Chemie- und Pharmaindustrie in Baden-Württemberg

Engpässe bei Medikamenten: Heimische Produktion mit Hürden

Stand
Autor/in
Heike Scherbel
Jasmin Bergmann
Jasmin Bergmann
Sven Marcinkowski

Lieferengpässe bei Medikamenten zeigen immer wieder die Abhängigkeit Deutschlands. Die Chemie- und Pharmabranche fordert politische Vorgaben für mehr heimische Produktion.

Engpässe bei Medikamenten bereiten Ärztinnen und Ärzten wie auch den Menschen, die sie benötigen, Sorgen. Immer wieder führen Meldungen über nicht lieferbare Präparate zur Forderung, wichtige Wirkstoffe müssten verstärkt in Deutschland produziert werden. Dafür plädieren auch Vertreter der in Baden-Württemberg sehr präsenten Chemie- und Pharmabranche - wenn die Rahmenbedingungen dafür gesetzt würden.

Sind die Tage der Produktion in Deutschland gezählt?

Die Freiburger Firma ChemCon stellt chemisch sehr komplexe Wirkstoffe her, die weltweit nur in Kleinstmengen gefragt sind. Zum Beispiel einen Wirkstoff, der die Überlebenschancen von Kleinkindern bei Herzoperationen verbessert. Nur so kann sich die Firma die teuren Produktionsbedingungen in Deutschland leisten. Geschäftsführer Raphael Vogler fürchtet, dass die Wirkstoff-Industrie ganz aus Deutschland verschwinden könnte.

"In der Vergangenheit war Deutschland die Apotheke der Welt. Auch bei der Wirkstoffproduktion. Das hat sich sehr stark gewandelt."

Wenn nur der Preis zähle, sagt Vogler, könne das auch zu unerwünschten Effekten führen, nämlich in Hinblick auf Verfügbarkeit und Liefersicherheit.

Wunsch nach Abstimmung zwischen Politik und Industrie

Die Freiburger Firma könnte Wirkstoffe herstellen, die das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM, auf eine Liste für versorgungsrelevante Stoffe gesetzt hat. Doch ChemCon kommt nicht zum Zug.

ChemCon-Geschäftsführer Raphael Vogler wünscht sich Beratungen mit den Herstellern darüber, welche Stoffe als kritisch einzustufen sind, und welche eine Firma jeweils herstellen könnte. Weder das BfArM noch die Bundesregierung seien aber bisher auf seine Firma als Wirkstoffproduzent zugekommen.

Das BfArM stellt gegenüber dem SWR klar, dass es nur dafür zuständig sei, Lieferengpässe zu definieren und Maßnahmen zu koordinieren.

Die Behörde habe nicht den Auftrag, als staatliche Einrichtung Bieterprogramme durchzuführen und damit zum Hersteller von Arzneimitteln zu werden. Es setze sich für eine Koordinierung der Arzneimittel und Wirkstoffproduktion ein.

Was hilft gegen Engpässe bei Medikamenten?

Um Engpässe zu verhindern, fordern Industrieverbände, dass kritische Wirkstoffe nicht allein aus dem Ausland kommen dürften, selbst wenn sie dort günstiger seien.

"Wir fordern, dass innerhalb Deutschlands ein sicherer zweiter Produktionsstandort definiert wird, um die Lieferkette kurz zu halten und die Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen Medikamenten beispielsweise für die Krebstherapie sicherzustellen."

ChemCon-Gründer Raphael Vogler gibt allerdings zu bedenken: Selbst wenn solche Rahmenbedingungen für eine sogenannte zweite Quelle geschaffen würden, dauere es Jahre, bis sich eine funktionierende Industrie wieder etablieren könne.

Baden-Württemberg als "Apotheke Deutschlands"

Die Chemie- und Pharmaindustrie ist eines der größten Standbeine der baden-württembergischen Wirtschaft. Sie gehört zu den wichtigsten Arbeitgebern und Produzenten.

  • Fast 62.000 Beschäftigte
  • 26,2 Milliarden Euro Umsatz im Jahr 2022
  • 6,4 Prozent des Gesamtumsatzes im verarbeitenden Gewerbe

Zu den großen Playern in der Chemiesparte gehören zum Beispiel Freudenberg in Weinheim oder Roche an der schweizerischen Grenze. Allein diese Sparte macht 19,3 Milliarden Euro Umsatz aus.

Weiteres Zugpferd ist die Pharmaindustrie. Baden-Württemberg ist quasi die Apotheke Deutschlands. Hier arbeiten laut Zahlen des statistischen Landesamts rund 27.000 Menschen und erwirtschaften einen Umsatz von knapp sieben Milliarden Euro. Mehr als jeder Fünfte Pharmabeschäftigte deutschlandweit arbeitet in Baden-Württemberg.

Im Bereich der Arzneimittel auf pflanzlicher Basis oder Homöopathie ist das Ländle sogar führend in Europa.

Für die Branche ist die Krise noch nicht vorbei

Aber die chemische Industrie steckt in der Krise. 80 Prozent der 477 Unternehmen haben weniger als 300 Mitarbeiter. Und genau die haben besonders mit der aktuellen Krise zu kämpfen. Die gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten machen 63 beziehungsweise 60 Prozent aller befragten Unternehmen Sorgen. 45 Prozent hadern mit dem Fachkräftemangel und 39 Prozent leiden unter Beschaffungsproblemen.

Die Grundstoffproduktion für die Herstellung vieler Produkte kommt zum größten Teil nicht aus dem Land. Und das wird, so der Branchen-Verband VCI, wohl auch so bleiben. Das könnte aufgrund der angespannten Weltlage zusammen mit den noch immer hohen Material- und Energiepreisen das größte Problem bleiben.

Die Branche blickt daher mit einer gehörigen Portion Pessimismus auf das laufende Geschäftsjahr 2023. Zwar rechnen viele Betriebe mit steigenden Umsätzen. Diese könnten aber von den gestiegenen Kosten für Energie und Rohstoffe weitgehend aufgezehrt werden.

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