Nutten, Koks und frische Erdbeeren
"Wie lange woll’n Sie das noch machen?", sang Mary Roos noch vor einigen Jahren. 2019 war es so weit und sie gab im Rahmen des SWR4 Festivals in Stuttgart ihr Abschiedskonzert. Doch von Ruhestand ist bislang nicht viel zu bemerken, denn die Sängerin a. D. feierte danach große Erfolge mit dem Bühnenprogramm "Nutten, Koks und frische Erdbeeren".
Sie und der Kabarettist Wolfgang Trepper, der sie provokant als "Helene Fischer der Bronzezeit" bezeichnete, lieferten sich in den stets ausverkauften Vorstellungen einen amüsanten Schlagabtausch über die Geschichte des deutschen Schlagers. Die große Nachfrage führt zu einer Fortsetzung des Programms. Und somit wird Mary Roos also weiterhin daran gehindert, sich dem "besten vierbeinigen Freund des Menschen" zu widmen, wie sie das Sofa bezeichnet.
Mary Roos – Die Valente vom Mäuseturm
Los gings in den 1950er-Jahren. Im Hotel ihrer Eltern in Bingen am Rhein spielte eine Band zum Nachmittagstee und in diesem Rahmen absolvierte Mary Roos ihre ersten Auftritte. Ein Plattenproduzent wurde auf sie aufmerksam und bereits als Neunjährige besang sie ihre ersten Schallplatten.
Wenig später sah man sie schon zusammen mit Max Greger, Ted Herold und vielen anderen Stars der damaligen Zeit auf ausgedehnten Tourneen. Schnell bekam sie den Beinamen "die Valente vom Mäuseturm", denn Caterina Valente war das große Vorbild der ehrgeizigen jungen Künstlerin und der Mäuseturm war eine Anspielung auf das Wahrzeichen ihrer Geburtsstadt.
Durchbruch mit Michael Holm
1970 wurde Michael Holm ihr Produzent und gleich die erste Zusammenarbeit war ein Treffer. Im Sommer 1970 erreichte Mary Roos mit "Arizona Man" erstmals die Top Ten der Verkaufshitparaden. Mit diesem Titel, den Holm zusammen mit Giorgio Moroder komponiert hatte, betrat die Interpretin gewissermaßen sogar künstlerisches Neuland, denn erstmals in der Geschichte des deutschen Schlagers kam hierbei ein Synthesizer zum Einsatz, was für entsprechende Aufmerksamkeit sorgte. Der Hit verschaffte ihr in der Jahreswertung den 2. Platz unter den erfolgreichsten Sängerinnen hierzulande.
Mary Roos und ihr Erfolg in Frankreich
Auch im benachbarten Frankreich stellten sich große Erfolge ein. Sie nahm dort eine ganze Reihe Platten auf, die bei unseren westlichen Nachbarn viel Zuspruch fanden. Als bekannt wurde, dass Mary Roos eine Deutsche sei, vermutete man einen PR-Gag: Ihre Aussprache war akzentfrei. 1972 folgte ein Gastspiel im renommierten Pariser "Olympia", wo sie als erste deutsche Künstlerin auftreten durfte und brillierte.
Glanz beim Grand Prix
Wenige Tage zuvor stand sie im schottischen Edinburgh im Rampenlicht und zeigte einen gelungenen Auftritt beim Grand Prix d’Eurovision de la Chanson. Mit ihrem Beitrag "Nur die Liebe lässt uns leben" ging sie als Drittplatzierte aus dem Wettbewerb hervor. Die positive Resonanz aus dem Ausland hatte zur Folge, dass sie ihr Lied in mehreren Sprachen aufnahm. Auch hierzulande konnte sie sich weiter etablieren und war in Personality-Shows zu sehen.
Musikalisch hatte sich Mary Roos endgültig im Genre des anspruchsvollen Liedes etabliert. Hochkarätige Komponisten und Texter schrieben für sie, darunter waren unter anderem Miriam Frances und Dr. Michael Kunze, später auch Pe Werner, Roland Kaiser, Dieter Bohlen und vor allem Michael Reinecke sowie Alexander Menke.
