Populisten im Umfragehoch

Anlaufstelle für Protest: Ein Besuch am AfD-Stand auf der Verbrauchermesse

Stand
Autor/in
Henning Otte
SWR-Reporter und -Redakteur Henning Otte, SWR Landespolitik

Vor allem die höheren Preise und der Heizungsstreit der Ampel bescheren der AfD im Bund einen Aufschwung in den Umfragen. Auch in Baden-Württemberg will die AfD davon profitieren.

Am Eingang der Messehalle A steht: Bauen. Handwerk. Energie. Ausgerechnet hier hat die AfD-Landtagsfraktion ihren Stand aufgebaut. Fast alle Aussteller in der Halle auf der landesweit zweitgrößten Verbrauchermesse in Villingen-Schwenningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) werben für die Energie- und Wärmewende, für eine bessere Dämmung und neue ökologische Heizsysteme.

Der Freiburger Versorger Badenova hat kurz vor Ende der Halle eine Wärmepumpe ausgestellt, direkt dahinter: Der Infobus der AfD-Fraktion. Die Populistinnen und Populisten machen massiv Stimmung gegen die grüne Energie- und Wärmewende - und sind die wohl größten Profiteure des Unmuts über den Heizungsstreit in der Ampel.

Fraktionschef Baron: "Wir brauchen uns nicht zu verstecken"

Auch die AfD in Baden-Württemberg spürt den Aufwind. Die Fraktion will den Frust über die Ampel und die höheren Preise auch im Land in deutlich mehr Prozente ummünzen. Das heißt aber auch: Viel öfter raus zu den Bürgerinnen und Bürgern.

Wie hier bei der Messe, wo die AfD den einzigen politischen Stand hat. Bis zum Wochenende werden in den Messehallen bis zu 100.000 Menschen erwartet. AfD-Fraktionschef Anton Baron ist wegen des Umfragehochs überzeugt: "Es bewegt sich was in diesem Land. Ich glaube, diese Chance müssen wir allesamt nutzen, noch mehr Öffentlichkeitsarbeit zu machen und zu der AfD auch stehen. Wir brauchen uns nicht zu verstecken."

Die AfD war bisher nicht gerade offensiv mit solchen Terminen umgegangen - zu groß war die Sorge vor Störungen aus dem linken Spektrum. Auch das Verhältnis zu den Medien ist nicht selten von Misstrauen geprägt. Deshalb ist es überraschend, dass die Fraktion den SWR dazu einlädt, sich am Messestand ein eigenes Bild zu machen. Erste Beobachtung beim Ortstermin am Stand: Vor allem ältere Besucherinnen und Besucher, aber auch Familien mit kleinen Kindern bleiben an diesem Vormittag bei ihrem Rundgang über die Messe am AfD-Stand stehen - den sie dort nicht erwartet haben.

AfD-Fliegenklatschen gegen "grüne und rote Blutsauger"

Bei unserer Stichprobe haben wir den Eindruck: Es sind keine Parteimitglieder, die kommen. Sie haben keine Scheu gegenüber der rechten Partei, die in Baden-Württemberg immerhin vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Sie drehen am Glücksrad, nehmen AfD-Werbegeschenke mit. Es gibt Fliegenklatschen mit der Aufschrift "Gegen grüne und rote Blutsauger".

Die Besucherinnen und Besucher lassen sich am Stand interviewen. So wie Claudia Bisinger aus Tübingen. Sie ist mit Mann und zwei Kindern da, Baby Felix hält sie beim Gespräch auf dem Arm: "Berührungsängste haben wir nicht. Ich finde, sie haben ihre Berechtigung wie alle anderen Parteien." Es sei nicht ihre Partei, bisher sei das die CDU. "Aber es hat schon seinen Grund, dass immer mehr Leute in die Richtung gehen." Sie könne verstehen, dass die Leute sauer seien wegen der hohen Preise. "Wir sind beide berufstätig, wir haben ein Eigenheim abzuzahlen, da muss man schon gucken, dass man über die Runden kommt." Könnte Sie sich vorstellen, die AfD zu wählen? "Momentan nicht." Warum nicht? "Weil sie mir tatsächlich zu rechts sind." Auch mit dem Frauenbild der AfD sei sie nicht einverstanden.  

