Landwirte arbeiten nicht nur auf dem Feld oder im Stall. "Landwirt" ist manchmal auch ein Schreibtisch-Job. Dabei klagen viele Bäuerinnen und Bauern über ausufernde Bürokratie, wie Hartmut Kümmerle aus dem Landkreis Heidenheim. Er bewirtschaftet 175 Hektar Land – unter anderem mit Brotweizen. Und er hat etwa 900 Schweine.
Landwirte klagen über zu viel Bürokratie
Saatgut, Düngemittel, Tierfutter – alles, was auf seinen Hof kommt, müsse er bis ins kleinste Detail festhalten und auch alles, was ihn wieder verlässt. Der Aufwand für den Betrieb sei "gigantisch".
Nach einer Umfrage des Branchen-Dienstes topagrar unter Landwirten verbringen über 40 Prozent der Befragten mehr als fünf Stunden pro Woche mit Dokumentationen, Meldungen und Kontrollen. Zeit, die sie gerne anders nutzen würden.
Bauernverband hat weitreichende Forderungen
In einem aktuellen Forderungspapier macht sich der Deutsche Bauernverband (DBV) für Bürokratieabbau stark. Er fordert aber nicht nur weniger Papierkram oder berufliche Bildschirmzeit. Nach Meinung des DBV entsteht Bürokratie vor allem durch gesetzliche und andere Vorgaben. Deshalb will der Verband etliche Regeln ersatzlos streichen – etwa das aus seiner Sicht weitgehende Verbot von Pflanzenschutzmitteln in bestimmten Schutzgebieten oder das Verbot, das umstrittene Herbizid Glyphosat in Wasserschutzgebieten einzusetzen.
Es soll einfacher werden, Tiere zu töten, die geschützt sind, aber Schäden in der Landwirtschaft anrichten – wie Gänse, Biber oder Wölfe.
Der Agrardiesel soll zumindest nicht höher besteuert werden als im europäischen Schnitt. Wegen des Wettbewerbs in Europa sollen deutsche Vorschriften nicht über EU-Vorgaben hinausgehen. Neue Regeln sollten "praxisorientierter" entwickelt werden. Das sind nur Beispiele. Die Wunschliste rund um weniger Vorschriften und mehr Einkommen ist insgesamt 17 Seiten lang. Und der Verband will die Aufzählung laufend ergänzen.
Politik geht schon länger auf Bauernverbände zu
Das CDU-geführte Landwirtschaftsministerium in Stuttgart hat sich zuletzt für eine Reihe von Erleichterungen für die Landwirte ausgesprochen. In Brüssel und Straßburg sind die Interessenvertreter der Agrar-Branche mit ihren Anliegen bereits vor Beginn der Bauernproteste auf offene Ohren gestoßen: So hat die EU-Kommission im November entschieden, Glyphosat für weitere zehn Jahre zuzulassen.
Kurz darauf ist ein geplantes EU-Pestizidgesetz, das den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 halbieren sollte, im EU-Parlament gescheitert - am Widerstand von Konservativen, Rechten und Abgeordneten von Liberalen und Sozialdemokraten.
Wegen fehlender Mehrheit der Mitgliedsstaaten wackelt inzwischen außerdem das EU-Renaturierungsgesetz, das die EU-Länder verpflichten soll, beschädigte Ökosysteme wiederherzustellen. Es gilt als wichtiger Baustein im Kampf gegen Artensterben und Klimakrise. Rund 3.300 Wissenschaftler hatten sich in einem öffentlichen Aufruf unter anderem für dieses Gesetz eingesetzt. Bauernverbände haben es lange bekämpft.
Seit Landwirte in verschiedenen europäischen Ländern auf die Straße gehen, rudert die EU-Kommission auch bei Umweltanforderungen der Agrarpolitik zurück.
Brachen sind wichtig für den Artenschutz
Eigentlich gibt es für Landwirte die Pflicht, mindestens vier Prozent ihrer Ackerflächen für Brachen, Hecken oder Bäume zu reservieren, wenn sie Direktzahlungen aus Brüssel bekommen wollen. Diese Pflicht hat die EU auf Druck der Bauern teilweise ausgesetzt, und Deutschland zieht mit. Dabei fördern Brachen die Artenvielfalt.
Das stark bedrohte Rebhuhn zum Beispiel braucht vielfältige Agrarlandschaften mit Brachen, mehrjährigen Blühflächen, Feldrainen und Hecken, erklärt René Greiner vom Landesjagdverband Baden-Württemberg. Dass Brachen keine Pflicht mehr sind, sieht er kritisch.
Johannes Enssle, Landesvorsitzender des NABU Baden-Württemberg, kann nachvollziehen, dass die Bauern weniger Bürokratie wollen. Allerdings beziehen die Landwirte im Schnitt knapp die Hälfte ihres Einkommens aus staatlichen Subventionen, also Steuergeldern. Deshalb müssten sie auch damit leben, dass sie Auflagen zu erfüllen haben, so Enssle.
Was der Deutsche Bauernverband in seinem Forderungskatalog anstrebe, sei eine Schwächung des Natur- und Artenschutzes. Das gipfele in der Forderung, den Umweltverbänden die Klagerechte zu nehmen. Für den NABU kommt das einer Kriegserklärung gleich.
NABU: Umweltpolitisches Rollback im Vorfeld der Europawahl
Der NABU-Landesvorsitzende Enssle befürchtet eine umweltpolitische Rolle rückwärts - auch wegen der anstehenden Europawahl. Ökologische Standards abzuschaffen, verschlimmere die Strukturprobleme der Landwirtschaft, statt sie zu lösen, ist er überzeugt. Von konsequentem Naturschutz dagegen profitierten die Landwirte ganz direkt.
Nach Ansicht von Enssle müsse es jetzt um einen echten Bürokratieabbau gehen: einfachere Verfahrensabläufe und eine bessere technische Infrastruktur bei der Beantragung von Agrarfördermitteln.