Menschenwürdige Unterbringung, Versorgung der Kinder in Kitas und Schulen und Integration in den Alltag vor Ort - die immer größer werdende Anzahl von Geflüchteten in Baden-Württemberg stellt die Kommunen im Land vor riesige Herausforderungen. Und obwohl vielerorts eine nahezu unbegrenzte Hilfsbereitschaft vorhanden ist, stoßen die Gemeinden oft an ihre Limits, wie der Fall Alfdorf zeigt.
Alfdorf will helfen - die Infrastruktur fehlt
Die Gemeinde im Rems-Murr-Kreis hat rund 7.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Allerdings gab es in den letzten Monaten und Jahren Zuwachs von außerhalb. 90 Geflüchtete hat Alfdorf aufgenommen, zwei Drittel von ihnen sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen, und es sollen noch mehr kommen. Für Bürgermeister Ronald Krötz (parteilos) ist es keine Frage, dass die Gemeinde helfen muss. Allerdings ist die Infrastruktur von Alfdorf den ankommenden Menschen häufig nicht gewachsen.
So könnte es in Zukunft problematisch werden, allen Kindern in Alfdorf, von ansässigen Familien und Geflüchteten, einen Platz in einem Kindergarten zu bieten. Fünf Kindergärten gibt es in der Kommune im Rems-Murr-Kreis, alle sind bereits jetzt gut gefüllt. Wenn nun noch weitere geflüchtete Familien nach Alfdorf kommen, ist hier kein Platz mehr frei. "Das ist sehr tragisch, weil gerade Kinder, die Geflüchtete sind, und die kein Deutsch können, im Kindergarten die beste Integration erfahren mit anderen Kindern", so Bürgermeister Krötz im Interview mit SWR Aktuell.
Und auch in der medizinischen Versorgung könnten die Kapazitäten langsam knapp werden. Denn die Infrastruktur vor Ort wächst nicht mit der steigenden Zahl der Geflüchteten mit. Die drei Hausärzte in Alfdorf müssen sich um mehr Personen kümmern. Ein Problem, das sich noch zuspitzen könnte, wenn in den nächsten Jahren zwei Ärzte altersbedingt in den Ruhestand gehen.
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Gebaute Flüchtlingsunterkunft in der Gemeinde ist zu klein
Ein weiteres Problem ist die würdige Unterbringung der aufgenommenen Menschen in Alfdorf, wie auch in vielen anderen Kommunen in Baden-Württemberg. Erst 2018 wurde im Ort eine neue Flüchtlingsunterkunft eingerichtet, nun ist diese schon wieder zu klein. 200.000 Geflüchtete sind alleine in den letzten 20 Monaten nach Baden-Württemberg gekommen. Mindestens 34 weitere Geflüchtete sollen dieses Jahr noch in der Gemeinde Zuflucht finden. "Wir haben im Rems-Murr-Kreis in den letzten sechs Monaten eine Zunahme von Menschen, die angekommen sind, von 350 Prozent", so Roland Krötz. Er hofft, dass die Stimmung im Ort auf Grund der zugespitzten Situation nicht kippt: "Wir haben natürlich auch Menschen hier in Alfdorf, die einfach auch nicht so gut verdienen und auf günstigen Wohnraum angewiesen sind." Dass man diese Leute oft abweisen müsse, um mehr Raum für Geflüchtete zu haben, tue dem Bürgermeister weh.
Gemeindetag sieht raueren Ton gegenüber Verantwortlichen in den Kommunen
Dass die Sorge vor einem Umschwung der Stimmung in der Bevölkerung berechtigt ist, zeigen auch Äußerungen von Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags von Baden-Württemberg, im Interview mit dem SWR. "Wir sind alle am Limit, wir sind, wenn wir ganz ehrlich sind, sogar schon über dem Limit und wir brauchen jetzt tatsächlich wirksame Maßnahmen von der Politik", so Jäger. Der Umgangston gegenüber Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern werde derzeit rauer.