AfD-Politiker sammeln auf der Messe den Protest ein

Am Stand müssen Baron und Landesparteichef Emil Sänze bei den Gesprächen nur wenig mehr tun, als ein paar Stichworte geben und den Protest einsammeln. Ein Beispiel ist der Dialog von Baron mit dem Rentner Dieter Wagner aus Weilen im Zollernalbkreis über die Krise. Wagner: "Ich frage mich nur, wie Politiker behaupten können, sie wissen nicht, woran es liegt. Es weiß jeder normale Mensch auf der Straße, woran es liegt. Fertig. Aus." Baron: "Und dann ewig lang über die Wärmepumpe diskutieren." Wagner: "Egal, Wärmepumpe, Migration, da ist alles drin." Baron: "Bezahlbarkeit der ganzen Maßnahmen, das ist denen nicht bewusst." Wagner: "Das ist denen nicht bewusst. Das ist das Problem."

Und dann dreht Wagner am Glücksrad. Etwas später sagt Wagner in die Kamera, er wisse nicht, ob er die AfD wähle. Ob er Sorge hat wegen der Rechtsextremen in der AfD? "Ich weiß, dass keine Partei perfekt ist." Es sei die Ampel, die die Menschen verunsichere. "Die AfD hat sicher auch keine Lösung für alles Mögliche. Auf jeden Fall vertritt sie Punkte, wo die Leute sich verstanden und abgeholt fühlen."

Landes-AfD will vom Aufwind profitieren und auch regieren

Beflügelt von solchen Stimmen und dem Umfragehoch der AfD auf Bundesebene versucht auch die Fraktion und die Partei im Land Aufwind zu bekommen. Bei 18 bis 19 Prozent liegt die AfD im Bund, auf Augenhöhe mit der Kanzlerpartei SPD oder sogar vor ihr. Die AfD in Baden-Württemberg stagnierte zuletzt dagegen zwischen 10 und 12 Prozent, allerdings ist die jüngste Umfrage von Ende März. Fraktionschef Baron ist sich sicher, dass es auch die in Baden-Württemberg hochgeht. Die höheren Preise für Energie und Lebensmittel könnten auch hier nicht einfach so weggesteckt werden. "Die Menschen und Bürger in Baden-Württemberg merken das langsam auch, dass das im Geldbeutel immer weniger wird."

Der 35 Jahre alte AfD-Mann kann sich nun sogar eine Regierungsbeteiligung der AfD im Land vorstellen. "Wenn es in eine positive Richtung für die Bürger führt, sind wir zu allem offen", so Baron im SWR. Die Schnittmengen seien mit der CDU am größten, auch wenn diese momentan den Grünen hinterherliefen. "Wir gehören zum konservativen Spektrum, da liegt es natürlich nahe, entweder mit der CDU oder mit der FDP zu koalieren." Bisher hatte die AfD immer erklärt, sie könne sich nur eine Koalition vorstellen, wenn sie der stärkste Partner sei und auch den Ministerpräsidenten stellen würde. Diese Position weicht Baron nun auf.

Baden-Württemberg

Positive Umfragewerte AfD in BW spürt Aufwind und will mit CDU regieren

Die Umfragen sehen die AfD im Bund bei 18 bis 19 Prozent - und damit teilweise vor der SPD von Kanzler Olaf Scholz. Auch in Baden-Württemberg sieht sich die AfD im Aufwind.

SWR4 BW am Freitag SWR4 Baden-Württemberg

Er könne vor allem der Union nur raten, Lockerungsübungen mit Blick auf die AfD zu machen. In östlichen Bundesländern sei die CDU angesichts der Stärke der AfD ansonsten abhängig von der Linken. "Wenn die CDU wirklich bürgerlich-konservative Politik machen möchte, dann muss sie sich der AfD nähern. Anders funktioniert das nicht." Er rät den anderen Parteien, die AfD nicht zu unterschätzen. "Man hätte auch vor kurzen noch nicht gedacht, dass die Grünen mal den Ministerpräsidenten stellen." Man werde nach der Landtagswahl 2026, wenn es das Ergebnis zulässt, Gespräche führen. "Wir sind da offen."

