Es klingt nach einem beinahe revolutionären Konzept, das der baden-württembergische CDU-Politiker Kai Whittaker aus dem Bundestagswahlkreis Rastatt zusammen mit dem sächsischen CDU-Abgeordneten Markus Reichel vorschlägt: Alle sollen künftig Beiträge in die Sozialversicherung einzahlen. So heißt es in dem Papier von Whittaker und Reichel, das dem SWR vorliegt. Der Vorschlag zielt damit auf die Renten-, Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung.
In dem Papier heißt es, "dass alle Einkünfte eines Jahres herangezogen werden, um Sozialversicherungsabgaben zu bezahlen." Es solle nicht mehr unterschieden werden, "ob man Geld in abhängiger Beschäftigung, als Selbständiger oder durch Kapitaleinkünfte verdient." Durch Digitalisierung und demografischen Wandel würden die Sozialversicherungen Einnahmen verlieren, heißt es in dem Papier weiter. Mit dem Vorschlag wollten die beiden Politiker "mehr Sicherheit und Stabilität" in den Sozialversicherungen erreichen.
"Mehr Netto vom Brutto"
"Wir machen quasi den Teich größer, aus dem wir schöpfen", sagte Whittaker dem SWR. Das habe zur Folge, dass dann die Sozialversicherungsbeiträge sinken könnten, "deutlich unter 30 Prozent. Heute sind wir bei 40 Prozent", so der CDU-Politiker. Der Vorschlag bedeute also "eine deutliche Entlastung für die unteren und mittleren Einkommensschichten, also mehr Netto vom Brutto."
Dem Vorschlag zufolge würden auch Selbständige, Freiberufler, Personen mit Kapitalvermögen und Beamte verpflichtet werden, Sozialversicherungsbeiträge zu leisten. Zwar nennt das Papier Beamte nicht ausdrücklich, doch wird formuliert: "Wenn wir die volle Entlastungswirkung durch einen geringeren Sozialversicherungsbeitrag haben wollen, dann sollten alle Menschen unabhängig von ihrer Beschäftigung oder bereits bestehender Versorgungswerke einzahlen." Jede Ausnahme mache "den Teich kleiner."
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Whittaker: Unternehmens- und Erbschaftssteuern sollen wegfallen
Whittaker gibt zu, dass durch seinen Vorschlag die Kapitalkosten massiv erhöht würden. "Ja, das wäre erstmal der Fall. Wer Kapitaleinkünfte erzielt, würde deutlich mehr Abgaben zahlen als bisher", schreiben die Politiker in ihrem Papier. "Wenn Geld in Form von Löhnen oder Dividenden den Betrieb verlässt, fallen grundsätzlich immer für alle die Sozialversicherungsbeiträge an." Aber: Dann ergibt es laut den beiden CDU-Abgeordneten keinen Sinn mehr, die Finanzkraft des Unternehmens noch zusätzlich zu besteuern.
Zur Entlastung schlagen die beiden Politiker deshalb vor, keine Kapitalertragssteuern mehr zu erheben und die Unternehmenssteuern "so weit wie möglich abzuschaffen". Außerdem solle keine Erbschaftssteuer mehr anfallen. Konkrete Zahlen nennen die beiden CDU-Politiker allerdings nicht. Auch ist fraglich, ob der Vorschlag der beiden verfassungsrechtlich überhaupt möglich ist.
Während Arbeitnehmer unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze "finanziell um mehr als ein Viertel entlastet" würden, wären Wohlhabende stärker belastet: "Eindeutig mehr zahlen müssten Arbeitnehmer mit Einkommen über der Beitragsbemessungsgrenze. Mehr zahlen würden auch diejenigen, die nur Kapitaleinkünfte haben."
Kritik aus der eigenen Partei
Die beiden Politiker sehen ihren Vorschlag als "Debattenbeitrag" zum CDU-Grundsatzprogramm, an dem derzeit in der Partei gearbeitet wird. Man sei sich mit der CDU-Führung einig, "dass wir darüber diskutieren müssen in diesem Land, wie wir es schaffen, dass die Menschen wieder mehr Netto vom Brutto haben", sagte Whittaker. Kritik an dem Vorschlag kommt von Thorsten Frei, dem Ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (Wahlkreis Schwarzwald-Baar und das Obere Kinzigtal). Zwar finde Frei es gut, "auch einmal 'out of the box' zu denken und ausgetretene Pfade zu verlassen." Besonders Mehrbelastungen schließt er aber aus: "Es gibt natürlich eine rote Linie. Wir können nicht in der jetzigen Situation Debatten führen, die zu einer Mehrbelastung der arbeitenden Mittelschicht unserer Gesellschaft führen." Deswegen müssten die Vorschläge zunächst im Einzelnen durchgerechnet werden.
Sozialverband Deutschland: "Interessanter Input"
Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier, bewertet den Vorstoß positiv: "Hier wird ein interessanter Input zur allgemeinen Debatte um die Rente und unsere Sozialversicherungssysteme geliefert", sagte sie. Der SoVD sei der Meinung, breitere Schultern sollten mehr tragen. "Auch Erträge aus zusätzlichen Einnahmequellen wie aus Vermietungen und Aktiengewinnen sollten unserer Meinung nach dringend in die Rente einfließen."
Jendrik Scholz vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Baden-Württemberg sieht in dem Vorschlag hingegen "wenig Licht und viel Schatten". Zwar sei positiv, "dass sich jetzt auch die CDU die gewerkschaftlichen Ansätze einer Bürgerversicherung zu eigen macht und auch Selbstständige in die Sozialversicherungssysteme einbeziehen will", so die Bewertung des Gewerkschafters. Richtig ist seiner Meinung nach auch der Vorschlag, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht nur auf Arbeitseinkommen erhoben werden sollten, sondern auch auf andere Einkünfte, zum Beispiel aus Kapital. "Wir brauchen eine Stärkung der Einnahmen unserer Sozialversicherungssysteme, um unsere gewerkschaftlichen Forderungen, zum Beispiel ein höheres Rentenniveau, die vollständige Übernahme des Zahnersatzes oder menschenwürdige Pflegebedingungen auch finanzieren zu können", so Scholz.
Der baden-württembergische Unternehmerverband wollte sich auf Anfrage nicht äußern.