Man hat damals regelrecht zusehen können, wie der Pegel gestiegen ist, erinnert sich Rocco Fazzari, der Hafenmeister in Konstanz. Vor 25 Jahren war er auf dem Bodensee Steuermann bei der Weißen Flotte auf der "MS München". Ihm und seinen Kollegen zeigte sich damals die ganze Kraft der Natur. Nachdem es im Mai mehrmals extrem starke Regenfälle gegeben hatte, kam es um Pfingsten 1999 am Bodensee zum Hochwasser. Allein vom 21. auf den 22. Mai 1999 stieg der Bodenseepegel in gerade einmal 24 Stunden um rund 45 Zentimeter. Straßen und Keller standen unter Wasser, genauso wie Campingplätze und Ackerflächen. Kläranlagen mussten abgestellt und Badeverbote erlassen werden.
So berichtete der SWR 1999 in einer Sondersendung über das Hochwasser:
In Konstanz erreichte der Pegel am 24. Mai 1999 den Stand von 5,65 Meter. Es ist das vierthöchste Hochwasser seit 1816/17. In der Stadt reichte das Wasser bis zum Konzil. 20.000 Sandsäcke wurden verteilt. "In Konstanz musste man dann Stege bauen, in die Werft konnte man nur noch mit Gummistiefeln. Den Müll mussten wir mehr oder weniger mit einem Beiboot entsorgen", erzählt Rocco Fazzari.
Auch der Direktor der städtischen Museen in Konstanz erinnert sich noch ganz genau. Im Garten seiner Eltern stand ein alter Holzschopf. Schon bald stand das Wasser dort nicht wie sonst drei bis vier Zentimeter, sondern brusthoch.
Hochwasser setzt 33 Quadratkilometer unter Wasser
Von Bregenz bis Konstanz - überall trat das Wasser über die Ufer. Insgesamt wurden 33 Quadratkilometer überschwemmt. Rund 20 davon im Obersee, 13 Quadratkilometer im Untersee. Das geht aus einer Chronik des Bodenseekreises hervor. Auch Martin Wessels vom Institut für Seenforschung in Langenargen (Bodenseekreis) hat das Pfingsthochwasser vor 25 Jahren noch lebhaft vor Augen: "Ich denke da zum Beispiel an die Reichenauer Insel, wo der Inseldamm nicht mehr befahrbar war. Das ganze Gemüse musste mit hochachsigen Lastwagen oder per Schiff auf das Festland gebracht werden." Feuerwehr und Bundeswehr transportierten damals Lebensmittel, Post und Medikamente auf die Insel Reichenau (Kreis Konstanz).
Martin Wessels vom Institut für Seenforschung über die Gründe für das Hochwasser:
Im Jahr 1999 kommen eine große Schneeschmelze und viel Regen zusammen. Der hohe Niederschlag sei letztlich entscheidend für das Hochwasser an Pfingsten gewesen, sagt Martin Wessels vom Institut für Seenforschung. Außergewöhnlich sei auch der Zeitpunkt gewesen, denn normalerweise sei das Hochwasser im See aufgrund der Schneeschmelze und der Niederschläge einen Monat später.
Bodenseepegel in Konstanz
Die Angst vor den fehlenden Touristen am Bodensee
Für Ute Stegmann, heute Geschäftsführerin der Bodensee Tourismus GmbH, war das Hochwasser von 1999 ein einschneidendes Erlebnis. Es war ihr zweites Jahr am Bodensee und sie leitete damals die Touristeninformation in Immenstaad (Bodenseekreis). Viele Anrufe von besorgten Gästen gingen damals bei ihr ein. Immer wieder die Frage danach, ob ihre Unterkünfte vom Hochwasser betroffen sind. Sie erinnert sich noch an die vollgelaufenen Keller von Betrieben, Pensionen und Hotels und wie sehr sie vom Hochwasser getroffen wurden. In Erinnerung ist ihr aber auch noch die Neugierde, die das Hochwasser bei den Menschen ausgelöst hat.
Schätzungen gingen damals von einem Schaden von rund 80 Millionen Mark auf baden-württembergischer Seite aus. Fehlende Touristen und die Sorge, ob das so bleibt, das beschäftigte die Region. Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) und die Landesregierung kündigten unter anderem eine Werbekampagne für das Bodenseegebiet und die Reichenau an.
Hochwasser bedroht auch Bregenzer Festspiele
Vier Wochen lang blieben die Pegelstände am Bodensee hoch und machten damit auch die Bregenzer Festspiele lange zu einer Zitterpartie. Das Jahrhunderthochwasser setzte nicht nur Teile der Zuschauerränge unter Wasser, sondern auch den Orchestergraben. Doch Verdis "Maskenball" feierte im Juli pünktlich Premiere. Das Bühnenbild der Bregenzer Seebühne zeigte ein überdimensionales Skelett.