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Am stärksten äußerte sich das im Juli im Zollernalbkreis. Im Dörfchen Killer, das zur Stadt Burladingen gehört, wollte der Landrat Günther-Martin Pauli (CDU) über eine geplante Unterkunft für Geflüchtete in einem ehemaligen Gasthof informieren. Auf einem Video ist zu sehen, wie Pauli mit dem Mikrofon in der Hand ansetzt: "Lassen Sie uns in einem demokratischen Rechtsstaat …". Dann wird er unterbrochen - von Lachen und Pfiffen aus dem Publikum. Der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Steyer meldet sich zu Wort. Von den Zuschauerrängen aus richtet er sich an Pauli: "Wenn die Bevölkerung sagt: 'wir wollen das nicht', sollten Sie doch die Interessen der Bevölkerung vertreten", sagt er unter Applaus. Die Eskalation auf der Informationsveranstaltung hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Pauli wurde von großen Teilen der Bürger niedergebrüllt, kam kaum zu Wort.
Laut dem Gemeindetags-Präsidenten Jäger könnte diesen Zuständen mit einer "besseren Begrenzungssteuerung" begegnet werden. Man brauche nun "tatsächlich wirksame Maßnahmen von der Politik". Man stände zwar zu humanitären Verpflichtungen. "Aber wir brauchen eine bessere Verteilung in Europa", so Jäger.
Plieningen profitiert von gewachsenen Strukturen
60 Kilometer von Alfdorf entfernt zeigt der Stuttgarter Stadtteil Plieningen, was bei der Unterbringung von Geflüchteten möglich ist, wenn die Infrastruktur mitspielt. Bereits 2014 wurde hier im Süden der Landeshauptstadt eine Flüchtlingsunterkunft nicht als provisorisches Containerdorf, sondern als festes Gebäude in einem gewachsenem Wohngebiet konzipiert. Zur Zeit haben hier knapp 100 Menschen aus 16 Nationen Zuflucht gefunden.
Mit Thomas Plagemann steht zu jeder Zeit ein Ansprechpartner für die Bewohnerinnen und Bewohner der Unterkunft zur Verfügung. Der ehemalige Heimhausmeister betreibt auch eine Fahrradwerkstadt für Geflüchtete. Durch viel Kommunikation und Beschäftigung versucht er Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen. "Es ist einfach sinnvoll, dass, wenn sie schon mal hier sind, man sich mit ihnen beschäftigt und sie beschäftigt", so Plagemann im Gespräch mit dem SWR. Die Strategie scheint aufzugehen. In der Kriminalitätsstatistik im Großraum Stuttgart steht Plieningen auf einer der hintersten Plätze. Bedenken, die es anfangs gab, hätten sich mittlerweile erledigt.
Geflüchtete und Nachbarn haben in Plieningen keine Probleme miteinander
Die gute Einbindung der Flüchtlingsunterkunft in den Stuttgarter Stadtteil sorgt bei Geflüchteten wie bei Anwohnern für gute Stimmung. "Alles ist sehr grün. Und Leute sind wirklich nett", so Rosanna, die aus der Ukraine geflüchtet ist. Und auch laut Max aus Kamerun ist "alles gut. Plieningen ist gut. Kein Problem."
In direkter Nähe zu dem Wohnheim lebt seit mehr als 20 Jahren Ursel Nitter, die als Kind aus Oberschlesien vertrieben wurde. Auch sie war damals auf der Flucht. "Ich hab keine Probleme", so Nitter. Auch im Dunkeln gehe sie über das Gelände. Viele andere würden davon absehen.
Alfdorfer Bürgermeister hält Veränderungen für unumgänglich
Zurück in Alfdorf sehnt man sich nach Ansprechpartnern für Geflüchtete wie Thomas Plagemann in Plieningen. Laut Bürgermeister Krötz bedeutet die Situation für die Verwaltung aktuell "wahnsinnig viel Aufwand". Auch ehrenamtliche Helferinnen und Helfer kämen an ihre Grenzen. Nach den Jahren der Corona-Pandemie mache nun der dauerhafte Krisenmodus durch den Krieg in der Ukraine und die vielen Geflüchteten die Situation "sehr herausfordernd".
Laut dem Alfdorfer Bürgermeister geht es nicht darum, dass man den Menschen nicht helfen wolle. Krötz wünscht sich eine "gerechte Verteilung" der Geflüchteten in Europa. Es sei wichtig diese Dinge beim Namen zu nennen, "ohne, dass wir irgendjemanden" anfeinden. Aber nur durch eine grundsätzliche Veränderung könne man die Situation lebenswert für alle gestalten.