Mit bunten Buchstaben sind die Worte "Erzieher*in gesucht" geformt, die an einem Zaun einer Kindertagesstätte befestigt sind.

Kommunen kämpfen mit Personalmangel

Ungelernte Aushilfen in Kitas: Erzieherinnen fürchten Abwertung ihres Berufs

Stand
Autor/in
Johannes Böhler

Die Forderung des Städtetags, in Kitas ungelernte Aushilfen anstelle von ausgebildeten Fachkräften einsetzen zu dürfen, weckt beim Fachpersonal Ängste. Verkommt die Kita in BW zur "Aufbewahrungsanstalt" für Kinder?

Angesichts des zunehmendem Personalmangels in Kitas hatte der Städtetag eine Gesetzesänderung gefordert, damit Kita-Träger verstärkt Hilfskräfte anstelle von Erzieherinnen und Erziehern einsetzen können. Nach dem Willen des Städtetags sollen solche ungelernten Aushilfen auf den Personalschlüssel angerechnet werden.

Kita-Leiterin fürchtet Degradierung

Wie denken die betroffenen Erzieherinnen darüber? Annika Wetzel leitet eine Kita in Ravensburg. Sie hält von dem Vorschlag überhaupt nichts, "weil uns das degradiert und der pädagogische Anspruch auf der Strecke bleibt." Sie befürchtet, dass Kitas durch den Einsatz von mehr ungelerntem Personal ihren Status als Bildungseinrichtung verlieren und zur bloßen Aufbewahrungsanstalt für Kinder verkommen könnten. "Es gehört mehr dazu als einfach nur da sein und mit den Kindern zu spielen", sagt sie. "Omas und Opas können sicher liebevoll mit den Kindern umgehen, aber ihnen fehlt das Fachwissen, wenn es um die Entwicklung und die Bedürfnisse der Kinder geht", erklärt Wetzel.

Zum Fachkräftemangel trägt aus ihrer Sicht auch die geringe Ausbildungsvergütung bei. "Die Politik hat darauf viel zu spät reagiert", sagt Wetzel. Als sie vor zwanzig Jahren in den Beruf eingestiegen sei, habe sie während ihrer Ausbildung gar nichts verdient. Zwar habe sich die Lage seither gebessert, aber üppig sei die Bezahlung noch immer nicht. "Wir haben eine Praktikantin im ersten Ausbildungsjahr - die bekommt 100 Euro im Monat und das war's dann auch", sagt Wetzel.

Erzieherin sieht steigende Belastung als Problem

Ähnlich sieht es ihre Kollegin Valerie Goldmann, die seit zehn Jahren in einer Kita in Bartholomä (Ostalbkreis) arbeitet. Der Vorschlag des Städtetags habe sie und ihre Kolleginnen sehr geärgert. Was sie am meisten aufregt: "Wir machen vier Jahre Ausbildung und jetzt tut der Städtetag so, als könnte im Grunde jeder unseren Job machen." Doch professionelle pädagogische Arbeit könnten ungelernte Hilfskräfte nicht leisten. Auch beim Führen eines Portfolios und dem Verfassen von Entwicklungsberichten könnten sie nicht helfen.

"Die Politik hat es leider versäumt, unseren Beruf attraktiver zu machen", sagt Goldmann. Stattdessen habe die Bürokratie zugenommen - wodurch den Fachkräften entweder weniger Arbeitszeit für die Kinderbetreuung bleibe - oder viele Überstunden geleistet werden müssten. Zu große Gruppen, eine steigende Arbeitsbelastung und zu wenig Geld sorgten jetzt dafür, dass immer mehr Fachkräfte der Branche den Rücken kehrten. "Im Moment ist die Kita eher eine Aufbewahrungsstelle für Kinder - wir sind im Moment drei Erzieherinnen für dreißig Kinder."

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Kommunen suchen Lösungen für Personalmangel

Aufgrund von Personalmangel sehen sich immer mehr Kommunen in Baden-Württemberg dazu gezwungen, die Öffnungszeiten ihrer Kitas einzuschränken. Seit dem Frühjahr 2022 ist das auch in Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) der Fall. Durch intensive Personalakquise und verschiedenen Personalgewinnungsmaßnahmen habe die Lage sich gebessert, versichert Michael Tretter, Abteilungsleiter Kindertageseinrichtungen bei der Stadt Waiblingen gegenüber dem SWR. Aktuell seien die Öffnungszeiten nur noch in einer Kindertageseinrichtung eingeschränkt.

