In dem Offenen Brief des Jagdaufsehers Dietmar Fischer, der dem SWR vorliegt, beklagt er das Jagdverbot in Bezug auf infizierte Wildschweine. Außerdem das seiner Meinung nach "nicht artgerechte Vorgehen gegen die Afrikanische Schweinepest (ASP)" in Bezug auf die derzeitigen Regeln. Sein Jagdrevier liegt ganz im Norden Baden-Württembergs - in der Rhein-Neckar-Region.
Der Rhein-Neckar-Kreis grenzt an den Kreis Bergstraße (Hessen), viele Wald- und Forstgebiete gehen fließend ineinander über. In infizierten Zonen gilt ein absolutes Jagdverbot auf Wildschweine. Dadurch soll verhindert werden, dass das Wild aufgeschreckt und die Tierseuche weiter verbreitet wird. Besonders diesen Aspekt kritisiert Fischer. Zuletzt hatten bereits Jäger im Rhein-Neckar-Kreis eine Lockerung der strengen Jagdvorschriften gefordert.
Ruhende Jagdreviere "Zuchtbetriebe der Afrikanischen Schweinepest"?
In dem Offenen Brief heißt es, die Schutzmaßnahmen würden zwar "helfen die größten Gefahren zu bannen". Zur Infizierung weiterer Gebiete genüge jedoch "nur ein infiziertes Wildschwein". Gerade Keiler - also männliche Tiere - seien aber "zur Rauschzeit auf der Suche nach paarungswilligen Bachen" und würden sich nicht von Zäunen aufhalten lassen. Nach Auffassung des Jagdaufsehers sind diese auch zu niedrig.
Das Jagdverbot führe dazu, dass das Wild in den Revieren "ungestört schalten und walten" könne, so Fischer. Ruhende Jagdreviere heißt es weiter, seien "Zuchtbetriebe der ASP". Deshalb fordert der Jäger "die Ansitzjagd und der Pirschgang" auf Wildschweine - eben auch in infizierten Zonen.
Ministerium: "Einzeljagd ist kontraproduktiv"
Auf SWR-Anfrage heißt es aus dem hessischen Landwirtschaftsministerium:
Weiter argumentiert man im hessischen Landwirtschaftsministerium die "große Gefahr" sei, "dass sich infizierte Wildschweine in diesem Gebiet aufhalten könnten und durch [die] Jagd in bisher ASP-freie Gebiete versprengt oder vergrämt werden". Das stehe dem "fehlenden Nutzen der Einzeljagd zur deutlichen Reduktion der Wildschweindichte gegenüber". Heißt: Das Ministerium schätzt das Risiko der Einzeljagd erheblich größer ein als dessen Nutzen. Das entspricht der gängigen Praxis. In dem Offenen Brief wird genau daran gezweifelt: "Nur dann, wenn bei der Jagd ein Schuss fällt, flüchtet das Wild. Aber nicht (…) weit, sondern es bleibt nach (...) 50-100 Metern stehen und sondiert die Lage", so Dietmar Fischer. Er sorgt sich, dass die ASP aus dem Kreis Bergstraße in sein Revier übergeht, dass bis an die hessische Landesgrenze reicht.
Ständiger Austausch mit Jägern und zwischen Bundesländern
Es sind zwei gegensätzliche Perspektiven, die immer wieder aufeinanderprallen: Einerseits der Versuch, die Ausbreitung mit Hilfe von definierten Schutzbereichen, Zäunen und vor allem Zeit einzudämmen. Auf der anderen Seite Jäger wie Fischer, die zum Teil eine andere Strategie - die der Jagd in infizierten Zonen - für den besseren Weg halten.
Man stehe in ständigem Austausch mit Jägern, heißt es weiter aus dem Ministerium. Zum Beispiel mit dem Landesjagdverband Hessen. Das ist die größte Interessenvertretung der Jägerschaft in Hessen. Dort habe man "bestätigt, dass die bisherigen ASP-Bekämpfungs- und Schutzmaßnahmen in Einklang mit dem Ministerium richtig [sind]". Auf Arbeitsebene finde zwischen dem Hessischen Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt und dem Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, mehrfach wöchentlich ein Austausch statt - gerade wegen der Überschneidung an Landesgrenzen.
Weiterhin Drückjagd in angrenzenden Jagdgebieten
Wer in diesen Tagen in den betroffenen Gebieten unterwegs ist, wird unter Umständen dennoch mitbekommen, dass gejagt wird. Denn "die angeordneten Maßnahmen" seien "auf jeden Fall weiter zielführend", heißt es vom Ministerium in der Antwort an den SWR.
Das Ziel: In der Sperrzone I - also in der Pufferzone - soll es weniger Wildschweine geben. Deshalb werden dort Drückjagden durchgeführt. Insgesamt, das geht aus den Antworten des Ministeriums hervor, würden "zwar viele ASP-infizierte Wildschweinkadaver gefunden", das sei aber auf großflächige Kadaversuchen in bekannten Infektionsgebieten zurückzuführen. Die Afrikanische Schweinepest würde sich aktuell "flächenmäßig nicht weiter ausbreiten". Jagdaufseher Fischer ist in diesem Punkt anderer Auffassung. Seiner Erfahrung nach, schildert er, würden so nur "Reste" gefunden. Infizierte Schweine allerdings könnten sich noch weiter ungehindert ausbreiten.
Population soll ausgedünnt werden
In Bezug auf die Kritik die aus dem Offenen Brief hervorgeht, argumentiert das Hessische Landwirtschaftsministerium mit Hilfe von EU-Expertise. Fischer führt an, dass "jedes infizierte Wildschwein einen qualvollen Krankheitsverlauf durchmache". Jäger müssten aufgrund "ihrer Verpflichtung zur Hege verpflichtet sein, diese Tiere sofort zu erlegen". Auch dieser "moralischen Verpflichtung" könne man aktuell wegen des Jagdverbots nicht nachkommen.
In diesem Punkt heißt es aus Wiesbaden, wo das Ministerium seinen Sitz hat, dass sich "Wildschweine immer wieder an Kadavern infizieren [werden], bis die Population so ausgedünnt ist, dass die Kadaver weniger werden und die wenigen überlebenden Wildschweine seltener Kontakt zu den infektiösen Kadavern haben. Von den Experten der EU-Kommission wurde geäußert, dass die Seuche in dem Gebiet, in dem sie vorkommt, die Wildschweine schneller töten wird, als dies alle jagdlichen Mittel könnten. Es wurde empfohlen, der Seuche in diesen Gebieten ihren Lauf zu lassen".
Einen Lichtblick - zumindest in Bezug auf eine Annäherung der unterschiedlichen Sichtweisen - gibt es allerdings: Aus dem Ministerium heißt es, sobald "feste Zäune" aufgestellt seien, die das infizierte Kerngebiet sicher eingrenzen, werde die Jagd außerhalb davon wieder erlaubt.