Spitzentreffen im Staatsministerium geplant

Abstriche bei Daten- und Brandschutz? CDU-Fraktionschef fordert mehr Tempo beim Bürokratieabbau

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"Was kann bleiben, was muss weg?" - CDU-Fraktionschef Manuel Hagel will beim Bürokratieabbau in Baden-Württemberg mehr Tempo. Er schlägt dazu Abstriche beim Daten- und Brandschutz vor.

Spitzenvertreter von Landesregierung und Kommunen wollen diese Woche über den Abbau von bürokratischen Hürden und staatlichen Vorschriften beraten. Drei Monate ist es her, da schickten Kommunen und Wirtschaft einen Brandbrief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Sie forderten dringend den Abbau von bürokratischen Hürden und staatlichen Vorschriften. Doch Kretschmann blockte erstmal ab. Der Koalitionspartner will das nicht mehr hinnehmen.

Bäcker will backen, statt mit Bürokratie kämpfen

Auch Bäckermeister Hans Wucherer aus Reutlingen sieht die Zunahme der Bürokratie in seiner Bäckerei kritisch: "Ich bin Bäcker geworden, weil ich gern kreativ arbeite mit den Händen. Ich bin nicht Bäcker geworden, um Formulare und Papierkram auszufüllen - das ist frustrierend." Eineinhalb Tage pro Woche wendet er nach eigenen Angaben nur für die Verwaltung auf, beispielsweise für die Dokumentation der Arbeitszeit oder für das Erstellen von Kontrolllisten, Investitions -und Produktionserhebungen, Gefährdungsbeurteilungen und Datenschutzkonzepte. Insgesamt koste ihn die Verwaltung seiner Bäckerei zwischen 30.000 bis 40.000 Euro im Jahr.

Bis ins kleinste Detail musste er in einem Ordner die Produktionsinhaltstoffe aufführen, was er backt und was an Zusatzstoffen drin ist, erklärt er. Dieser Ordner muss per Gesetz im Laden ausliegen. Mehrere Wochen saß er daran. "Seit acht Jahren wollte das kein Kunde sehen. Wir haben Verkäuferinnen, die das erklären können. Von daher ist das völlig sinnlos." Als sinnlos und umweltschädlich sieht Wucherer auch die Belegpflicht an. Diese wurde eingeführt, um Steuerhinterziehung zu erschweren. Der Bon muss ausgedruckt werden - auch wenn so gut wie kein Kunde einen möchte.

"Bürokratie lähmt und macht die Kleinbetriebe kaputt."

Auch die bisherige Vorsitzende des Normenkontrollrats Baden-Württemberg, Gisela Meister-Scheufelen, sieht den Bürokratieberg skeptisch. Alleine die von ihrem Gremium bei der Landesregierung eingereichten Vorschläge zum Bürokratieabbau im Bäckerhandwerk würden die Bäckereien im Land in fünf Jahren um 70 Millionen Euro entlasten - beispielweise die Abschaffung der handschriftlichen Dokumentation der Kühltemperatur, wenn das Kühlgerät ohnehin reagiert, wenn etwas nicht in Ordnung ist oder bei verschiedenen Behörden die Daten nur einmal hinterlegen. "Ein Bäcker muss wöchentlich im Schnitt zwölfeinhalb Stunden Verwaltungsarbeit machen. Bürokratie lähmt und macht die Kleinbetriebe kaputt", sagt Meister-Scheufelen.

Der Normenkontrollrat hatte 2018 in Baden-Württemberg die Arbeit aufgenommen, um die Politik als unabhängiges Expertengremium beim Abbau von Bürokratie zu beraten und zu unterstützen. Der Rat besteht aus sechs ehrenamtlichen Mitgliedern und ist beim Staatsministerium angesiedelt. In diesem Jahr soll der Rat neu strukturiert und personell neu besetzt werden, hieß es in einer Mitteilung des Staatsministeriums.

Hagel: "Zukunftskonvent" einberufen

Der CDU-Fraktionschef im baden-württembergischen Landtag, Manuel Hagel, hat die Landesregierung aufgefordert, beim Bürokratieabbau stärker voranzukommen. Er schlägt Abstriche beim Daten- und Brandschutz sowie dem Personalvertretungsgesetz im Öffentlichen Dienst vor.

Drei Monate nach dem Brandbrief von Kommunen und Wirtschaft an Ministerpräsident Winfried Kretschmann müsse die Landesregierung nun endlich handeln, sagte Hagel dem SWR.

Er forderte von Kretschmann die schnelle Einberufung eines Zukunftskonvents. "Man müsse sich fragen: "Was kann bleiben? Was muss weg?", so Hagel. "Und genau dafür braucht es diesen Zukunftskonvent, der alle an einem Tisch vereint."

