Baden-Württemberg will bis 2040 klimaneutral werden. Dann soll Wasserstoff rund 15 Prozent des Energiebedarfs im Land decken. Am Donnerstag hat der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) in einer Regierungserklärung ausgeführt, wie das Land Wasserstoff als "wichtigen Teil der Energiewende" nutzen will.
Das Potenzial von grünem Wasserstoff ist laut Kretschmann "gewaltig". Mit Wasserstoff könne man Motoren und Kraftwerke betreiben, Stahl produzieren oder fossile Rohstoffe ersetzen - und zwar klimaneutral. Man könne ihn außerdem über große Strecken transportieren und über lange Zeiträume speichern. Klar ist neben dem großen Potenzial der Technologie aber auch: Noch wird nur wenig Wasserstoff genutzt und die passende Infrastruktur fehlt.
Kretschmann will am Freitag Forderungen an Bund stellen
Das soll sich nach dem Willen der Landesregierung schnell ändern. "Sobald die Pipelines stehen, werden wir den grünen Wasserstoff in großen Mengen importieren, weil er anderswo günstiger produziert werden wird als bei uns", sagte Kretschmann. Für ein Binnenland wie Baden-Württemberg sei es eine Herausforderung, diesen Import von Wasserstoff und seinen Derivaten sicherzustellen. Denn man habe "einen natürlichen Nachteil" gegenüber den windreichen Standorten im Norden.
Deshalb kündigte Kretschmann an, dass er am Freitag eine Erklärung mit konkreten Forderungen an den Bund unterschreiben werde. Es sei eine gemeinsame Aktion mit rund 30 weiteren Akteurinnen und Akteuren aus Unternehmen und Gewerkschaften, Forschungseinrichtungen und Hochschulen, Energie- und Umweltverbänden, Wirtschaftsverbänden und Kammern. Unter anderem fordern sie beim Aufbau des sogenannten Startnetzes sechs wasserstofffähige Leitungen zu berücksichtigen.
Wasserstoffausbau: Klarer verlässlicher Zeitplan notwendig
International wolle man im Westen an Frankreich und Spanien angebunden werden, so Kretschmann, im Süden an Österreich, Schweiz, Italien und damit an den Mittelmeerraum und Nordafrika, im Norden an Norwegen oder Schottland und im Osten an Osteuropa. Man sei sich außerdem einig, dass die Realisierung des Netzausbaus mit einem klaren verlässlichen Zeitplan verbunden werden müsse, um für Planungssicherheit für die Abnehmerinnen und Abnehmer zu sorgen.
Beim Import will sich Baden-Württemberg nicht erneut - wie beim russischen Gas - von einem Land abhängig machen. Deshalb "streben wir eine Wasserstoffversorgung aus allen vier Himmelsrichtungen an", sagte Kretschmann. Er hob die Energiepartnerschaften mit Ländern wie Schottland und den Niederlanden hervor. Mit Regionen in Spanien sei man gerade im engen Austausch, um nach den Sommerferien eine neue Energiepartnerschaft zu vereinbaren, so der Ministerpräsident weiter. Bis der Wasserstoff durch die Pipelines fließe, müsse man aber auch in Baden-Württemberg selbst Wasserstoff produzieren.
Wirtschaft: Wasserstofftechnik ist "eine Riesenchance" für BW
Außerdem soll Baden-Württemberg nach dem Willen von Kretschmann zu einem der führenden Exporteure von Wasserstofftechnik werden. "Das ist eine Riesenchance", sagte er. Auf diesem Wege wolle er möglichst viele neue Arbeitsplätze schaffen und viele bestehende Arbeitsplätze sichern. Man sei in einer ausgezeichneten Ausgangsposition. Nach Angaben von Kretschmann beschäftigen sich 90 Unternehmen und 18 universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen im Land mit Wasserstoff und Brennstoffzellen.
Für Forschung und Leuchtturmprojekte stellt das Land laut Kretschmann 500 Millionen Euro bereit. Der Bund investiere zusätzliche rund 900 Millionen Euro für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Baden-Württemberg.