Bei der Landtagswahl 2021 war die AfD mit 9,7 Prozent kleinste Oppositionspartei geworden. Seit vergangenem Sommer wird sie vom baden-württembergischen Verfassungsschutz beobachtet - weil es laut Innenminister Thomas Strobl hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gibt.

CDU widerspricht: Keine Schnittmengen mit AfD

CDU-Landtagsfraktionschef Manuel Hagel weist die Avancen der AfD prompt zurück. "Christdemokraten und die AfD haben keine Schnittmengen", sagte er dem SWR. "Aber eines sag ich auch in aller Deutlichkeit: Ich lass mir meine Überzeugungen und die eigene Meinung nicht nehmen. Nur weil die AfD was nachplappert, heißt das nicht, dass alles automatisch falsch ist. Wenn wir der rechten Truppe dort auf den Leim gehen, bekommt die AfD die Deutungshoheit über die politische Debatte."

Hagel verwies auf den "Unvereinbarkeitsbeschluss" mit der AfD, wonach auf keiner politischen Ebene von den Kommunen bis hin zum Bund keine Zusammenarbeit und kein Zusammenwirken mit dieser "chaotischen Truppe" geben könne. Der Grund für den Aufwind für die Populisten sei bei der Ampel in Berlin zu suchen. "Je schlechter die Ampel handelt, desto mehr geht’s mit der AfD nach oben." Man müsse die Probleme lösen und dafür sorgen, dass dieses Land funktioniert. "Das tun wir in der Landespolitik sehr gut, deswegen ist die AfD im Land nicht so stark wie im Bund."

Frühere CDU-Anhänger sind frustriert

Zurück auf der Messe: Hans-Peter Botta ist konservativ, sauer und will reden. "Ich war immer CDU, aber es kann nicht mehr so sein, wir brauchen jemand, der ein bisschen eine andere Meinung reinbringt in unser Land." Der Aufwind der AfD ist für den früheren Autohausbesitzer und heutigen Ruheständler aus Schramberg eine logische Folge der politischen Lage. "Es kann doch nicht sein, dass wir ein Leben lang gearbeitet haben und uns jetzt alles weggenommen wird." Die hohen Preise und jetzt auch noch die Heizungsdebatte, das sei einfach zu viel. "Ich hatte 47 Jahre einen Handwerksbetrieb. Mir geht es sehr gut. Aber ich kenne so viele Leute, die in meinem Alter sind, die nicht wissen, wie sie morgen einkaufen sollen."

Botta ist kein AfD-Mitglied, aber er hat die Populisten schon gewählt, bei den jüngsten Bundestags- und Landtagswahl, wie er sagt. Er will diskutieren, ist interessiert an der Meinung seines Gegenübers. Die Energie- und Wärmewende findet er auch richtig. "Wir müssen was machen für die Umwelt, ist doch ganz klar. Aber wir müssen was Richtiges machen und nicht alles auf einmal." Bei der Migration müsse auch dringend was passieren. "Nicht falsch verstehen, ich habe nichts gegen Ausländer. Jeder Ausländer ist mir recht. Aber es kann nicht sein, dass er fünf Jahre in Deutschland ist und noch keine Schaufel in die Hand genommen hat und nix schafft."

Die CDU unter Friedrich Merz müsse endlich auf die AfD zugehen. "Ich wäre mit Merz zufrieden, wenn er morgen sagen würde: Wir machen was mit der AfD." Dass es bei der AfD auch Rechtsextremisten gebe, müsse man in Kauf nehmen. "Die haben die im Griff."

"Kretschmann ist nur in der falschen Partei"

Und im Land, wie findet er den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann? "Sehr gut. Der Kretschmann ist nur in der falschen Partei." Dieser wäre in der CDU besser aufgehoben. Kretschmann habe sich in der Heizungsdebatte gegen die Grünen in Berlin gestellt.  

