Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hat den Beschluss der Bund-Länder-Runde zur Zukunft des Deutschlandtickets scharf kritisiert. "Dieser Beschluss zum Deutschlandticket ist ein Nicht-Beschluss: Nichts ist gelöst", sagte der Grünen-Politiker. Die Vereinbarung helfe bei der Lösung der strittigen Finanzierungsfrage nicht weiter, sondern spiele den Ball an die Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister der Länder zurück.
Diese könnten aber keinen Finanzbeschluss selbst fassen, das müsse eine weitere Ministerpräsidentenkonferenz mit dem Bundeskanzler machen. "Der Bund hat eine schöne Ticket-Idee in die Welt gesetzt, weigert sich aber, dafür Finanzierungsverantwortung zu übernehmen", kritisierte Hermann.
Hermann: "Bund übernimmt keine Finanzierungsverantwortung"
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder hatten nach wochenlangem Streit und Warnungen vor einem Aus des Tickets Schritte zu einer weiteren Finanzierung vereinbart. So sollen in diesem Jahr ungenutzte Zuschüsse auch 2024 verwendet werden können, um finanzielle Nachteile auszugleichen, die durch das günstigere Ticket für Busse und Bahnen in ganz Deutschland bei Verkehrsanbietern entstehen.
Dem SWR sagte Hermann, das Deutschlandticket sei bei den Menschen gut angekommen. Er verstehe deshalb nicht, warum sich der Bund nicht mit den Ländern einigen wolle, das Projekt der Ampel-Regierung dauerhaft und tragfähig gemeinsam zu finanzieren. Wenn das 49 Euro teure Ticket nun mit ungenutzten Zuschüssen aus diesem Jahr weiter finanziert werden solle, werde lediglich die Zeit bis Mai überbrückt, so der Grünen-Politiker.
Knackpunkt: Wer übernimmt die Einnahmeausfälle der Verkehrsbetriebe?
Nach einer Verabredung von Ende 2022 schießen Bund und Länder in diesem und im nächsten Jahr je 1,5 Milliarden Euro zum Ausgleich von Einnahmeausfällen bei Bus- und Bahnbetreibern zu. Doch Knackpunkt waren zuletzt etwaige Mehrkosten darüber hinaus. Dass Bund und Länder auch sie jeweils zur Hälfte tragen, ist nur fürs Einführungsjahr 2023 vereinbart. Verkehrsbranche und Länder forderten das lange auch für 2024. Davon ist keine Rede mehr. Mit dem künftigen Konzept soll eine weitere "Nachschusspflicht" für Bund und Länder vom Tisch sein.
Genau diese Nachschusspflicht braucht es aber aus Hermanns Sicht. Seit der Einführung des Deutschlandtickets kämpften die Länderminister "für eine verlässliche, tragfähige und dauerhafte Finanzierung mit dem Bundesverkehrsministerium, mit fairer 50:50 Kostenverteilung plus Nachschusspflicht - leider erfolglos." Die Verkehrsminister sollen jetzt rechtzeitig vor dem 1. Mai 2024 ein Konzept zur Umsetzung des Tickets 2024 erarbeiten - dann besteht das Deutschlandticket für den bundesweiten Nahverkehr seit einem Jahr.
FDP kritisiert ÖPNV-Struktur in BW
Der baden-württembergische FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke wies die Kritik von Hermann zurück. Er verwies darauf, dass die Finanzierung des Deutschlandtickets Länderaufgabe sei. "Wer die Materie kennt, weiß, dass bei der Konzeption des Deutschlandtickets nie von einer Nachschusspflicht die Rede war", sagte der FDP-Abgeordnete Hans Dieter Scheerer.
Zudem seien die Länder für den ÖPNV originär verantwortlich. Aus Sicht von Scheerer sollte Hermann den ÖPNV im Land effizienter gestalten. "Noch immer leisten wir uns bundesweit die meisten Verkehrsverbünde. Von bundesweit über 60 entfallen alleine 19 auf Baden-Württemberg", kritisierte er.
So funktioniert das Deutschlandticket, das es seit dem 1.Mai 2023 für den öffentlichen Nahverkehr gibt:
Wird das Deutschlandticket 2024 teurer?
In den Blick rückt auch der Ticketpreis von 49 Euro im Monat, der als "Einführungspreis" gilt. Nordrhein-Westfalens Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) hält eine Preiserhöhung im Mai des kommenden Jahres für nicht ausgeschlossen. Die Verkehrsministerkonferenz werde dem Auftrag nachkommen und ein Konzept zur langfristigen Finanzierung des Deutschlandtickets entwickeln, sagte er am Dienstag in Düsseldorf als deren Vorsitzender. Weil der Finanzrahmen aber sehr enge Vorgaben mache, schließt er nicht aus, dass das Deutschland-Ticket im nächsten Jahr teurer werden könne, so Krischer.
Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann hält davon nichts: "Jetzt haben wir gerade ein Produkt eingeführt, das günstig ist. Und kaum ist es eingeführt, sagen wir: jetzt wird es aber teuerer. Das ist doch eine Abschreckungsmethode, das ist doch kein kluges Marketing", sagte er dem SWR. Der Preis müsse erst einmal stabil bleiben "und dann wird man später darüber reden, ob das noch angemessen ist."
Auch FDP-Fraktionschef Rülke sieht die im Raum stehende Preiserhöhung kritisch: "Eine Umfrage zeigt, dass diese 49 Euro der Bereich sind, wo es für die Menschen noch attraktiv ist. Möglicherweise würde eine Erhöhung dazu führen, dass dieses 49-Euro-Ticket nicht mehr hinreichend nachgefragt wird. Deshalb rate ich, bei dieser Preishöhe zu bleiben", sagte er. Das Land habe "genügend Rücklagen im Haushalt, um diese Landesaufgabe zu finanzieren".
Verkehrsexperten warnen vor Preiserhöhung
Eine mögliche Preiserhöhung beim Deutschlandticket sehen Experten kritisch. Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin hält den jetzigen Preis von 49 Euro schon für zu teuer. Es müsste eigentlich 29 Euro kosten, dann hätte man viel mehr Menschen in den Zügen, sagte Knie der Deutschen Presse-Agentur.
Aktuell nutzten etwa zehn Millionen Menschen das Deutschlandticket. Die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer würde auf sechs bis sieben Millionen sinken, falls der Preis auf 59 Euro steigt, schätzt der Verkehrsforscher. Um die Kosten niedrig zu halten, sollte lieber an der Bürokratie gespart werden.
Knie kritisierte, dass das Ticket bereits jetzt ein Fahrschein für Menschen mit höherem Einkommen sei. Er geht davon aus, dass lediglich 400.000 bis 500.000 Menschen, die vorher gar kein ÖPNV-Ticket hatten, mit dem Deutschlandticket nun Busse und Bahnen nutzen. Vor allem Menschen, die in den Speckgürteln großer Städte wohnen und vor dem Deutschlandticket teils dreistellige Beträge für einen Monatsfahrschein zur Arbeit ausgeben mussten, profitierten vom 49-Euro-Angebot.
Auch der Fahrgastverband Pro Bahn warnt davor, den Preis zu stark zu erhöhen. "Eine Preiserhöhung um 20 oder gar 30 Euro im kommenden Jahr halten wir für inakzeptabel", sagte Pro-Bahn-Vorstand Detlef Neuß den Zeitungen der Funke Mediengruppe.