Eichhörnchen: Sinnbild für Fleiß – und für das Böse
Johann Wolfgang von Goethe liebte Eichhörnchen. Die flinken Nager mit dem roten, braunen oder schwarzen Fell, den buschigen Schwänzen und geschickten Pfoten haben Naturforscher ebenso wie Literaten und Maler seit jeher fasziniert.
Man hat in ihnen ein Sinnbild für Fleiß gesehen, aber auch für den Teufel und das Böse. Ihre Menschenähnlichkeit, ihre Sprungkraft und Geschäftigkeit wirken zweischneidig: einerseits vertraut, andererseits unheimlich, irrlichternd, dämonisch. Den meisten Menschen aber sind Eichhörnchen einfach sympathisch.
Zahme Hörnchen
Tatsächlich gewöhnen sich Eichhörnchen schnell an Menschen, die sie regelmäßig füttern. In den Parks und Friedhöfen großer Städte oder auf viel begangenen Wanderwegen fordern sie die gewohnten Nüsse von Passanten manchmal sogar aufdringlich ein.
In früheren Jahrhunderten waren zahme Eichhörnchen auch als Haustiere beliebt. Hans Holbein der Jüngere malte im 16. Jahrhundert ein Bild von Lady Anne Lovell mit Eichhörnchen im Arm. Das Haustier war auch das Wappentier ihrer Familie und weist wohl auf deren Fleiß und Tüchtigkeit hin. Kleiner Scherz am Rande: Neckisch berührt der Schwanz den Halsausschnitt der recht züchtig bekleideten Dame.
Der buschige Schwanz des Eichhörnchens hat Menschen schon immer besonders beeindruckt und ihre Phantasie beflügelt. Mit seiner oftmals roten Fellfarbe erinnerte er manch einen an die züngelnden Flammen des Höllenfeuers. Im 16. Jahrhundert platzierte der flämische Maler Michiel Coxcie in seinem Gemälde vom Sündenfall ein Eichhörnchen zu Evas Füßen – als Symbol des Teufels.
Eichhörnchen als Haustier
Der Dichter Friedrich Hebbel hatte ein zahmes Eichhörnchen und liebte es abgöttisch. In langen Briefen beschrieb er um 1860 die Streiche des pelzigen Familienmitglieds.
Hebbels Eichhörnchen durfte frei herumflitzen, klaute Zucker aus der Dose und schlabberte Milch. Das war ungesund, leider. Als das Tier im Herbst 1861 starb, war Hebbel am Boden zerstört.
Gelbe Augen und gute Tarnung
Eigentlich sind Eichhörnchen für ein Leben in menschlicher Obhut nicht geeignet. Am besten sind sie in den Wipfeln hoher Bäume aufgehoben, gut getarnt durch das das dunkle Fell, das die Greifvögel von oben im Gewirr der Äste nicht erkennen können.
Das weiße Bauchfell wiederum verschwimmt von unten mit dem hellen Himmel und macht Mardern und anderen Verfolgern am Boden das Jagen schwer. Dank ihrer scharfen Sinne kommen Eichhörnchen auch in dichten Baumkronen gut zurecht. Spezielle Tasthaare im Gesicht und an anderen Körperteilen – die sogenannten Vibrissen – erweitern das Raumgefühl und signalisieren, ob der Platz zum Durchschlüpfen ausreicht.
In ihren Augen sind die Linsen, die sie zum Scharfsehen brauchen, gelb gefärbt: ähnlich wie die gelb-orangefarbenen Brillen, die Piloten tragen, um Details vom Flugzeug aus besser zu erkennen. Kräftige Muskeln und gut gepolsterte Sohlenballen ermöglichen den Eichhörnchen bis zu zwei Meter weite Sprünge – aus dem Stand.
Zapfen als Hauptnahrung
Die Eichhörnchenmütter umsorgen ihre Jungen allein. Die Zweisamkeit mit dem Männchen ist nach einem Tag wieder vorbei. Die Jungen, im Durchschnitt vier bis fünf, sind am Anfang winzig, nackt und blind. Doch sie wachsen schnell, und nach etwa 38 Tagen geht’s rund: Die Balgereien beginnen erst im, dann rund um den Kobel. Die kleinen Eichhörnchen lernen, sich durchzusetzen, um später ein eigenes Streifgebiet besiedeln zu können. Sofern sie ihre Kindheit überleben.
In guten Jahren, wenn es im Wald viele Zapfen gibt, kommt es im Spätsommer noch zu einem zweiten Wurf. Zapfen sind die Hauptnahrung der Eichhörnchen, auch wenn das berühmte Bild von Dürer mit den haselnussknackenden Eichhörnchen einen anderen Eindruck erweckt. Die Tiere lieben zwar Nüsse, aber davon gibt es weniger, und in großen Mengen sind sie für die Eichhörnchen auch nicht so gut verträglich wie Zapfen.
Im Herbst buddeln und graben die Eichhörnchen unablässig. Wenn Nüsse, Bucheckern und andere Leckerbissen im Überfluss vorhanden sind, legen sie Vorräte an. Sie schleppen Pilze in Baumkronen und hängen sie zum Trocknen auf, graben Nüsse und andere Baumfrüchte im Waldboden ein.
Nadelwälder als letzte Refugien
Das Grauhörnchen, Sciurus carolinensis, ist etwas größer und schwerer als das Eichhörnchen und hat ein grauschattiertes Fell. Diese Hörnchen richten in den britischen Wäldern erhebliche Schäden an, weil sie Baumrinden abnagen und die Bäume anfällig für Krankheiten machen.
Auch setzen sie den Vögeln stärker zu als die Eichhörnchen, die nur gelegentlich mal ein Singvogelnest ausräumen. Die Grauhörnchen haben sich bereits bis ins untere Drittel Schottlands vorgearbeitet. Nur im schottischen Norden gibt es noch weite Gebiete, in denen lediglich Eichhörnchen leben.
In Schottland ist die Bevölkerung mit Eichhörnchen noch sehr vertraut und leidet mit ihnen, wenn sie am Squirrelpox-Virus, auch Eichhörnchenpocken genannt, erkranken und qualvoll zugrundegehen. Das Grauhörnchen trägt dieses Virus zwar in sich und gibt es weiter, aber es erzeugt bei ihm keine Symptome. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Sache auf dem Kontinent entwickeln wird. Grauhörnchen leben inzwischen auch in Italien.
Wenn nichts geschieht, sind die Grauhörnchen in wenigen Jahrzehnten auch in Mitteleuropa angekommen. Und dann haben die Eichhörnchen nur noch in Nadelwäldern eine Chance. Der Schwarzwald könnte dann zum wichtigsten Refugium werden.
SWR 2016