Eine Stuttgarter Kita hat es geschafft, den Personalmangel zu lösen. Die Kita-Leiterin Tanja Renkel-Evers setzt auf gute Stimmung, eine hohe Männerquote und individuelle Weiterbildungsmöglichkeiten. Außerdem arbeiten viele Auszubildende in der Kita und wollen nach ihrem Abschluss dort bleiben.

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Radolfzell: Eltern hüten Kinder in der Kita selbst

In Radolfzell (Kreis Konstanz) ist die Situation noch angespannter: Dort behilft sich die Stadt mit freiwilligen Eltern, die bei der Betreuung der Kinder einspringen. Stadtverwaltung und Eltern haben einen Vertrag darüber abgeschlossen. Demzufolge dürfen die Eltern von zwölf Familien die Kinder bis zum Ende des Kita-Jahres 2022/23 abwechselnd in einer Mehrzweckhalle, beziehungsweise im Außenbereich einer bestehenden Kita betreuen. Bis zu 18 Kinder dürfen die Eltern an vier Tagen pro Woche beaufsichtigen - allerdings für nicht mehr als zehn Stunden pro Woche. Die Betreuung soll immer dann stattfinden, wenn eine Kita wegen Personalmangels am Nachmittag geschlossen bleiben muss.

So weit ist es in Waiblingen nicht gekommen - obwohl es auch dort bereits Angebote von Eltern gab, als Aushilfen in den Kitas einzuspringen. Stattdessen setzt die Stadt auf "pädagogisch interessierte Unterstützungskräfte", die laut Tretter einrichtungsübergreifend eingesetzt werden, um ein verlässliches Betreuungsangebot zu gewährleisten.

Quereinsteigerin: "Wir sind fast alle Mamas"

Eine von ihnen ist Nina Kobat. Die gelernte Friseurin hat im Juni 2021 in einer Kita der Stadt angefangen. Während der Corona-Pandemie habe sie sich beruflich neu orientiert, sagt Kobat. Über eine Zeitungsannonce sei sie auf die Stelle aufmerksam geworden. Als ungelernte Kraft habe sie die Fachkräfte bei der Kinderbetreuung und Aufsicht unterstützen dürfen. "Allein mit den Kindern durften mich meine Kolleginnen aber nicht lassen", erklärt sie. "Die Arbeit in der Kita hat mir gefallen, ich wollte aber mehr Verantwortung." Deshalb habe sie schon wenige Monate später einen Kurs für die Schulfremdenprüfung begonnen und qualifiziert sich seitdem in einer praxisintegrierten Ausbildung als Quereinsteigerin für den Beruf der Erzieherin.

Ihre Mitschülerinnen in der Ausbildung seien "fast alle Mamas", nur ein Mann sei dabei, der durch sein Ehrenamt als Fußballtrainer einen Bezug zu Kindern und Pädagogik habe. Wenn alles gut geht, darf sie sich in einem Jahr "Staatlich anerkannte Erzieherin" nennen. Dem Abschied vom Friseurhandwerk weint sie keine Träne nach: "Ich habe gewonnen durch meine Entscheidung - in meiner früheren Branche sah das Arbeitsleben anders aus", sagt sie. Besonders leicht und entspannt sei ihr neuer Job aber nicht. "Man muss ständig wach und bereit sein", sagt Kobat. Die klassische Ausbildung sei für junge Menschen nicht mehr attraktiv, glaubt Kobat. "Jeder will doch nach der Schule zum ersten Mal sein eigenes Geld verdienen", sagt sie. Wenn man als Vollzeitschüler in der Ausbildung kein Geld bekomme, schrecke das definitiv ab.

BW-Kultusministerium schätzt Bedeutung von Quereinsteigern hoch ein

Laut dem baden-württembergischen Kultusministerium spielen Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger mittlerweile eine große Rolle bei der Fachkräftegewinnung für Kitas. Zwar sei dem Ministerium nicht bekannt, wie hoch ihr Anteil an den Neueinstellungen in Baden-Württemberg sei, so eine Sprecherin gegenüber dem SWR. "Allerdings können wir sagen, dass 15 Prozent der Personen, die eine praxisintegrierte Erzieherinnen- und Erzieherausbildung im Schuljahr 2022/2023 begonnen haben, bereits zuvor eine Berufsausbildung absolviert haben. 48 Prozent verfügen über eine Fachhochschulreife oder ein Abitur." Die Werte seien in den vergangenen Jahren stabil - im Schuljahr 2018/2019 brachten 18 Prozent eine andere Berufsausbildung mit, 50 Prozent verfügten über eine Fachhochschulreife oder ein Abitur.

