Symbolbild - Jugendliche kämpfen

Sollen Zwölfjährige strafmündig sein?

BW stellt Altersgrenze für Minderjährige im Strafrecht infrage

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Nach dem Tod der zwölfjährigen Luise und anderen Fällen von Jugendgewalt wollen zwei CDU-Minister aus BW das Strafrecht überprüfen lassen. Die Grünen sprechen von Aktionismus.

Baden-Württemberg stellt die Altersgrenze für Minderjährige im Strafrecht infrage. Innenminister Thomas Strobl und Justizministerin Marion Gentges (beide CDU) fordern in einem Brief an ihre Amtskollegin und -kollegen im Bund eine Überprüfung der Regelung, nach der Kinder erst ab 14 Jahren als strafmündig gelten. Das Schreiben vom Freitag liegt dem SWR vor. Fraktionen im Landtag kritisierten des Vorschlag. Lediglich die AfD unterstützte ihn.

Die Minister Strobl und Gentges verweisen in dem Brief auf den Fall der 12-jährigen Luise aus Nordrhein-Westfalen, der bundesweit für Entsetzen gesorgt hatte. Die immer wiederkehrende Debatte über die Altersgrenze sei "sehr gut nachvollziehbar".

Die CDU-Politiker stellen die Frage, wann die geistige und sittliche Reife von Heranwachsenden beginnt. "Nach nunmehr einem Jahrhundert ist es an der Zeit, die gesetzlich festgelegte Strafmündigkeitsgrenze zu überprüfen. Wir brauchen eine tragfähige Grundlage für eine seriöse Diskussion über Altersgrenzen im Strafrecht." Es müsse geklärt werden, "ob heutzutage die geistige und sittliche Reife junger Menschen früher einsetzt als im Jahr 1923", heißt es in dem Brief.

Entspricht die Altersgrenze noch der Lebenswirklichkeit?

Strobl und Gentges fordern Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und deren Justizkollegen Marco Buschmann (FDP) auf, eine aktuelle Studie zur "altersbezogenen Entwicklung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit" in Auftrag zu geben. Nur damit könne man seriös beurteilen, ob Handlungsbedarf bestehe.

Sie verweisen darauf, dass die Festsetzung der Altersgrenze auf 14 Jahre schon vor hundert Jahren wissenschaftlich nicht exakt begründet worden sei. Es sei damals eine rechtspolitische Entscheidung gewesen. Es stelle sich nun die Frage, "ob die unwiderlegbare Vermutung, dass Kindern vor Vollendung ihres 14. Lebensjahres die Fähigkeit fehlt, das Unrecht ihrer deliktischen Taten einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, (noch) der Lebenswirklichkeit entspricht".

BW-Minister schildern Fall aus Baden-Württemberg

Strobl und Gentges schildern zudem einen Fall aus Baden-Württemberg, bei dem sich die Frage stelle, ob drohende strafrechtliche Konsequenzen eine schwere Gewalttat hätten verhindern können. Sie schreiben: "In Baden-Württemberg tötete am 24. Februar 2021 ein 14-Jähriger einen 13-Jährigen heimtückisch mit sieben Stichen in Rücken, Brust und Hals. Nur kurze Zeit zuvor, im November 2020, hatte der Jugendliche, damals noch im Kindesalter, einen ebenfalls 13-jährigen Mitschüler schwer verletzt." Die Ministerin und der Minister fragen: "Wäre der Mord nicht geschehen, wenn bereits auf die vorangegangene Gewalttat mit den vielfältigen und flexiblen Möglichkeiten des Jugendstrafrechts hätte reagiert werden können?"

Altersgrenze auch beim Wahlrecht vielerorts gesenkt

Strobl und Gentges verweisen am Schluss ihres Briefs auch darauf, dass zuletzt an anderen Stellen Altersgrenzen herabgesetzt wurden. "An dieser Stelle erscheint der Hinweis berechtigt, dass es auf anderen Feldern, etwa im Bereich des Wahlrechts, Entwicklungen gibt, bereits Minderjährigen ab einem bestimmten Alter die notwendige Reife und Vernunft generell zuzusprechen, diese Entwicklung jedoch bei der Beurteilung der für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit erforderlichen geistigen und sittlichen Reife nicht nachvollzogen wird." In vielen Bundesländern können 16-Jährige bei Kommunalwahlen abstimmen, auch in Baden-Württemberg.

Kritik von Grünen, SPD und FDP

Fraktionen im Landtag kritisierten den Vorstoß als aktionistisch. Die Strafmündigkeit abzusenken, sei eine schnelle Lösung in einer emotionalen Debatte, teilt die rechtspolitische Sprecherin der Grünen Daniela Evers mit. Die Forderung sei weder vom Koalitionsvertrag gedeckt, noch die Position der grün-schwarzen Koalition. Die Partei trete dafür ein, dass Strafen von Expertinnen und Experten fortlaufend überprüft werden, so Evers. "Die Absenkung der Strafmündigkeit ist jedenfalls definitiv nicht die Lösung."

Ähnliches war von der SPD zu hören. "Angesichts solch tragischer Fälle nach Gesetzesänderungen zu rufen, ist einfach. Zu einfach", sagte Fraktions- und Landeschef Andreas Stoch. Bedenklich sei, dass auch die Grünen dieses Vorgehen ablehnen. Stoch fragt, für wen Gentges und Strobl sprächen, wenn nicht für die Landesregierung?

FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke ließ mitteilen, es müsse sorgsam zwischen Jugendschutz und dem berechtigten staatlichen Interesse an Strafverfolgung abgewogen werden. "Ein Schnellschuss sollte auf keinen Fall unmittelbar auf eine Einzeltat erfolgen.“

AfD auf Linie mit Strobl und Gentges

Lediglich die AfD unterstützte den Vorstoß von Strobl und Gentges. "Wir fordern seit Jahren, die Strafmündigkeit von bisher 14 auf zwölf Jahre herabzusenken", so der AfD-Fraktionsgeschäftsführer Daniel Lindenschmid. Der Fall der toten Luisa aus Freudenberg habe noch einmal vor Augen geführt, wie wichtig die Debatte um die Strafmündigkeit sei.

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