Ein schmerzlicher Nackenschlag für die Sängerin
Ihre positive Ausstrahlung und Glaubwürdigkeit ließen sie in all den Jahren zu einem Medien- und Publikumsliebling werden. Sie vermochte es sogar, aus einer Niederlage einen anhaltenden Erfolg zu machen: Als sie 1984 ein weiteres Mal beim Grand Prix auftrat, erfuhr sie kurz vor ihrem Auftritt, dass ihr damaliger Mann Werner Böhm ein Kind mit einer anderen Frau erwartete. Dies warf sie völlig aus der Bahn, sodass der Vortrag misslang. "Aufrecht geh’n" erreichte nur den 13. Platz. Trotz alledem wurde dieses Lied eines der schönsten und erfolgreichsten ihres Repertoires.
Jahrzehntelang ein Publikumsliebling
Die Geburt ihres Sohnes Julian im Jahr 1986 war Anlass dafür, dass sie sich vorübergehend aus dem Showgeschäft zurückzog. Der Anschluss an ihre früheren Erfolge gelang ihr in den 1990er-Jahren nahtlos und ihre Energie und ihr Einfallsreichtum waren nicht aufzuhalten.
Immer wieder hat sie ihren künstlerischen Aktionsradius erweitert: "Ich hatte nie Angst, mich zu blamieren". So bewegte sie sich erneut am Puls der Zeit, als sie bei der TV-Produktion "Sing‘ meinen Song – Das Tauschkonzert" teilnahm. Damit konnte sie auch beim jüngeren Publikum punkten.
Nach all den vielen Jahren im Showbusiness wagte sie 2013 erstmals den Schritt, Solo-Konzerte zu veranstalten – mit großem Erfolg.
Mary Roos – Eine schrille Alte
Eine schrille Alte wolle sie werden, hat Mary Roos geäußert und diesem Ziel sei sie sehr nahe gekommen, erklärte sie im Gespräch mit SWR4. Auf alle Fälle gestaltet sich ihr Leben sehr bunt – ob in Form eines Tandemsprungs aus 7.000 Metern Höhe oder die Taufe einer Rheinfähre auf ihren Namen.
Langeweile kommt also nicht auf und sollte mal keine Verpflichtung im Terminkalender stehen, dann greift Mary Roos statt zum Mikrofon gerne zu einer der zahlreichen Bohrmaschinen in ihrem Keller und werkelt etwas in ihrem Zuhause in Hamburg.
Am Anfang der besten Geschichten
Mary Roos lebt im Hier und Jetzt und blickt nicht so gerne zurück. Vieles von damals hat sie sogar vergessen und von Erinnerungsstücken hat sie sich getrennt. Manches kam ihr erst im Zusammenhang mit ihrem Buch "Aufrecht geh’n –Mein liederliches Leben" wieder in den Sinn, das von ihrer Freundin Pe Werner aufgezeichnet wurde.
Ob nach ihrem derzeitigen Tourprogramm "Mehr Nutten, mehr Koks und scheiß auf die Erdbeeren" wirklich der Vorhang fällt? Bleiben wir gespannt, denn wie hat sie selbst gesungen? Am Anfang der besten Geschichten steht immer eine Schnapsidee...
Steckbrief von Mary Roos | |
geboren | 9. Januar 1949 als Rosemarie Schwab in Bingen |
Familie | Mary Roos war in erster Ehe mit dem Franzosen Pierre Scardin und in zweiter Ehe mit dem Sänger Werner Böhm ("Gottlieb Wendehals") verheiratet. Mit ihm hat sie einen gemeinsamen Sohn, Julian Böhm (*1986). |
Mary Roos‘ jüngere Schwester Monika ging ebenfalls ins Showbusiness und ist als Sängerin Tina York bekannt. | |
Wettbewerbe | 2. Platz beim Songfestival im belgischen Seebad Knokke, 1963 6. Platz bei den „Deutschen Schlagerfestspielen“ in Baden-Baden, 1966 3. Platz beim Grand Prix d'Eurovision de la Chanson, 1972 13. Platz beim Grand Prix d’Eurovision de la Chanson, 1984 |
Schauspielerin | In dem französischen Filmmusical "Un enfant dans la ville" (deutsch: "Zum Teufel mit unserer Zeit – aber ich liebe sie") spielte Mary Roos an der Seite von Michel Fugain. |
Fernsehen | Erster Auftritt in der ZDF-Hitparade am 22. Februar 1969 mit dem Lied "Das hat die Welt noch nicht erlebt" Eigene Personality-Shows "Mary’s Music" und "Maryland" Muppet-Show, 1977 |