Im diplomatischen Kodex gibt es kaum mehr Zurückweisungsmöglichkeiten: "In aller Entschiedenheit" und "in aller Deutlichkeit" wies der BW-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) bei der Regierungspressekonferenz am Dienstag die Äußerungen des Landeskommandeurs der Bundeswehr zurück, die er vor einer Woche "mit hochgradiger Verwunderung" zur Kenntnis genommen hatte. Landeskommandeur Michael Giss hatte Kretschmann vorgeworfen, die Bundeswehr zu wenig zu unterstützen, bei Vorbereitungen auf einen möglichen Angriff auf die NATO. "Das Gegenteil ist der Fall!", so der Ministerpräsident.
Kretschmann: "Folgerungen vollkommen aus der Luft gegriffen"
Kretschmann kritisierte, dass der Landeskommandeur, der erst seit kurzem in Baden-Württemberg ist, falsche Folgerungen gezogen habe. Nur weil er keinen persönlichen Termin beim Ministerpräsidenten bekommen habe, dürfe Giss nicht daraus schließen, dass sich Kretschmann nicht für die Angelegenheiten der Bundeswehr interessiere. Diese Folgerung sei vollkommen aus der Luft gegriffen.
Tatsächlich hatte der Landeskommandeur vor einer Woche angesichts wachsender Zahl von Cyber-Angriffen, Sabotage und Desinformation durch Russland mehr politischen Einsatz vom Ministerpräsidenten für die Bundeswehr gefordert. Zudem hatte er auf die besondere Rolle Baden-Württembergs als wichtiges Drehkreuz im Falle eines Angriffskrieges auf die Ostflanke der NATO, hingewiesen. Für ein solches Szenario soll sich Deutschland aktuell mit dem sogenannten OPLAN vorbereiten: dem Operationsplan Deutschland.
Land muss sich besser vorbereiten Bundeswehr-Kommandeur irritiert mit Vorwürfen an das BW-Staatsministerium
Baden-Württemberg wäre im Verteidigungsfall Drehscheibe für NATO-Truppen. Die Bundeswehr sucht daher engen Kontakt zum Ministerpräsidenten - und fühlt sich seit Monaten ignoriert.
Bundeswehr: Vorrang auf Straßen im Verteidigungsfall
Im Falle eines Verteidigungsfalls benötigt die Bundeswehr massive Unterstützung aus Wirtschaft und Gesellschaft. Dabei müssen die Bundesländer helfen. Hierzu gehört zum Beispiel Vorrang auf Straßen oder Bahnlinien und bei Materiallieferungen von Unternehmen. Kretschmann sagte dazu: "Was wir im Ernstfall machen müssen, auch an ziviler Unterstützung der Bundeswehr, ist natürlich von eminenter Bedeutung. Das stellt überhaupt niemand in Frage."
Gleichzeitig warnte er davor die Rolle eines Bundeslandes nicht zu überschätzen. Für die Bundeswehr sei in erster Linie der Bund zuständig, das Land nur mittelbar. Trotzdem habe Baden-Württemberg das Thema bereits vielfach angegangen. In diesem Jahr habe es mehrere Gespräche mit der Bundeswehr zum Thema OPLAN gegeben. Auch im Kabinett sei der OPLAN bereits aufgerufen worden, ergänzte Kretschmann. Der zuständige Innenminister habe dazu vorgetragen. Dass die Angelegenheit sehr wichtig ist, habe Kretschmann auch an alle Ressorts weitergegeben. Sie seien dazu verpflichtet als Gruppe, die der Innenminister dazu gebildet hat, aktiv mitzuarbeiten.
Vor Termin mit Kretschmann - Gespräche mit Chef der Staatskanzlei
Auch nach den Irritationen der vergangenen Tage soll der Dialog zwischen Landeskommando und Landesregierung weitergehen. Für Dezember ist ein Gespräch zwischen Landeskommandeur Giss und dem Chef der Staatskanzlei Florian Stegmann geplant. Dass Gespräche erstmal mit dem Chef der Staatskanzlei geführt werden, sei normal, so Kretschmann. Der Chef der Staatskanzlei sei für die operative Umsetzung der Ressorts zuständig, weswegen diese Reihenfolge sinnvoll sei. Erst am Ende schalte sich der Ministerpräsident ein, damit gewährleistet sei, dass das Besprochene dann auch in der Praxis umgesetzt wird.
Von Seiten des Landeskommandos heißt es mittlerweile: "Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit im Ländle liegt dem Landeskommando Baden-Württemberg und vor allem dem Kommandeur sehr am Herzen." Man freue sich auf den Austausch mit dem baden-württembergischen Staatsminister und Leiter der Staatskanzlei Stegmann.
Aufgaben des Landeskommandos für die zivil-militärische Zusammenarbeit
Welche Befugnisse und Aufgaben der Landeskommandeur in Zusammenarbeit mit der Landesverwaltung habe, stellte Ministerpräsident Kretschmann in der Pressekonferenz deutlich klar. Der Landeskommandeur sei nicht sein "persönlicher militärischer Berater". Damit widersprach Kretschmann einer Aussage des Landeskommandeurs vor einer Woche, in der er sich als wichtigster militärischer Berater des Ministerpräsidenten bezeichnet hatte.
Kretschmann ergänzte dazu, dass für die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen Landesregierung und Landeskommando von Seiten der Landesregierung aus der Innenminister zuständig sei. Der Pressesprecher des Landeskommandos, Stephan Voges sagte dazu gegenüber dem SWR: "Das Landeskommando Baden-Württemberg ist erste Ansprechstelle für die baden-württembergische Landesregierung in allen Fragen der zivil-militärischen Zusammenarbeit." Dazu gehöre die Beratung von zivilen Behörden über Fähigkeiten und Bedarfe der Bundeswehr im Hilfeleistungsfall oder in Fragen des Operationsplans Deutschland und der Gesamtverteidigung. Mit seiner aus Reservedienstleistenden bestehenden Verbindungsorganisation, unter anderem auf Kreis- und Bezirksebene, bestehe ein Beratungsangebot für alle Ebenen der Verwaltung und politischer Entscheidungsträger.
Übung in Karlsruhe soll Kommunikation der Bundeswehr verbessern
Was auf die Bundeswehr in Baden-Württemberg zukommt, sollte es verstärkte NATO Truppen im Baltikum oder Polen benötigen, wird aktuell bei einer Übung in der Karlsruher Kirchfeldkaserne geübt. 60 Soldatinnen und Soldaten proben im Rahmen einer Stabsrahmenübung, wie die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und ziviler Verwaltung in so einem Fall funktionieren könnte. Noch bis zum heutigen Mittwoch werden Reservistinnen und Reservisten dabei mit verschiedenen Szenarien konfrontiert. Diese beinhalten den koordinierten Aufmarsch von Truppenteilen durch Baden-Württemberg, der im Übungsszenario durch ein Unwetter empfindlich beeinflusst wird.
"Auch die hybride Bedrohungslage mit Propaganda, Sabotage und Demonstrationen sind Teil des komplexen Übungsgeschehens", erklärte der Pressesprecher des Landeskommandos Stephan Voges. Es gehe vor allem um reibungslose Kommunikation und effizienten Informationsaustausch. Auch eine Sensibilisierung im Umgang mit Medien und Desinformation stehe auf dem Plan, um vor Fake News zu schützen.