Ex-Betriebsrat schwant Böses wegen der AfD

Es gibt aber auch Messebesucher, die einen großen Bogen um den Stand der AfD machen - aus Überzeugung. So wie der Rentner Wiegand Keller aus Burladingen. Er würde höchstens bei der AfD Halt machen, "um Terror zu machen", sagte er mit bebender Stimme. Keller war früher stellvertretender Betriebsratschef bei einer Medizintechnikfirma und ist überzeugt "Was die machen, das ist nix als Polemik. Das läuft alles, wenn man sich die Geschichte anguckt, genau wie bei der NSDAP, nur nicht ganz so schnell." Die AfD habe nichts zu bieten: "Die können nur sagen: Mag ich nicht, hab ich nicht, will ich nicht." Die Partei sei gegen Einwanderer und mache nichts anderes als "die Leute aufzuhetzen". Die AfD wählen? "Da gäb ich mir die Kugel, bevor ich das machen würde."

Vitali Subko sieht das komplett anders. Der Deutsch-Russe mit Sonnenbrille im Haar und tätowiertem Arm ist Maschineneinrichter und wohnt in Niedereschach (Schwarzwald-Baar-Kreis). Für ihn sind die Grünen ein rotes Tuch. "Die wirtschaften uns komplett runter. Die Wirtschaft wurde jahrzehntelang aufgebaut und die machen innerhalb von ein paar Minuten alles kaputt." Er glaubt nicht, dass die Menschen den etablierten Parteien in den Umfragen nur einen Schuss vor den Bug geben wollen. "Ich denke, dass die die wirklich wählen wollen." So wie er das zuletzt schon gemacht hat. Es sei einfach so: "Du gehst arbeiten, du gehst einkaufen, du hast eine Familie zu Hause, das kannst du dir nicht mehr leisten." Subko ist auch dafür, dass die AfD endlich mal regiert, zum Beispiel mit der CDU. "Man muss schon einen Tisch sitzen und verhandeln und nicht von vornherein sagen: Nee, die sind nix, wieso auch immer."

Experte hält AfD für nicht koalitionsfähig

Der Freiburger Politikwissenschaftler Michael Wehner hält die AfD auf absehbare Zeit für nicht koalitionsfähig. Die anderen politischen Kräfte könnten nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, die zumindest teilweise rechtsextrem sei, so Wehner. Die spannende Frage sei, wie sich die AfD in den kommenden Jahren entwickle: "Wird die AfD Höcke und Co. im Osten folgen oder einen gemäßigten Kurs einschlagen, für den die AfD in Baden-Württemberg eher steht?" Allerdings gebe es auch in Baden-Württemberg immer wieder rechtsextreme Ausschläge.

Auch für die baden-württembergische FDP ändern die guten Umfragewerte der AfD erstmal nichts. "Solange die AfD als Partei Antisemiten und Radikale wie Herrn Höcke in ihren Reihen duldet, verbietet sich für eine demokratische Partei jede Zusammenarbeit", so FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Berührungspunkte der Parteien auf inhaltlicher Ebene, etwa bei der Ablehnung der Gendersprache oder in der Migrationspolitik, spielen für Rülke keine Rolle: "Wir erkennen keine Schnittmengen. Es ist nur so, dass die AfD gelegentlich dem zustimmt, was die FDP vorschlägt. Dagegen kann man sich nicht wehren."

Messe-Aussteller sind alles andere als begeistert

Wehren konnten sich auch die Aussteller in der Messehalle A nicht gegen den Stand der AfD. Beim Rundgang wird klar, dass die meisten alles andere als begeistert sind. Offen äußern möchte sich kaum jemand. Nur der Fensterbauer Andreas Fleig, der seinen Stand direkt gegenüber der AfD hat, sagt klipp und klar: "Ich finde, in einer reinen Bauhalle hat Politik nichts zu suchen. Ich zahle hier meinen Messestand, um mein Produkt zu verkaufen und kann auf die Ablenkung verzichten."

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