Fachkräfteverbände fordern Kita-Gipfel

Anja Braekow vom Verband Kitafachkräfte Baden-Württemberg glaubt nicht, dass die Attraktivität der Ausbildung das alleinige Problem der Branche ist. "Nur wenige Erzieherinnen bleiben langfristig im Beruf", sagt sie. Grund dafür seien die schlechten Aufstiegschancen. "Die einzige Perspektive, die ich als Erzieherin oder Erzieher habe, ist die Übernahme einer Kita-Leitung", sagt sie. Deshalb wanderten viele Kolleginnen aus dem deutlich von Frauen dominierten Beruf in andere Branchen ab.

Braekow hat einen Aufruf an Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) unterzeichnet, in dem insgesamt zehn Fachkräfteverbände der Länder einen Kita-Gipfel fordern. Offiziell habe sie noch keine Antwort erhalten, "aber wir werden gehört", sagt Braekow. Das merke sie an Äußerungen aus dem Bundesfamilienministerium. So richtig zuständig für die Probleme bei der Kita-Betreuung fühle sich jedoch noch immer niemand in der Politik: "Der Bund sagt, Bildung sei Ländersache, das baden-württembergische Kultusministerium wiederum verweist uns an die Träger", sagt Braekow. Sie fürchtet, "dass das System erst so richtig vor die Wand fahren muss, damit sich etwas verbessert."

Wie lange bleiben Kita-Erzieherinnen und -Erzieher in Baden-Württemberg durchschnittlich in ihrem Beruf? Dem Kultusministerium lägen darüber keine Daten vor, antwortet eine Sprecherin dem SWR. Laut der Studie "Was kommt nach dem Berufsstart? Mittelfristige berufliche Platzierung von Erzieherinnen und Erziehern sowie Kindheitspädagoginnen und Kindheitspädagogen" verlassen rund 25 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher das Berufsfeld innerhalb der ersten fünf Jahre wieder.

GEW kritisiert Ausbildung ohne Vergütung

Nach wie vor arbeiten überwiegend Frauen in den Kitas: Laut BW-Kultusministerium sind unter den insgesamt 68.387 ausgebildeten Erzieherinnen und Erzieher, die in Baden-Württemberg arbeiten, nur 3.506 Männer. Dass sich noch immer so wenige Männer für den Beruf entscheiden, liege auch an der Bezahlung, glaubt Monika Stein von der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Baden-Württemberg. Sichtbar werde das bei der Ausbildung: So sei der Männeranteil bei der praxisintegrierten Ausbildung (PiA) deutlich höher als bei der schulischen Ausbildung. Der Unterschied: PiA-Azubis bekommen bereits während der ersten beiden Jahre ein Ausbildungsgehalt, Azubis in der schulischen Ausbildung gehen dagegen leer aus.

Auch bei den ausgebildeten Fachkräften seien die Gehälter zu niedrig und die Arbeitsbelastung zu hoch, kritisiert die Gewerkschafterin. Dem Vorschlag des Städtetags erteilt sie eine klare Absage. "Denn wenn wir die Arbeitsbedingungen weiter verschlechtern, in dem wir die Gruppen weiter vergrößern und indem wir mehr ungelernte Kräfte in die Kitas bringen, die von den gelernten unterstützt werden müssen, dann wird das immer unattraktiver." Mit Blick auf die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst warnte sie die Arbeitgeberseite davor, weiterhin "lächerliche Angebote" zu machen.

Kultusministerium: Kitas sollen für Bildungsgerechtigkeit sorgen

Trotz des Personalmangels will das baden-württembergische Kultusministerium am pädagogischen Anspruch der Kitas festhalten. Auf Nachfrage betont eine Sprecherin die Bedeutung der Einrichtungen für die Bildung der Kinder. Die Kitas sollen "nicht nur als Betreuungshort fungieren, sondern als Ort der frühkindlichen Bildung, an dem die Kinder von den Fachkräften dementsprechend gefördert werden." Schließlich diene die Kita als Vorbereitung zur Grundschule und wirkt sich somit auf den weiteren Bildungsweg der Kinder aus. "Auch für die sprachliche Entwicklung haben die Kitas eine wichtige Funktion", so die Sprecherin. Der Anspruch sei weiterhin, für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen. Dabei hätten Kitas im Land eine Schlüsselrolle.

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