Ein Jahr nach Atomausstieg

FDP in BW kann sich Rückkehr zur Kernkraft vorstellen

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Vor knapp einem Jahr ging in Neckarwestheim das letzte Atomkraftwerk in BW vom Netz. Unternehmen und Privathaushalte leiden unter hohen Strompreisen. Die FDP hat da eine Idee.

Die FDP in Baden-Württemberg kann sich eine Rückkehr zur Atomkraft in Deutschland vorstellen. FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte am Donnerstagabend in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg", dafür müssten sich die politischen Machtverhältnisse ändern. "Wenn sich politische Gegebenheiten ändern, dann ändert sich möglicherweise auch die politische Haltung zur Kernenergie", erklärte der Liberale, der auch Mitglied im FDP-Bundespräsidium ist. Es gehe darum, sicherzustellen, dass es bezahlbaren Strom für Unternehmen und Privathaushalte in Deutschland gibt. Man dürfe nicht hinnehmen, dass Firmen wegen der Strompreise ins Ausland abwandern. Der Atomausstieg vor knapp einem Jahr, bei dem die letzten drei Meiler abgeschaltet wurden, sei ein Fehler gewesen.

Rülke: Abschaltung der Atomkraftwerke war schlecht fürs Klima

Rülke verwies auf die Pläne anderer europäischer Länder wie Frankreich oder Großbritannien zum Bau neuer Atomkraftwerke. "Die anderen europäischen Länder zeigen es ja und die sind nicht alle doof." Es sei notwendig, diese Option weiter zu betrachten. "Es wird auch zu bedenken sein, dass - seit wir die Kernkraftwerke abgeschaltet haben - der Anteil der Fossilen am Energiemix wieder gestiegen ist. Und das kann doch nicht das Ziel sein einer Klimaschutzpolitik."

FDP: Renaissance der Atomkraft womöglich mit neuer Regierung

Der FDP-Fraktionschef erläuterte, momentan sei an eine Rückkehr zur Atomkraft in Deutschland nicht zu denken. Die FDP sei nun mal Teil einer Ampel-Bundesregierung mit den Grünen. "Ich mache nicht jeden Morgen beim Aufstehen Luftsprünge vor Begeisterung, dass es so ist, aber es ist nun mal so.

In einer solchen Situation schaffen sie es politisch nicht zu einer Renaissance der Kernenergie zu kommen." Es sei aber richtig, dass zum Beispiel am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) weiter zur Atomkraft geforscht werde. Offensichtlich mit Blick auf eine denkbare Koalition mit CDU/CSU nach der Bundestagswahl 2025 sagte Rülke: "Wenn sich Gegebenheiten ändern, kann es sein, dass wieder andere Entscheidungen getroffen werden."

Hier können Sie die komplette Sendung noch einmal ansehen:

Umweltministerin spricht von "Geisterdebatte"

Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) hielt dagegen und sagte: "Das ist eine Geisterdebatte, die geführt wird." Neue Atomkraftwerke seien schon wegen der immensen Kosten keine Lösung. Dank der Maßnahmen der Bundesregierung liege Deutschland bei den Strompreisen für Unternehmen im europäischen Mittelfeld.

Aus den europäischen Ländern, die einen Ausbau der Atomkraft planten, höre sie bisher nur Ankündigungen. "Das ist nicht wirtschaftlich." Sie kenne keinen Energiekonzern, der wieder einsteigen wolle. Der französische Staat subventioniere den hochverschuldeten Energiekonzern EDF massiv. Walker hielt Rülke entgegen, es passe nicht zu einer marktwirtschaftlichen Partei, auf subventionierte Energie zu setzen. Auch die Unternehmen in Baden-Württemberg wollten grünen Strom haben.

Wäre ein Wiedereinstieg in die Atomenergie technisch möglich?

"Grundsätzlich ja", sagte der Physiker Ulrich Waas, ein ehemaliges Mitglied der Reaktorsicherheitskommission, kürzlich dem ZDF. Denn bei vielen abgeschalteten Kernkraftwerken seien wesentliche Komponenten nach wie vor vorhanden. Laut dem Experten kämen von den sechs zwischen 2021 und 2023 abgeschalteten Kernkraftwerken in Deutschland fünf für einen Weiterbetrieb in Frage, darunter eines in Baden-Württemberg: Neckarwestheim 2. Bei Gundremmingen C seien die Abbauarbeiten schon zu weit fortgeschritten.

Allerdings würde eine erneute Inbetriebnahme nicht von heute auf morgen funktionieren. Waas rechnet mit einer Dauer von ein bis zwei Jahren. Denn vor einer erneuten Inbetriebnahme wären Sicherheitsprüfungen nötig, die noch aufwendiger ausfielen, sofern die Kraftwerke bereits die "Full System Decontamination" durchlaufen hätten. Dabei handelt es sich um eine Art Säuberung wichtiger Komponenten des Kernkraftwerks mit sehr aggressiven Chemikalien.

Noch länger würde wahrscheinlich der Bau neuer Kernkraftwerke dauern. Man könne man von einer Bauzeit von 15 bis 20 Jahren ausgehen, sagte Gunnar Luderer vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung dem Deutschlandfunk. Die lange Bauzeit von rund zwei Jahrzehnten bestätigte dem Bayerischen Rundfunk gegenüber auch der Kernenergieexperte Uwe Stoll von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit.

Walker verspricht "mittel- bis langfristig" sinkende Strompreise

Die grüne Umweltministerin zeigte sich überzeugt, dass der Umstieg auf Erneuerbare Energien "mittel- bis langfristig" dazu führen werde, dass die Strompreise sinken. "Es ist der richtige Weg." Mittlerweile liege der grüne Strom bei über 50 Prozent im Energiemix. "Wann immer sie fossile Kraftwerke zuschalten müssen, wird der Strompreis teurer." Walker appellierte an die Menschen: "Man sollte sich nicht kirre machen lassen." 

Zugleich zeigte sich die Grünen-Politikerin offen für weitere Forschung zur Atomkraft. "Gegen Forschung spricht natürlich gar nichts. Wenn es neue Technologien gibt, kann man die auch nutzen." Gleichwohl verwies sie auch darauf, dass die Frage der Entsorgung des Atommülls längst nicht geklärt sei. 

Rülke sagte, man sei sich zumindest einig, dass die erneuerbaren Energien ausgebaut werden müssten. Aber: "Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir mit Erneuerbaren Energien den Bedarf von Unternehmen und Privathaushalten in Baden-Württemberg decken können." Der FDP-Politiker plädierte unter anderem für Energiepartnerschaften mit Ländern, "wo mehr Sonne scheint und wo mehr Wind weht".

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