Ohne die Aufnahmen von Überwachungskameras wäre der Raubmord an einer 62-Jährigen am Ravensburger Bahnhof vielleicht nie aufgeklärt worden. Eine 15-Jährige hatte die Frau vor knapp zwei Jahren mit einem Messer tödlich verletzt und ihre Handtasche gestohlen. "Es war Corona-Zeit. Wir hatten so gut wie keine Zeugen auf der Straße", erzählt Polizeipräsident Uwe Stürmer. "Deswegen war die Auswertung der Videoaufzeichnungen der umliegenden Unternehmen ein ganz zentraler Schlüssel zur Aufklärung des Falls." Eine private Kamera hatte festgehalten, wie die Täterin die erbeutete Handtasche durchsuchte. Am Bahnhof selbst ist Filmen verboten - aus Datenschutzgründen.
Polizist: Aufklärung war ohne Kameras oft nicht möglich
Es sei nicht der einzige Fall, der nur durch private Videoaufnahmen geklärt werden konnte. So wurde beispielsweise vor etwa fünf Jahren ein Täter gefasst, der mit vergiftetem Babybrei in Supermarktregalen Lebensmittelkonzerne erpressen wollte.
Stürmer fehle das Verständnis dafür, dass Kameras in fast jedem Geschäft betrieben werden - aber am Bahnhof an so hohe Hürden gebunden sind, dass diese nicht zu erfüllen seien. Die Debatte darum werde aus seiner Sicht ideologisch und wenig pragmatisch geführt. "Ich nehme bei vielen Menschen ein Kopfschütteln wahr, worin das Problem liegt, wenn eine Kamera sicherheitshalber Aufnahmen macht, die niemand anschaut, wenn nichts passiert."
Datenschutzbeauftragter: Anlasslose Überwachung problematisch
Doch aus Sicht des Landesdatenschutzbeauftragten Stefan Brink ist die Sache nicht so einfach: "Wenn staatliche Stellen Bilder machen, überwachen sie Bürgerinnen und Bürger, gegen die kein Verdacht vorliegt", sagte Brink in der SWR-Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg". So eine anlasslose Überwachung sei problematisch. Menschen verhielten sich weniger frei, wenn sie sich beobachtet fühlten.
"Als Datenschützer wollen wir, dass die Polizei ihren Job macht - aber sie muss das gezielt tun", so Brink. Eine Videoüberwachung mit intelligenten Algorithmen, wie sie beispielsweise gerade in Mannheim getestet wird, sei aber möglich. In dem Fall soll eine künstliche Intelligenz nur dann Alarm schlagen, wenn tatsächlich etwas passiert.
Arzt: Verhältnis von Arzt zu Patient in Gefahr
Markus Klett, Arzt in Stuttgart, beklagt, in seiner Praxis werde der Datenschutz immer mehr zum Sand im Getriebe. "Wenn Sie das immer umständlicher machen, immer aufwändiger, dann kommen Sie zum Kerngeschäft gar nicht mehr", sagt er.
Vor allem die Kommunikation werde erschwert, wenn man beispielsweise im Krankenhaus anrufe und die Stationsschwester einem mitteile, sie dürfe keine Auskunft geben. Auch Gespräche am Empfang müssen laut Datenschutz so geführt werden, dass sie keiner mithören kann - das sei fast unmöglich. Generell sei Datenschutz eine gute Sache. Aber das Verhältnis von Arzt zu Patient sei in Gefahr, wenn die Spielräume immer enger werden.
Mangelnde Daten erschweren medizinische Forschung
Auch die Forschung hat es nicht leicht. Unternehmen hätten oftmals keine Berechtigung, Daten "nutzbringend in Forschung und Entwicklung einzusetzen", heißt es vom Pharmaunternehmen Roche Deutschland in Grenzach-Wyhlen (Kreis Lörrach). Diese ideologischen Hürden in Bezug auf Datenschutz gebe es so fast nur in Deutschland.
Das unterstreicht auch Dorothea Wagner, Vorsitzende des Wissenschaftsrats: "Die europäische Datenschutz-Grundverordnung erlaubt eigentlich sehr viel, was die Nutzung von Gesundheitsdaten für die Forschung angeht. Nur in Deutschland wird sie extrem streng ausgelegt." Andere Länder wie Dänemark, Finnland oder Frankreich hätten so einen Standortvorteil. Ideen, Forschungsaufträge und Forscher drohten dahin abzuwandern, wo die Bedingungen besser seien.
Brink setzt auf Beratung
Der Landesdatenschutzbeauftragte will vor allem auf Beratung setzen - für Bürgerinnen und Bürger und auch für die Wissenschaft. "Die Universitäten, mit denen wir in Kontakt stehen, die haben bisher immer eine Lösung gefunden", so Brink im SWR.
Vereine könnten sich beispielsweise auf der Seite der Landesdatenschutzbehörde eine rechtssichere Datenschutzerklärung zusammenstellen. Broschüren gäben bei der Frage Rat, welche Fotos man veröffentlichen darf. Das Argument, dass die Daten vieler Menschen ohnehin schon in sozialen Netzwerken stehen, lässt Brink nicht gelten: "Wenn jemand selbst seine Daten ins Netz stellen will, sagen wir nichts dagegen. Aber wir dürfen keinen dazu zwingen."
Seit 2018 gilt das Datenschutzrecht der Europäischen Union. Es regelt den Umgang mit personenbezogenen Daten und soll vor allem Verbraucherinnen und Verbraucher schützen.