auch von einem Ende Berlins zum anderen.
ChatGPT: Ein Momentum für das Thema Künstliche Intelligenz
SWR Aktuell: Wie bewerten Sie den aktuellen Hype um KI?
Andrulis: Ich muss viel weniger erklären, denn die Leute kennen das. Und ich sage dann einfach nur noch: Wie ChatGPT. Aber eben auf geschützten eigenen Daten, die wir nutzen. Bei jeder industriellen Revolution gibt es "Breaking Points", an denen dann die Menschen in der Breite verstehen, dass etwas Neues passiert. Und dann, irgendwann, geht es steil nach oben. Ja, ich glaube ChatGPT ist der iPhone-Moment für KI.
SWR Aktuell: Trotz aller Möglichkeiten. Welche Gefahren birgt KI?
Andrulis: Also die größte Gefahr ist, glaube ich, die Geschwindigkeit der Veränderung. Wir sind das europäische KI Unternehmen. Und wir sind 50 Personen. Die große Gefahr ist, dass wir insgesamt in Europa abgehängt werden. Denn bei KI geht es ja nicht nur um unser Unternehmen. Klar - wir wollen auch überleben. Aber da geht es auch um die Wettbewerbsfähigkeit von jedem anderen Unternehmen. Denn KI ist überall anwendbar. Das ist, glaube ich, eine der größten Gefahren. Ethische Gefahren direkt sehe ich nicht. Jede Technologie kann falsch laufen. Wenn sie einen Fehler enthält, kann etwas Böses passieren. Deswegen muss man aufpassen, dass es eben keine Fehler enthält. Aber ich sehe jetzt keine unmittelbare ethische Gefahr.
Wir haben deutlich weniger Geld als OpenAI, also 30 Millionen gegen 20 Milliarden. Und das ist natürlich schon eine Sache, die uns umtreibt. Wir sagen: Mit all den Skills, die wir haben, mit den Fähigkeiten, die wir unter Beweis gestellt haben - wie können wir gegen diese extreme Ungleichheit bestehen?
SWR Aktuell: Wie also kann ihre eigene Zukunft aussehen? Was würde eine KI ihnen sagen?
Andrulis: Eine Chat-KI erkennt Muster und kombiniert Konzepte. Das heißt, sie würde wahrscheinlich irgendetwas typisches Unternehmerisches sagen. Eine (Unternehmens-)Verkauf vorschlagen, vielleicht einen Börsengang. Aber ich glaube, wir sollten, wenn wir KI befragen und verwenden, uns immer im Bewusstsein halten, dass sie weder ontologische Autoritäten (Ontologie ist die philosophische Lehre vom "Sein", Anm. der Redaktion) noch Wahrheitsmaschinen sind. Eine KI sollte und kann kein Ratgeber für unser Leben sein. Sie kann ein Werkzeug sein sowie eine Internet-Suche. Ich würde ja auch nie über eine Internet-Suche fragen, was ich mit meinem Leben machen soll.