Hochradioaktiver Atommüll muss laut einem Medienbericht wohl deutlich länger in den sogenannten Zwischenlagern bleiben als bisher bekannt. Das besagt ein Gutachten im Auftrag des zuständigen Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Es stammt vom Freiburger Öko-Institut und liegt dem Deutschlandfunk vor. In Baden-Württemberg sind davon Neckarwestheim (Kreis Heilbronn) und Philippsburg (Kreis Karlsruhe) betroffen. Laut dem Bericht könnte die Suche nach einem Endlager noch fünfzig Jahre dauern, also bis 2074.
Genehmigungen laufen deutlich früher aus
Gesetzlich vorgesehen ist eine Endlager-Festlegung allerdings schon für 2031. Das sei laut der Untersuchung aber keinesfalls zu erreichen. "Selbst bei einem idealen Projektablauf muss damit gerechnet werden, dass das Verfahren erst im Jahr 2074 abgeschlossen werden kann", heißt es im Bericht. Der hochradioaktive Müll lagert derzeit in über 1.000 Castor-Behältern in Zwischenlagern an verschiedenen Orten in Deutschland. Für den Standort Neckarwestheim laufen die Genehmigungen 2046 aus, in Philippsburg ein Jahr später. Die Behälter sind zudem nicht für eine derart lange Nutzung in Zwischenlagern konzipiert. In Neckarwestheim sind zurzeit 99 von 151 Behälterstellplätzen belegt.
Verzögerungen kommen nicht überraschend
Neckarwestheims Bürgermeister Jochen Winkler (parteilos) hatte bereits befürchtet, dass das Zwischenlager wohl deutlich länger in Betrieb sein wird als ursprünglich geplant. "Bisher stand der Zeitraum 2046 bis 2068 im Raum. Dass es eher das Ende des Zeitraums wird, war uns allen bewusst. Dass es jetzt über die 70er-Jahre gehen soll, ist eher noch mal eine negative Bestätigung der Befürchtungen", sagte er dem SWR Studio Heilbronn. Außerdem sei für die jetzt lebenden Generationen das Zwischenlager gefühlt ein Endlager. "Dass man jetzt schon sagt, dass ein Verfahren 50 Jahre dauert, ist Wahnsinn", sagte Winkler weiter.
Auch für die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) sind die Verzögerungen keine Überraschung. Ein Sprecher erklärte im SWR, dass sich das Amt seit 2017 auf eine verlängerte Zwischenlagerung vorbereitet: im Wesentlichen mit einem umfassenden Forschungsprogramm, das Alterungseffekte der Behälter und deren Inventare untersucht. Ziel sei es, den sicheren Betrieb der Zwischenlager über den bislang genehmigten Zeitraum von 40 Jahren hinaus zu gewährleisten.
Der Bund der Bürgerinitiativen Mittlerer Neckar (BBMN) sieht die Verzögerungen mit großer Sorge. Sprecher Franz Wagner spricht gegenüber dem SWR von einer Zeitbombe in der Region, durch das laut ihm besonders gefährliche Tunnellager für den radioaktiven Atommüll. Das Bündnis engagiert sich seit Jahren gegen Atomkraft.
Prozess könnte in Vergessenheit geraten
Laut dem Leipziger Klaus-Jürgen Röhlig, Professor für Endlagersysteme, sei die größte Gefahr, dass der Standortauswahlprozess immer weiter verschleppt wird und in Vergessenheit gerät. Im politischen und medialen Raum sei das Interesse bereits zurückgegangen. Deswegen könne es durchaus passieren, dass der Prozess scheitert und es kein Endlager gibt. So könnten die 16 Zwischenlager quasi zu einem Endlager werden.
Mögliche Endlager sollen schneller eingegrenzt werden
Das Öko-Institut hat auf über 300 Seiten noch einmal genau die Zeitschiene für die Endlagersuche analysiert. Unter anderem wurden alle Verfahrensschritte beleuchtet und welche Risiken zu Verzögerungen führen könnten. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hatte schon im vergangenen Jahr veröffentlicht, dass die Suche im schlechtesten Fall bis 2068 dauern könnte. Das Öko-Institut regt deswegen jetzt zur Beschleunigung an, die Zahl der Regionen für mögliche Endlager früher einzugrenzen und damit weniger Standorte intensiver zu untersuchen. Die Standortsuche ist brisant, da ein solches Lager erfahrungsgemäß auf heftigen Widerstand in der ausgewählten Region trifft.
Bundesumweltministerium mit Hoffnung
Das Bundesumweltministerium hofft, schneller ein Endlager für hochradioaktiven Müll zu finden, als das Freiburger Öko-Institut vorhergesagt hat. Bundesumweltministerin Steffi Lemke zufolge bilde das Gutachten die jüngsten Fortschritte nicht ab. "Diese Studie hat nicht alle aktuellen Informationen und Fakten einbeziehen können, weil wir in den letzten Monaten eine Entwicklung hatten, die dynamisch ist", sagte die Grünen-Politikerin der ARD. "Für mich bleibt das Petitum, dass wir so schnell wie möglich ein Endlager finden müssen, das so sicher wie möglich ist - für uns und auch für die kommenden Generationen." Bis wann ein Standort für ein Endlager gefunden sein soll, teilte das Ministerium allerdings nicht mit.