Erstmals in Deutschland stellt die AfD in Thüringen mit Robert Sesselmann einen Landrat. Parteien in Baden-Württemberg zeigten sich schon am Montag bestürzt über das Ergebnis. Ein Dammbruch und ein trauriger Tag - so bezeichnete Baden-Württembergs SPD-Landesvorsitzender Andreas Stoch den Wahlsieg eines AfD-Politikers im thüringischen Landkreis Sonneberg. Ähnlich sieht das auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne).
BW-Ministerpräsident zeigt sich beunruhigt
"Ich sehe das natürlich mit großer Sorge", sagte der Grünen-Politiker bei der Landespressekonferenz am Dienstag. Zwar müsse die Position als Landrat nicht überbewertet werden, dennoch bezeichnete Kretschmann das Wahlergebnis als einen "politischen Dammbruch". Vor allem, wenn man bedenke, dass der Verfassungsschutz die AfD in Thüringen als rechtsextremistisch und verfassungsfeindlich einstufe. Dass nun einer von ihnen als Vertreter gewählt worden sei, "das muss einen schon tief beunruhigen".
Welchen Anteil die Grünen an dem Wahlergebnis haben, könne er nicht beurteilen. "Ich bin ja kein empirischer Sozialforscher", betonte Kretschmann. Teilen dieser "Rechtsradikalen" sei es aber gelungen, "aus den Grünen dort ein richtiges Feindbild zu machen". Kretschmann sehe die Ursache in der Performance der Ampelregierung. Auch in Baden-Württemberg würden verschiedene Parteien regieren, aber man müsse sich eben kompromissbereit zeigen.
Partnerstadt Göppingen: OB fordert Rückkehr zu sachlichem Diskurs
Sorgen macht man sich auch im Göppinger Rathaus - in der Partnerstadt der Kreisstadt Sonneberg, der größten Gemeinde im gleichnamigen Thüringer Landkreis. Für Göppingens Oberbürgermeister Alexander Maier (Grüne) sei das Wahlergebnis "schwer zu ertragen". Als Grund für den AfD-Erfolg bei der dortigen Landratswahl sieht Maier unter anderem Frust in der Gesellschaft, der sich über Jahre aufgestaut habe - etwa durch Corona, den Krieg in der Ukraine oder eine gestiegene Zahl Geflüchteter.
Aber auch der politische Diskurs habe sich verändert. Diskussionen würden schärfer und weniger sachlich geführt, von kommunaler Ebene bis Bundesebene. "Wenn sich die Ampelparteien untereinander ständig streiten, ein Herr Merz, ein Herr Söder oder eine Frau Wagenknecht mit ihren populistischen Phrasen immer noch mehr Öl ins Feuer gießen, dann brauche ich mich nicht wundern, wenn der Diskurs irgendwann kaputt geht", so Maier. Die Menschen verleite das dazu, sich abzuwenden. "Wenn es so weitergeht, wird das wahrscheinlich nicht der letzte Wahlerfolg für die AfD bleiben", befürchtete er.
Partnerschaft zu Sonneberg auf Augenhöhe
Der Göppinger Oberbürgermeister empfinde dennoch eine enge Freundschaft zwischen seiner Stadt und Sonneberg, die über 30 Jahre gewachsen sei. Daran werde sich auch nichts ändern. Die Städtepartnerschaft wurde kurz nach der Wende eingegangen. Eine Augenhöhe zwischen Ost und West habe damit hergestellt werden sollen, sagte Maier. "Die sollten wir nicht verlassen."
Die "Besserwisserei" aus dem Westen als Reaktion auf das Wahlergebnis führe schlimmstenfalls zu einer Trotzreaktion. Es sei wichtig, die Partnerschaft zu suchen und in einen sachlichen, demokratischen Diskurs einzusteigen.
Dass diese Partnerschaft aufzugeben nicht der richtige Weg sei, glauben auch einige Göppingerinnen und Göppinger. Bei einer nicht-repräsentativen SWR-Umfrage sagte etwa eine Frau: "Demokratie hat immer etwas mit Austausch zu tun." Auch die AfD bringe eine Meinung ein. Man müsse sich diese anhören, versuchen zu integrieren und dennoch die demokratischen Werte beibehalten. Das Ziel solle sein, dass sich die Partnerstädte "gegenseitig nach vorne bringen und nicht die AfD nach vorne schießt".
Man könne nicht alle Sonneberger in Sippenhaft nehmen, meint ein anderer Göppinger Bürger. Er mache sich dennoch große Sorgen: Angesichts kommender Wahlen und bisheriger Erfolge der AfD werde ihm "Angst und Bange".
Parteien in BW reagieren bestürzt auf Landratswahl in Sonneberg
Auch BW-CDU-Generalsekretärin Isabell Huber betonte, man dürfe Sonneberg nicht in eine politische Ecke stellen. Viele Menschen hätten die AfD aus Protest gewählt. Diese Menschen müssten jetzt wieder abgeholt und mitgenommen werden. Für FDP-Landeschef Michael Theurer ist die CDU für das Wahlergebnis verantwortlich. Es gelinge ihr nicht, die konservative Wählerbasis zu mobilisieren.
Der Wahlkampf im thüringischen Sonneberg habe gezeigt, dass es der AfD nicht darum gehe, konstruktive Lösungen zu präsentieren, sagte die Grünen-Landesvorsitzende Lena Schwelling. Es gehe nur darum, Fundamentalopposition zu sein. Das Wahlergebnis zeige aber, dass Menschen mit diesem Kurs einverstanden seien - darauf müssten Demokratinnen und Demokraten, egal welcher Partei, eine Antwort finden, so die Grünen-Politikerin. Auch SPD-Chef Andreas Stoch betonte, die demokratischen Parteien müssten nun die Ursachen für diesen Vertrauensverlust erkennen und bekämpfen.
AfD liegt in bundesweiter Umfrage auf Platz zwei
Im ARD-Deutschlandtrend lag die AfD vor wenigen Tagen bei 19 Prozent - und damit auf Platz zwei hinter der CDU und vor der SPD. Eine Mehrheit der Befragten (52 Prozent) sprach sich in der repräsentativen Umfrage gleichzeitig für einen Zusammenschluss von Parteien gegen AfD-Kandidaten aus. Bei der Stichwahl im thüringischen Sonneberg hatten das CDU, SPD, Grüne und Linke versucht.
Im jüngsten BW-Trend Ende März schnitt die AfD etwas schlechter ab als auf Bundesebene - von den Befragten hätten sie 12 Prozent in den Landtag gewählt.