Kretschmann bislang gegen Vorschlag

Kretschmann selbst hat den Vorschlag der kommunalen Spitzen- und Wirtschaftsverbände für einen solchen Konvent bisher immer abgelehnt. Bei so großen Runden komme immer wenig heraus, sagte der Ministerpräsident mehrfach.

Wie der SWR erfuhr, trifft sich an diesem Freitag nun Staatsminister Florian Stegmann mit den Präsidenten der kommunalen Landesverbände, um über das Vorgehen beim Abbau von bürokratischen Hürden und staatlichen Vorschriften zu sprechen.

Heißes Eisen: Personalvertretungsgesetz

CDU-Fraktionschef Hagel hat mehrere Themen für einen solchen Konvent vorgeschlagen: "Etwa bei den Themen Datenschutz, Brandschutz und dem Personalvertretungsgesetz wurden im Laufe der Zeit zahlreiche neue Regelungen und Hürden aufgebaut. Hier haben wir ganz konkrete Themen, die wir sofort anpacken können", sagte er. Im Personalvertretungsgesetz für Beamte sei zum Beispiel geregelt, dass ein Personalrat ab einer bestimmten Größe der Dienststelle für seine Aufgabe freigestellt werden muss.

Die Gewerkschaft ver.di kritisiert den Vorschlag Hagels, das Personalvertretungsgesetz zu beschneiden. Die Regelung sei das "Herz der Demokratie im öffentlichen Dienst des Landes und der Kommunen. Und Demokratie ist nie lästige oder überflüssige Bürokratie", sagte ver.di-Landesvize Hanna Binder dem SWR. Die Personalräte arbeiteten konstruktiv daran mit, Beschäftigte von unnötigen Aufgaben zu entlasten. "Sie stoßen dabei oft an die gleichen Hürden, an denen ihre Dienstherren stolpern", erklärte Binder. "Besser wäre es, ihre Expertise einzubeziehen, wenn es darum geht, Arbeitsabläufe einfacher und flüssiger zu gestalten, als Mitbestimmung pauschal als Hemmnis zu verunglimpfen."

Auch für den Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Baden-Württemberg, Kai Burmeister, sind die Abstriche beim Personalvertretungsgesetz völlig fehl am Platz. "Jeden Tag setzen sich Personalrätinnen und Personalräte für bessere Arbeitsbedingungen in unseren Verwaltungen ein: Sie thematisieren komplexe Themen und finden gemeinsam mit den Dienstherren Lösungen dafür", sagt Burmeister. Die CDU solle sich besser für eine weitere Stärkung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst stark machen, anstatt das Personalvertretungsgesetz aufweichen zu wollen.

Hagel: "Alles auf den Tisch"

Hagel forderte beim Treffen des Staatsministers mit den Präsidenten von Städte-, Gemeinde- und Landkreistag müsse es unbedingt vorangehen. "Am Freitag muss alles auf den Tisch. Wir brauchen einen klaren Zeitplan, einen Prozess und eine gemeinsame Zieldefinition. Nur dann kann uns ein echter Frühjahrsputz gelingen", sagte der CDU-Politiker. Der Zukunftskonvent könne nur ein Erfolg werden, "wenn Parlament, Verwaltung, Unternehmen und die kommunalen Verbände mit einem klaren Auftrag und einem Ziel an die Sache herangehen".

Hagel sagte, die Regierung müsse mit Bürokratie anders umgehen als bisher. "Die Zeit ist reif für ein neues Mindset und für mehr Eigenverantwortung." Politik und Verwaltung dürften nicht mehr nur neue Gesetze und Verordnungen beschließen, "sondern jetzt gilt es vor allem, nicht mehr zwingend notwendige Regelungen abzuschaffen".

Hagel: Mit jeder neuen Regelung eine andere abschaffen

Dass dies funktioniere, habe Grün-Schwarz mit der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens beim Bau von Windkraftanlagen bewiesen. "Damit wir zeigen, dass es uns ernst ist, mit dem neuen Mindset, sollten wir uns als Politik selber dazu verpflichten, mit jeder neuen Regelung eine andere abzuschaffen."

Kretschmann hatte jüngst erklärt, auf die Rufe nach einer Absenkung von Standards sei er extra nicht eingegangen. In vielen Bereichen brauche man hohe Standards. "Mit allgemeinen Überschriften ist dem Thema nicht beizukommen." Für ihn sei klar: "Ich mache das eher über den Aspekt Bürokratieabbau, nicht über die Absenkung von Standards." Den von den Kommunen vorgeschlagenen Zukunftskonvent lehnte er bisher ab. Mehrfach sagte er, man suche noch nach einem angemessenen Gesprächsformat.

