Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) war auch am Freitag bemüht zu zeigen, der Krise in der Kindermedizin etwas entgegenzusetzen. Beim Krisengipfel zur Lage in den Kinderkrankenhäusern und Arztpraxen am Donnerstag hatte er versprochen, "konkrete Forderungen an den Bund" zu stellen. Nun hat er Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aufgefordert, sich mit Priorität um die Versorgung von Kindern und Jugendlichen zu kümmern. Das schrieb Lucha am Freitag in einem Brief an Lauterbach, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Lucha übernimmt Konferenzvorsitz
Ab 2023 hat Lucha den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz inne. Weiter schrieb er, es gehe sowohl um die Lage in den Kinder- und Jugendkliniken als auch um die Situation der Kinder- und Jugendarztpraxen sowie um aktuelle Mängel in der Arzneimittelversorgung.
Krisengipfel und Brief war ein dramatischer Hilferuf von Kindermedizinerinnen und -medizinern vorausgegangen. Sie warnten vor dem Kollaps und drängten darauf, die Versorgung von Kindern und Jugendlichen über die Feiertage durch Sofortmaßnahmen sicherzustellen.
Kindermedizin: Einmal mehr sollte es ein Krisengipfel richten
Beim Krisengipfel am Donnerstag beriet sich Lucha zwei Stunden lang mit Kindermedizinerinnen und -medizinern über Mittel und Wege aus der Krise. Der Grünen-Politiker rief zu einem gemeinsamen Kraftakt auf, er verteidigte aber auch die bisherigen Schritte des Landes. Auch werde er als Ergebnis des Gipfels konkrete Forderungen an den Bund formulieren. Dieses Versprechen hat er mit seinem Brief an Lauterbach gehalten.
Der Klinikgipfel am Donnerstag habe in der Sache nichts Neues gebracht, kommentiert Knut Bauer aus der SWR-Redaktion Landespolitik:
Ein Krisengipfel nach dem anderen Kommentar: Die Gipfel-Inflation ist Symbolpolitik
Wenn Krisen auftreten, veranstalten Politikerinnen und Politiker oft Gipfeltreffen, um Lösungen zu finden. Oft groß inszeniert - am Ende aber meistens nur mit Symbolergebnissen, kommentiert Knut Bauer aus der SWR Redaktion Landespolitik.
BW-Vorschlag: Atteste für kranke Kinder erst ab viertem Tag
Luchas "konkrete Forderungen" an den Bund: Über Kliniken hinaus müsse er dafür sorgen, dass junge Ärzte und Ärztinnen sich auch zur Versorgung der Kinder in ambulanten Praxen oder Versorgungszentren niederließen, schreibt er in seinem Brief an Lauterbach. Spürbar entlasten könnte es, wenn Atteste für kranke Kinder dem Arbeitgeber und der Krankenkasse nicht schon ab dem ersten Tag, sondern erst ab dem vierten vorgelegt werden müssen. Darüber hinaus sollten diese am besten digital ausgestellt werden, heißt es weiter. Atteste für kranke Kinder gelten analog zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
Außerdem regt er an, dass Lauterbach schon in der Sitzung der Gesundheitsministerinnen und -minister am 5. Januar den Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern über die Aktivitäten des Bundes berichten solle. Lucha sieht den Bund unter anderem in der Pflicht zu prüfen, ob die Vergütung der Pädiatrie attraktiv genug ist. Auch müssten Maßnahmen getroffen werden, "die der Diskrepanz zwischen dem Bedarf in der Kinder- und Jugendpsychiatrie und vorhandenen Behandlungskapazitäten begegnen", schrieb der Landesminister.
Luchas Forderungen sind nicht neu
Als baldiger Chef der Gesundheitsministerkonferenz wolle er sich für einen besseren Personalschlüssel der Pflegenden einsetzen, schreibt Lucha: "Gute Arbeitsbedingungen sind die wichtigste Grundlage dafür, dass wir das Personal halten und neues hinzugewinnen können."
Neu sind diese Vorschläge und Forderungen keineswegs. Teilweise sind sie bereits Teil der Reformen, die der Bundestag Anfang Dezember beschlossen hat. Erste "Notfalltreformen" - so formulierte es Bundesgesundheitsminister Lauterbach damals. Dazu gehört, dass Kinderkliniken in den kommenden beiden Jahren Zuschüsse von bis zu 300 Millionen Euro pro Jahr bekommen können. Außerdem sollen bestimmte Behandlungen künftig auch ohne Übernachtung möglich sein und die Krankenhäuser sollen sie abrechnen können.
Am 6. Dezember hat Lauterbach weitere Reformpläne vorgestellt. So sollen Krankenhäuser künftig mit 40 bis 60 Prozent dafür bezahlt werden, dass sie Betten, medizinisches Gerät und Personal bereithalten. Den Rest der Vergütung sollen sie weiterhin als sogenannte Fallpauschalen - also eine feste Vergütung pro Patient je nach Diagnose und unabhängig vom Aufwand - bekommen, damit die Kosten nicht explodieren.
Am Freitag sprach sich der Bundesgesundheitsminister gegenüber dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" dafür aus, stationär behandelte Kinder früher zu entlassen. Auch so sollen Kinderkliniken entlastet werden. Laut Lauterbach sollen kranke Kinder nicht unnötig lang im Krankenhaus bleiben müssen, nur um bürokratische Vorschriften der Kassen einzuhalten.
Kinderärzte am Limit Überlastete Kindermedizin - Das können Eltern von der Krankenhausreform erwarten
Viele Kinderärzte in Praxen und Kliniken sind überlastet. Die Krankenhausreform soll auch ihre Situation verbessern. Womit Eltern rechnen können.
Experten: Weitere Maßnahmen notwendig
Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg, Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, hält die Reform für einen Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig hält der Experte weitere Reformschritte für notwendig, vor allem in der Notfallversorgung. Das werde auch Kindern zugutekommen.
Luchas Forderungen und Lauterbachs Reformvorschläge eint eines: Sie versprechen in der akuten Krise eher keine Soforthilfe. Sie brauchen Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten.
Opposition: Lucha handelt immer erst nach massivem Druck
Die SPD warf Lucha am Rande des Fachgipfels vor, Kliniken, Kinderärzte und Familien seit Wochen warten zu lassen. Der Gesundheitsexperte der SPD, Florian Wahl, erklärte, seine Partei fordere eine Rückholprämie für Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende, die nicht im Beruf arbeiten oder im Ruhestand sind. In den ambulanten kindermedizinischen Notfallpraxen an Krankenhäusern müsse das Personal erhöht werden, Kinderarztpraxen müssten offenbleiben, außerdem sei es notwendig, die Telemedizin aufzustocken. "Hier geht es vor allem darum, die Eltern über Video zu beraten, wie sie kranke Kinder auch ohne direkten Arztbesuch zu Hause betreuen können", sagte Wahl.
Die FDP kritisierte im Vorfeld des Krisengipfels, dass es offenbar immer erst massiven Druck von Betroffenen brauche, bis Gesundheitsminister Manfred Lucha handele. Und: Man brauche nicht nur kurzfristige Lösungen, sondern nachhaltige. Der grüne Koalitionspartner von der CDU begrüßte den Gipfel. Der Fraktionsvorsitzende Manuel Hagel (CDU) sagte, man müsse die Versorgung der Schwächsten in unserem Land auf stabile Beine stellen.