Die baden-württembergische Regierung und große Teile der Opposition wollen am Donnerstagnachmittag erneut über mögliche Bildungsreformen sprechen. Das Treffen im Kloster Bebenhausen bei Tübingen ist das zweite Gespräch über eine Bildungsallianz - also Bildungsreformen, die auch über die Dauer einer Legislaturperiode hinaus Bestand haben sollen.
Teilnehmen werden die Fraktionschefs von den Grünen, CDU, SPD und FDP sowie Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Kultusministerin Theresa Schopper (beide Grüne). Die AfD war zu den Gesprächen nicht eingeladen.
Grün-Schwarz plant Rückkehr zu G9 und Grundschulempfehlung
Die grün-schwarze Koalition geht mit Vorschlägen für größere Reformen in die Gespräche: Zum Schuljahr 2025/26 will die Regierungskoalition das neunjährige Gymnasium wieder einführen und dennoch einzelne G8-Züge weiter ermöglichen.
Daneben sollen künftig Realschulen und Werkrealschulen verstärkt als Verbundrealschulen zusammenarbeiten. Den Werkrealschulabschluss soll es dann nicht mehr geben. Zudem will die Koalition eine verbindlichere Grundschulempfehlung, um den Zugang zu Gymnasien besser zu steuern. Sie soll künftig aus drei Komponenten bestehen: Lehrerempfehlung, Leistungstest und Elternwunsch. Stimmen zwei davon überein, soll das den Ausschlag geben. Wollen die Eltern ihr Kind dennoch aufs Gymnasium schicken, soll das Kind künftig einen weiteren Test absolvieren. Die Koalition plant zudem mehr Ganztagsgrundschulen im Land. Grundschulen in Brennpunkt-Gegenden sollen gar zu verbindlichen Ganztagsschulen werden.
Landeselternbeirat zeigt sich enttäuscht Weitere Schulreformen in BW: Wieder G9 und verbindliche Grundschulempfehlung
Rückkehr zu G9 und zur verbindlichen Grundschulempfehlung - Grüne und CDU in BW haben sich auf weitere Schulreformen geeinigt. Auch bei den anderen Schulen gibt es Veränderungen.
Handwerk BW: Berufliche Bildung nicht vergessen
SPD und FDP reagierten vor dem Treffen reserviert auf die Vorschläge. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch hält die Idee der Schul-Kooperationen für nicht ausgereift. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke sagte, man tue sich schwer damit, die Werkrealschule zu opfern.
Der Verband Handwerk BW kritisiert, dass die duale Berufsausbildung in der Debatte um G9 kaum Berücksichtigung findet. Die Diskussion zeige, "dass es den Entscheidungsträgern wieder einmal darum geht, möglichst viele Schüler in Richtung Studium zu lenken, anstelle in eine Ausbildung", so Präsident Rainer Reichhold. Deshalb fordert der Handwerksverband unter anderem eine faire Verteilung von Ressourcen wie Ausstattung und Personal zwischen allen Schularten. Außerdem brauche es statt einer akademischen und "teilweise elitären" Debatte über das Schulsystem mehr Unterstützung bei der Förderung besonders leistungsschwacher Schüler, sagte Reichhold.
Gewerkschaft fordert Maßnahmen gegen Bildungsungerechtigkeit
Kritik kommt auch von der Bildungswerkschaft GEW. Für die geplanten Änderungen bei den Haupt-/Werkrealschulen liege noch kein vernünftiges Konzept vor, sagte die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein. Die Gewerkschaft bezeichnete zudem das Vorhaben, die Grundschulempfehlung wieder verbindlicher zu machen, als "Unsinn". "Priorität muss eine Stärkung der frühen Bildung und der Grundschulen sowie Maßnahmen gegen Bildungsungerechtigkeit haben", so Stein.
Die GEW mahnte konkrete Aussagen zur Bildungsfinanzierung sowie "mutige bildungspolitische Entscheidungen" an, die mindestens bis 2031 Planungssicherheit gäben. Die Gewerkschaft forderte, Expertinnen und Experten aus der Bildungspolitik und der Wissenschaft in die weiteren Gespräche der Bildungsallianz einzubeziehen, und bot ihre Mitarbeit an.
Landesschülerbeirat nennt verbindliche Grundschulempfehlung rückschrittlich
Gegen die geplante verbindlichere Grundschulempfehlung hat sich auch die Schülervertretung in Baden-Württemberg ausgesprochen. Eine verbindliche Empfehlung wäre ein Rückschritt, sagte Joshua Meisel, Vorsitzender des Landesschülerbeirats, einer Mitteilung zufolge am Donnerstag. Dadurch werde die Bildungsgerechtigkeit in Baden-Württemberg eher behindert als gefördert.
In vielen Fällen beruhe die Empfehlung nicht auf dem tatsächlichen Potenzial der Kinder, sondern auf anderen Faktoren, etwa der Herkunft. "Im Grundschulalter ist es nicht gerechtfertigt, Schülerinnen und Schülern eine Richtung vorzugeben, die ihre künftige Schullaufbahn in solch hohem Maße bestimmt", so die Schülervertretung. Sie fürchtet, dass eine verbindliche Grundschulempfehlung Kinder schon in jungen Jahren stark unter Druck setzen würde.
Kretschmann: Reformen werden auch ohne Einigung durchgesetzt
Sollten SPD und FDP bei dem Treffen weitere Vorschläge vorbringen, die CDU und Grüne überzeugten, sei man dafür selbstverständlich offen, hatte Ministerpräsident Kretschmann am Dienstag gesagt. Sollte es bei den Gesprächen mit SPD und FDP zu keiner Einigung kommen, werde man die geplanten Reformen auch ohne die Zustimmung von SPD und FDP durchsetzen. Zum ersten Mal hatte sich die Runde Ende Februar in Stuttgart getroffen - jedoch ohne konkrete Ergebnisse.