Vor Kurzem beschwerte er sich dann in einem Interview über die Haltung der CDU. "Da macht unser Koalitionspartner von der CDU gerne markige Sprüche: Für jede neue Regel sollen zwei raus. Mit solchen Sprüchen fängst du gar nichts an", sagte er der "Schwäbischen Zeitung". Er bezog sich dabei auf Hagel, der vor Monaten eine solche Regelung ins Gespräch gebracht hatte, sie aber mittlerweile etwas abgeschwächt hat.

SPD hält Kretschmann für unglaubwürdig

SPD-Fraktionschef Andreas Stoch sagte, Hagels Vorschläge gingen in die falsche Richtung. Wer glaube, unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus die betriebliche Mitbestimmung und damit die Rechte der Beschäftigten zu schwächen, sei auf dem Holzweg. "Und dass der CDU-Fraktionschef wenige Tage nach der Brandkatastrophe in einem Reutlinger Pflegeheim mit drei Toten eine Aufweichung des Brandschutzes fordert, ist zumindest politisch unsensibel", so Stoch.

Es gebe aber eine ganze Reihe bürokratischer Hemmnisse, die die Landesregierung in den vergangenen Jahren selbst angehäuft und nun als erstes wieder beseitigen sollte: "Wenn der Ministerpräsident nach fast zwölfjähriger Amtszeit plötzlich den Bürokratieabbau für sich entdeckt, ist das wenig glaubwürdig. Schließlich hat er in den vergangenen Jahren einen Haufen Bürokratiemonster selbst erschaffen", sagte Stoch.

Frist bis 31. Januar Knapp zwei Drittel der Grundsteuererklärungen in BW abgegeben

In knapp einer Woche läuft die Frist für die Grundsteuererklärung aus. In Baden-Württemberg fehlen noch fast 40 Prozent der Erklärungen. Doch Mahnungen soll es zunächst nicht geben.

Als jüngstes Beispiel nannte die SPD den "Alleingang" Baden-Württembergs bei der Grundsteuer. "Büßen müssen das jetzt die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, die an ihrer Feststellungserklärung verzweifeln." In Baden-Württemberg gebe es keine vereinfachten Verfahren für die insgesamt 5,6 Millionen neu zu bewertenden Grundstücke wie in anderen Ländern. Zudem hake es mit den eilig erhobenen Bodenrichtwerten.

SPD: "Zeitraubende Rechtsstreitigkeiten"

Die SPD erinnerte zudem an den Streit von Grünen und CDU um die Fahrrad-Stellplatzpflicht für Wohnungen. "Heraus kam mit der Novelle der Landesbauordnung von 2019 eine Regelung, die sich an einem 'regelmäßig zu erwartenden Bedarf' orientiert." Nun müssten die unteren Baurechtsbehörden nach den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort entscheiden, ob und wie viele Fahrradstellplätze in der Zukunft benötigt und damit errichtet werden müssen. Hier seien "zeitraubende Rechtsstreitigkeiten auf der Tagesordnung".

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Neuer Rückschlag für Kretschmann Ausbau der Windkraft: BW kann Ziel wohl auch 2023 nicht erfüllen

Für Ministerpräsident Kretschmann ist es das große Ziel dieser Legislaturperiode: Er will den Ausbau der Windkraft wieder in Gang bringen und dafür die langwierigen Verfahren beschleunigen. Doch so richtig fruchtet das noch nicht.

Zum Symbol für die Überbürokratisierung im Land sei der schleppende Ausbau der Erneuerbaren Energien geworden. "PV-Anlagen, Windräder oder Geothermieanlagen sind mit einem absurden Bürokratieaufwand verbunden", moniert die SPD weiter. Bauanträge könnten bis heute nicht digital eingereicht werden. "So muss für den Antrag zu einer Windkraftanlage schon mal ein Kleinbus voller Aktenordner zu den verschiedenen Behörden gekarrt werden." Für alle Windkraftanlagen müssten dieselben Vogelschutzgutachten eingeholt und dieselben Abstände eingehalten werden - und das, obwohl die Technik hier schon längst weiter sei.

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Das breite Bündnis aus Kommunen und Wirtschaft hatte in dem Brief Ende Oktober erklärt, um die wirtschaftliche Stärke des Landes trotz vieler Krisen zu erhalten, sei ein "grundsätzlicher Reformprozess" notwendig.

Kretschmann reagierte kühl auf das Schreiben mit dem Titel: "In großer Sorge um unser Land". Zwar müsse man "bürokratische Hemmnisse" abbauen, aber für vieles sei das Land der falsche Ansprechpartner. Kretschmann sieht auch die Kommunen selbst in der Pflicht, Bremsen zu lösen, etwa bei Genehmigung von Windrädern. Ansonsten hänge viel an Bund und EU.

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