In Stuttgart wohnen acht türkischstämmige Seniorinnen und Senioren in einer Pflegewohngemeinschaft, in der sie individuell und unter Berücksichtigung ihrer Kultur betreut werden. Die Bewohnerinnen und Bewohner der WG, von denen viele an Demenz leiden, sind zwischen 80 und 92 Jahre alt und leben in zwei barrierefreien Vierzimmerwohnungen. Treffpunkt innerhalb der Wohngemeinschaft ist zum einen die gemeinsame Wohnküche, zum anderen die Terrasse, auf der die Seniorinnen und Senioren die Frühlingssonne genießen können. Betreut werden sie von einem ambulantem Pflegedienst, der sich auf türkischsprachige Migrantinnen und Migranten spezialisiert hat.
Kultursensible Pflege steht im Mittelpunkt
Eine der Altenpflegerinnen, die für das Wohlergehen der Bewohnerinnen und Bewohner sorgt, ist Esma Öztürk. Für sie ist es "das A und O" den Seniorinnen und Senioren das Gefühl zu geben, "wahrgenommen zu werden". Das habe viel mit Respekt vor dem Alter zu tun, sagte Öztürk dem SWR. Auch wichtig sei das "Familiäre" in der Pflege-WG.
Die Idee zu dieser Wohngemeinschaft hatte der Diplom-Ingenieur Ergun Can im Jahr 2016 entwickelt. Er und seine Frau waren damals durch die Pflege seiner an Demenz erkrankten Schwiegermutter überfordert. Can brachte sie daraufhin in einem Pflegeheim unter. Doch er merkte, dass sie sich dort nicht wohl fühlte. Sie verstummte, weil sie nicht in ihrer Sprache sprechen konnte - eine Folge der Demenzschübe, wie Can dem SWR erklärte.
Da seine Schwiegermutter nicht die einzige war, die unter den Folgen der Demenz litt, zog Can Konsequenzen. Um das Pflege-Modell der Wohngemeinschaft für Demenzkranke zu fördern, gründete er einen Verein. Bald darauf konnte die kultursensible Pflege-WG ihren Betrieb in Stuttgart aufnehmen.
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WG soll ein "warmes Umfeld" sein
Die Wohngemeinschaft wird selbstverwaltet. Bewohner, Angehörige, der Pflegedienst und der Förderverein entscheiden wichtige Beschlüsse gemeinsam und teilen sich die Aufgaben. Zum Beispiel wird der Speiseplan zusammengestellt. Hier zeigt sich unter anderem, dass auf die Kultur der Bewohnerinnen und Bewohner eingegangen wird. Da die Seniorinnen und Senioren Muslime sind, ist Schweinefleisch tabu. Wer beten will, dem wird bei der rituellen Waschung vor dem Beten geholfen. Und auch islamische Feiertage wie das Opferfest werden zusammen gefeiert.
Ständige Begleiterin des WG-Lebens ist die Demenz. Pflegeleiterin Öztürk spricht von Stimmungsschwankungen der Bewohnerinnen und Bewohnern, bedingt durch die Schübe der Krankheit. Wichtig sei dann Verständnis zu zeigen und zu versuchen, sich in die Person hinein zu versetzen, so Öztürk. Man müsse den Bewohnerinnen und Bewohnern zum Beispiel erklären, dass man gerade nicht in der Türkei ist, sondern in Deutschland. "Wir achten darauf, dass die Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam zusammen frühstücken, gemeinsam Mittag essen. Dass sie dieses Gefühl haben, ich bin zuhause, ich bin in einem warmen Umfeld", sagte die Pflegeleiterin dem SWR.
Der Bedarf nach weiteren WGs ist groß
Für Initiator Can und Altenpflegerin Öztürk ist das kultursensible Pflegemodell in Wohngemeinschaften ein gutes Beispiel der Betreuung von türkischen Seniorinnen und Senioren, die sich entschieden haben, ihren Lebensabend in Deutschland zu verbringen. "Der Bedarf ist groß. Wir brauchen sicherlich zwei bis drei weitere WGs", so Can. Und auch für Öztürk ist dieses WG-Konzept die Zukunft.