Treibholz bedroht den Uferbereich im Obersee
Millionen von Kubikmetern Wasser flossen rund um Pfingsten 1999 dem Bodensee zu, und sie brachten noch ein weiteres Problem mit sich: Treibholz. Vor Kressbronn und Langenargen (beide Bodenseekreis) sammelten sich große Flächen wie ein Holzteppich und brachten so Stege, Boote und Häuser in Gefahr.
Schwere Baggerschiffe fischten es deshalb aus dem Wasser, doch nicht überall gelang das rechtzeitig. Das alte Römerbad in Lindau wurde bei einem Sturm zerstört. Treibholz zerschlug die Badestege.
Auch Rocco Fazzari, damals Steuermann bei der Weißen Flotte, hat das Bild noch gut vor Augen: "Das war natürlich extrem, was von den Bergen alles runtergekommen ist, ganze Baumstämme." Die Schiffsführer mussten deshalb aufpassen, dass kein Gehölz den Antrieb beschädigt, und mit äußerster Vorsicht fahren. Durch die hohen Pegelstände war der Schiffsbetrieb ziemlich eingeschränkt, erzählt Fazzari. "Man musste extrem langsam fahren und konnte auch nicht überall die Fahrgäste rauslassen." Viele Stege standen unter Wasser. "Es war schon extrem damals."
In Wangen im Allgäu trat die Argen über die Ufer
Das Pfingsthochwasser traf aber nicht nur den Bodensee. In Wangen im Allgäu (Kreis Ravensburg) trat 1999 zur selben Zeit die Argen über ihre Ufer. Christoph Bock, heute Stadtbrandmeister, war als Feuerwehrmann im Einsatz. Der 49-Jährige kannte die Argen schon immer gut und wusste, wie schnell sie steigen, aber auch fallen kann. Dass das Wasser letztlich so weit über das Ufer trat, überraschte ihn dann aber doch.
Am Freitagabend, den 21. Mai 1999, stieg in Wangen die Argen rasant an. Nur wenige Stunden später stand das Wasser in der Stadt teils 70 Zentimeter in den Straßen, heißt es in der Zeitlinie der Stadt. Fast ohne Pause arbeiteten die Feuerwehrkräfte an diesem Wochenende durch, erinnert sich Christoph Bock. Tausende Sandsäcke schichteten er und viele andere um die Altstadt zu schützen. Gebäude wurden evakuiert, Keller ausgepumpt. Viele Bilder bleiben Christoph Bock in Erinnerung: Eine Tiefgaragentür, die dem Wasser nicht mehr standhalten konnte, überschwemmte Sportplätze, Anwohner, die mit Angst und Überforderung kämpften, der Müll und Dreck danach und auch die bittere Erkenntnis: Man kann nicht alles retten.
Die Altstadt von Wangen habe nur wenig Schaden genommen, sagt Christoph Bock. Doch in den Wohngebieten um die Argen sah es anders aus. Auch hier entstand ein Millionenschaden. Über ein Dutzend Tiefgaragen wurden geflutet, dazu gab es laut Regierungspräsidium Tübingen Schäden an hunderten Gebäuden.
Lehren für den Hochwasserschutz im Allgäu und am Bodensee
Das Pfingsthochwasser löste aber auch einen Aha-Effekt aus, berichtet Stadtbrandmeister Christoph Bock. In Wangen habe sich seitdem viel im Hochwasserschutz getan. Ein Hochwassereinsatzplan gibt nun genau vor, was bei welchem Pegelstand zu tun ist. Genau bestimmt ist etwa, wo Sandsäcke gelagert und abgefüllt werden sollen. Feststeht auch, ab welchem Zeitpunkt mobile Schutzbauten die Altstadt sichern sollen. Und auch das Regierungspräsidium Tübingen verweist darauf, dass seitdem verschiedene Maßnahmen, wie Dammbauten, ergriffen worden sind. 2005 konnten so bei einem ähnlichen Hochwasser Schäden verhindert werden.
Auch am Bodensee hat sich seit dem Jahrhunderthochwasser von 1999 viel im Hochwasserschutz getan. Wie es vom Umweltministerium in Baden-Württemberg heißt, ist die Zusammenarbeit am See mit der Schweiz, Österreich und Bayern deutlich enger geworden. In einem Gremium tauscht man sich immer wieder aus und bewertet Risiken. Auch die Hochwasservorhersage ist am See inzwischen einheitlich. Zentrale Hochwassergefahrenkarten zeigen zudem an, wo das Wasser über die Ufer treten könnte. Im Schutz vor dem Wasser wird immer wieder auch darauf gesetzt, Fläche zu renaturieren und dabei gleichzeitig Raum für Wassermassen zu schaffen.
In Bayern rund um Lindau geht der Schutz in eine ähnliche Richtung. Flüsse und Wildbäche wurden ausgebaut, damit diese nicht so schnell überlaufen, berichtet das Wasserwirtschaftsamt Kempten. Auch Deiche wurden zurückverlegt, damit das Wasser mehr Platz hat. Außerdem entstanden sechs neue Regenrückhaltebecken in Lindau. Insgesamt seien seit 1999 über 20 Millionen Euro in den Schutz der Stadt geflossen.