Ein regulärer Renteneintritt mit 67 Jahren wird aus Sicht des baden-württembergischen Finanzministers Danyal Bayaz (Grüne) nicht dauerhaft zu halten sein. "Meine Generation muss sich auf längeres Arbeiten im Alter einstellen - auch wenn wir unseren Wohlstand halten wollen", sagte er der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Ich halte das für viele Berufe auch zumutbar, da sich die Arbeitswelt in den kommenden Jahren fundamental verändern wird, körperlich anstrengende Arbeit wird weniger, Wissensarbeit wird mehr."
Bayaz: "Wünsche mir ehrliche Debatte"
Bayaz sagte, es gebe bei der gesetzlichen Rente drei Hebel: Zum einen seien die Rentenbeiträge schon recht hoch, mit einer Anhebung würde man Arbeit nur noch viel teurer machen. Die Rentenhöhe sei der zweite Hebel, aber das Rentenniveau solle nicht weiter sinken, die Leute müssten davon auch leben können. "Bleibt also der dritte Hebel, das Renteneintrittsalter." Er wünsche sich eine ehrliche Debatte, sagte Bayaz. "Diese betrifft auch gar nicht die aktuelle Rentnergeneration."
Es sei schwierig, über die Lebensarbeitszeit zu sprechen, sagte Bayaz. "Manchmal bekomme ich angesichts heftiger Reaktionen bei der Rentendebatte den Eindruck, dass in diesem Land vor allem Dachdecker leben. Von denen erwartet natürlich keiner, dass sie mit 67 oder 69 noch aufs Dach steigen." Manche könnten eben nicht mehr - und andere könnten länger und wollten auch länger. Aber angesichts der demografischen Entwicklung und des Drucks auf die öffentlichen Rentensysteme müsse man sich Gedanken machen. Die Situation werde besonders schwierig, wenn erst die Babyboomer in Rente gingen.
Kritik von ver.di: "Faktisch eine Rentenkürzung"
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di reagiert mit Kritik auf die Aussagen von Bayaz. ver.di-Landesbezirksleiter Martin Gross sagte, es stimme zwar, dass nicht alle Dachdecker seien, doch auch Erzieherinnen und Erzieher, Pflegekräfte, Müllwerker und Müllwerkerinnen und noch viele andere schafften es unter belastenden Arbeitsbedingungen nicht einmal bis zur heutigen Rentengrenze. "Für sie ist jede Verlängerung Richtung 70 faktisch eine dramatische Rentenkürzung", so Gross.
Auch dass die Rentenbeiträge - wie von Bayaz behauptet - schon recht hoch seien, stimme so nicht, so der ver.di-Landesbezirksleiter weiter. Im Gegenteil: "Wir haben die niedrigsten Rentenbeiträge seit Jahrzehnten", so Gross. Seit 1997 sei der Beitrag von 20,3 auf 18,6 Prozent gefallen. "Und seit den Neunzigern hören wir dennoch immer den gleichen Soundtrack: Schon bald explodieren die Beiträge." Richtig sei dagegen, dass die Babyboomer irgendwann eine Belastung werden. Aber diese sei eben nur temporär und durch Zuwanderung und moderate Beitragssteigerungen finanzierbar.
Nach geltender Rechtslage wird die Altersgrenze ohne Rentenabschläge schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben. Für jene, die 1964 aufwärts geboren wurden, gilt die Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Eine weitere Anhebung des Rentenalters hatte die Ampel im Koalitionsvertrag zugleich ausgeschlossen. In Deutschland gehen die Menschen laut Angaben der Deutschen Rentenversicherung im Schnitt im Alter von 64,4 Jahren in Rente.
Fachkräftemangel: Unternehmen fordern späteren Renteneintritt
Der baden-württembergische Arbeitgeberverband hatte bereits zu Jahresbeginn angesichts des Fachkräftemangels einen späteren Renteneintritt gefordert. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte sich dafür ausgesprochen, dass die Menschen länger arbeiten, statt vorzeitig in Rente zu gehen.
Bayaz hatte vor ein paar Monaten die Rente mit 63 bereits als schweren Fehler bezeichnet. Diese sei nicht nur generationenungerecht und schlecht angesichts des Fachkräftemangels, sondern auch ein verheerendes Signal, das man korrigieren müsste. Bayaz nannte etwa als mögliches Modell, dass man jedes zusätzliche gewonnene Jahr Lebenserwartung aufteile in vier Monate zusätzliche Arbeit und acht Monate zusätzlichen Ruhestand.
Bayaz für flexibleres Rentensystem
Gleichzeitig warb der Finanzminister grundsätzlich für eine neue Aufteilung von Arbeit und Freizeit im Laufe eines Lebens. "Wir müssen uns gedanklich von der Vorstellung verabschieden, dass es zuerst nur die Arbeit im Leben gibt und danach fährt man von heute auf morgen auf Null runter in den Ruhestand", sagte er. Das System halte er für nicht mehr zeitgemäß.
"Ein gesellschaftlicher Kompromiss könnte so aussehen, dass wir länger im Alter arbeiten und gleichzeitig die Arbeit über den Lebenszyklus anders verteilen." Es gebe Zeiten, wo man sich 120 Prozent in die Arbeit hänge, und andere Phasen, wo man Nachwuchs bekomme oder Angehörige pflege. Die Menschen sollten je nach Tätigkeit mehr die Möglichkeiten für flexible Renteneintritte bekommen, so Bayaz.