Resilienz: psychische Widerstandskraft des Menschen
Menschen sind erstaunlich gut darin, Schicksalsschläge auszuhalten. Das ist eine Erkenntnis der Resilienzforschung. Resilienz ist eine psychische Superkraft des Menschen, weniger heroisch ausgedrückt seine psychische Widerstandskraft. Ob jemand im Sinne des lateinischen Verbs „resilio“ bei Stress zurückfedern kann, bestimmen dabei auch die individuellen Lebensumstände.
Vernachlässigte und misshandelte Kinder würden wohl als Erwachsene scheitern, so hatte es die US-amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner angenommen, als sie 1955 eine Langzeitstudie startete. Darin begleitete sie fast 700 Menschen von der Geburt bis ins Erwachsenenleben und wollte herausfinden, wie Lebensumstände das Leben prägen.
Resilienter durch bestimmte Eigenschaften und Verbündete
Zu ihrer Überraschung stellte Emmy Werner fest: Immerhin ein Drittel der 210 Risikokinder führte trotz schwerer Startbedingungen ein gutes und erfülltes Erwachsenenleben. Diese Gruppe lieferte der Wissenschaft die ersten Anhaltspunkte dafür, was resiliente Menschen auszeichnet: So hatten alle in ihrer Kindheit einen Menschen gehabt, der zu ihnen gestanden hatte. Sie hatten sich als selbstwirksam erlebt, also festgestellt, dass sich etwas ändert, wenn sie entscheiden und handeln. Und sie verfügten über eine mindestens mittlere Intelligenz.
Heute gelten laut aktuellem Forschungsstand zusätzlich folgende Faktoren für Resilienz als gesichert:
- guter Zugang zu den Gefühlen
- zuversichtlich sein
- über ein realistisches Selbstbild verfügen
- umdenken können
- ein soziales Netz haben
- einen Sinn im Leben sehen
Schwierige Verhältnisse können Resilienz vermindern
Dagegen seien bildungsferne Menschen weniger stressresilient, berichtet Klaus Lieb, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung in Mainz. Auch wer in einer wirtschaftlich prekären Situation lebe, von Armut betroffen sei, habe häufig eine geringe Resilienz.
Diese Menschen sind meist mehr Stressoren ausgesetzt:
- Geld reicht nicht aus
- Arbeitsbedingungen sind schlecht
- es gibt wenig Platz zu Hause
- immer wieder ist unklar, wie man alles hinbekommen soll
Gleichzeitig verfügen die Menschen über weniger Ressourcen, um dem Stress zu entkommen:
- kein Verreisen
- keine kostspieligen Hobbys und Veranstaltungen
So summieren sich die Stresserfahrungen.
Kipppunkt: Wenn Stressoren sich anhäufen
Wissenschaftler wie Klaus Lieb stellen sich einen Kipppunkt vor, wenn über längere Zeit mehrere Stressoren zusammenkommen, an dem dann „die Resilienz sozusagen Schaden nimmt“. Eine solche Kipppunkt-These stützen Untersuchungsergebnisse zu den seelischen Auswirkungen der Corona-Pandemie. Sie beruhen auf den Daten der beiden Langzeitstudien LORA und MARP, die seit ein paar Jahren am Mainzer Resilienz-Institut laufen. Einige Probanden etwa kamen anfangs gut mit der Lockdown-Situation zurecht, bis „ihre Fähigkeit, mit dem Stress umzugehen, nicht mehr gehalten hat“.
Eigene Resilienz schwankt im Leben
Zudem spielt offenbar die Lebensphase von Menschen eine Rolle. Mal ist die Resilienz stärker, mal schwächer – bei demselben Menschen. Eine Phase mit vielen Belastungen und dadurch schwächerer Resilienz ist laut Klaus Lieb die Spanne von Abitur bzw. Ausbildung bis zum dreißigsten Lebensjahr. Dann wieder das Beenden des Berufslebens. Und bei vereinsamten Älteren sehe man auch, dass die Resilienz schwächer ist.
Biologisch bedingt: Resilienz von Geburt an?
Unterscheiden sich resiliente Menschen körperlich von Menschen mit einer geringen Resilienz? Die Hoffnung: Wenn klar ist, was Menschen resilient macht, kann man gezielt psychischen Erkrankungen vorbeugen, die oft durch starkes Stresserleben erzeugt werden wie Angst- oder posttraumatische Belastungsstörungen. Während die psychologischen Faktoren gut erforscht sind, steht die biologische Resilienzforschung allerdings noch am Anfang.
Ein Gen und zwei Herzschläge: Befunde der biologischen Resilienzforschung
Welche Beobachtungen es zum autonomen Nervensystem gibt, schildert Prof. Jana Strahler von der Universität Freiburg: Der Körper von resilienten Personen schüttet unter Akutstress weniger des Neurotransmitters Noradrenalin aus, in den Worten der Resilienzforscherin reagiert er also „gedämpfter“. Den Abbau von Noradrenalin wiederum steuert ein Gen und scheinbar erzeugen resiliente Menschen mehr Proteine, um das ausgeschüttete Noradrenalin abzubauen. „Sie erholen sich schneller, das heißt, die Aktivierung wird schneller wieder in den Ausgangszustand zurückreguliert.“
Auch der Herzschlag kann etwas über die Resilienz verraten. Anders als bei einem perfekten Metronom variieren die Abstände zwischen zwei Herzschlägen um wenige Millisekunden. Das ist mit der sogenannten Herzratenvariabilität gemeint. „Unser Ziel ist es hier, eine hohe Variabilität zu haben“, sagt Strahler. Denn das stehe für eine sehr gute Balance zwischen den aktivierenden und den beruhigenden Anteilen des autonomen Nervensystems.
Befremdliches Ideal: der psychisch widerstandsfähige Mensch
Die Resilienz ist bei der Einen mit guten körperlichen Konditionen höher, bei dem Anderen in einer kritischen Lebenssituation niedriger. Die Soziologin Stefanie Graefe hat den Eindruck, dass sich daraus zu oft eine unpassende Bewertung von Menschen ergibt, etwa „Warum bist du nicht so resilient wie der eine Nachbar, der es doch unter schwierigen Bedingungen gut hinkriegt?“ Stefanie Graefe hat nichts gegen die Resilienz an sich, doch solche vermeintlichen Kernbotschaften hält sie für schwierig.
Keinen Stress mit der Resilienz
Wenn man eines Tages tatsächlich gezielt durch Resilienzübungen psychischen Erkrankungen vorbeugen kann, kann das vielen Menschen helfen. Wird die Resilienz allerdings zum Leitbild, drohen Menschen unter Druck zu geraten oder gar stigmatisiert und damit weniger resilient zu werden. In Resilienzfaktoren übersetzt heißt das: Bei allem Optimismus – bitte weniger Hype und mehr realistisches Selbstbild.
SWR 2021