SPD in BW: Wasserstoff darf nicht "verstolpert" werden
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch warnte die Landesregierung, wenn "der Wasserstoff so verstolpert wird wie bisher die Windkraft, vertun sie eine riesige Chance für unser Land". Gleichzeitig erklärte er: "Wir dürfen nicht zulassen, dass das Wort 'Wasserstoff' quasi zu einem Mantra, einem Allheilmittel wird und wenn man das Wort Wasserstoff dann nur zehn Mal sagt, dann lösen sich alle Probleme in Luft auf". Stoch forderte, die Wasserstoff-Roadmap müsse regelmäßig fortgeschrieben werden und zu konkreten Maßnahmen führen. Die Roadmap ist ein Fahrplan der Landesregierung, um die Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Das Kabinett hat sie im Dezember 2020 beschlossen.
"Da geht es um mehr als Wasserstoffleitungen. Was ist mit der Stromversorgung für Elektrolyseure? Was ist mit den großen Stromtrassen, deren Bau sich durch den Entscheid für Erdkabel um mehrere Jahre verzögert?", fragte Stoch.
FDP: "Hinken bei Infrastruktur hinterher"
Auch für FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke blieben nach Kretschmanns Regierungserklärung viele Fragen offen. Das einzig Neue sei, dass der Regierungschef angekündigt habe, morgen die Erklärung zum Ausbau des Wasserstoffstartnetzes zu unterzeichnen. "Das begrüßen wir", sagte Rülke. "Aber gleichzeitig ist das doch ein Eingeständnis, dass wir hinterherhinken, dass wir bei der Infrastruktur im Hintertreffen sind." Teile des Landes seien deutlich unterversorgt. Als Beispiele nannte er industriestarke Regionen im Schwarzwald oder am Bodensee.
CDU warnt vor Abwanderung von Industrie ins Ausland
CDU-Fraktionschef Manuel Hagel mahnte, es gehe darum, "Zuversicht zu verbreiten" und nach vorne zu blicken. Wenn man beim Wasserstoff schnell vorankomme, könne man den CO2-Ausstoß schnell reduzieren und wettbewerbsfähig bleiben. "Wenn wir diese Aufgabe nicht schaffen, wandert unsere Industrie ab - und zwar nicht in den Norden Deutschlands", sagte Hagel. "Sie wandert ab in andere Länder und dann wird eben dort das CO2 ausgestoßen."
Dass die Industrie wegen Wasserstoff abwandern könnte, befürchtet auch AfD-Fraktionschef Anton Baron. Er hat dafür aber einen anderen Grund ausgemacht: "Mit einer Wasserstoffwirtschaft wird Energie nun in vollem Umfang unbezahlbar gemacht." Außerdem kritisierte er, durch die Nutzung von Wasserstoff begebe man sich erneut in die Abhängigkeit von ausländischen Staaten: "zum einen im Bereich des direkten Wasserstoffimports und zum anderen im Bereich der grundlegenden Rohstoffe in der Wasserstoffwirtschaft".
Kretschmann: "Kämpfe jeden Tag gegen Hindernisse“
Ministerpräsident Kretschmann verteidigte seine Politik, ging aber auch gesammelt auf die Kritik der Opposition ein. "Ich würde auch gerne mehr machen, ich würde auch gern schneller sein, ich würde es auch gerne konkreter machen - fast bei allem, was ich in meinem Regierungsgeschäft mache", so der Grünen-Politiker. "Ich kämpfe jeden Tag gegen Hindernisse, die das halt bremsen." Mal sei es das Geld, mal sei es die Bürokratie, mal der Bund oder die EU. Er rief die Opposition auf, konkret zu werden. "Wir sind für Verbesserungsvorschläge, wenn sie nicht nur Überschriften enthalten, dankbar", so Kretschmann.
Wasserstoffbedarf in BW könnte sich verzehnfachen
Grüner Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft - denn bei seiner Nutzung entstehen keine Treibhausgase. Hergestellt wird der Wasserstoff in einem aufwendigen Verfahren, das viel Strom verbraucht. Nur wenn der Strom dafür aus erneuerbaren Quellen stammt, gilt der Wasserstoff als grün und CO2-frei. Grundsätzlich kann Wasserstoff als Basis für Kraft- und Brennstoffe dienen, um etwa in Industrie und Verkehr Kohle, Öl und Erdgas abzulösen.
Der Wasserstoffbedarf in Baden-Württemberg könnte sich laut Prognosen künftig fast verzehnfachen - auf rund 30 Terawattstunden im Jahr 2040. Zum Vergleich: Der gesamte Energieverbrauch Baden-Württembergs soll 2040 bei etwa 197 Terawattstunden liegen. Eine Terawattstunde entspricht einer Milliarde Kilowattstunden.