Rudolf Augstein bleibt 103 Tage in Haft. Am 7. Februar 1963 wird er freigelassen, weil die Haftgründe – Flucht- und Verdunkelungsgefahr – als nicht mehr gegeben angesehen werden. Das Verfahren wegen Landesverrats ist damit aber noch nicht ausgestanden. Das passiert erst zwei Jahre später. Im Februar 1965 werden die Ermittlungen gegen Rudolf Augstein eingestellt.
Keine Beweise für Landesverrat
Am 13. Mai 1965 kommt sogar der Bundesgerichtshof zum Ergebnis, dass es für den Vorwurf des Landesverrats keine Beweise gibt. Alle Details, die der Spiegel in seinem regierungskritischen Artikel „Bedingt abwehrbereit“ verwendet habe, seien bereits von anderen Medien genannt worden oder öffentlich zugänglich gewesen.
Am Tag nach diesem sehr klaren Urteil des Bundesgerichtshofs äußert sich Rudolf Augstein in einem Interview mit NDR-Redakteur Helmut Günther.
Historische Tondokumente
27.10.1962 "Bedingt abwehrbereit": Beginn der Spiegel-Affäre
27.10.1962 | Am Abend des 26. Oktober 1962 besetzte die Polizei Redaktionsräume des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ im Hamburger Pressehaus. Vorausgegangen waren Berichte des „Spiegel“, die sehr kritisch gegenüber der Politik von Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) waren. Insbesondere der Artikel, der am 10. Oktober 1962 unter der Überschrift „Bedingt abwehrbereit“ erschienen war.
Der Artikel kam zu dem Ergebnis, dass die Verteidigungsstrategie der Bundeswehr im Fall eines sowjetischen Angriffs nicht funktionieren würde. Die Bundeswehr sei dafür zu schlecht ausgestattet.
Diesen Artikel und die darin enthaltenen Details betrachteten Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) und Verteidigungsminister Strauß als Landesverrat, aber auch Bundesanwalt Albin Kuhn sah das so.
Am 23. Oktober 1962 ergingen Haftbefehle, drei Tage später schlug das Bundeskriminalamt zu und am folgenden Morgen, dem 27. Oktober 1962, informierte der Verlag die Öffentlichkeit über die Vorgänge.
Später, am selben Tag, befragen Journalisten die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, worüber wiederum der Südwestfunk berichtete. Darin fällt auch das Stichwort „Onkel Aloys“. Unter diesem Titel war im September bereits ein Strauß-kritischer Artikel im Spiegel erschienen – und zwar darüber, dass ein enger Vertrauter der Strauß-Familie, Aloys Brandenstein, durch Rüstungsgeschäfte der Bundesregierung Millionen an Provisionsgeldern kassiert habe.
Minister Strauß verklagt „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein. Viele spekulieren, dass die aktuelle Aktion gegen den „Spiegel“ ein Racheakt des Verteidigungsministeriums sei. Auch diese Frage sprechen die Journalisten gegenüber der Bundesanwaltschaft an.
29.10.1962 Nach Augstein-Verhaftung: öffentliche SPIEGEL-Betriebsversammlung mit Verlagschef Becker
29.10.1962 | Zwei Tage nach der Durchsuchung der "Spiegel"-Redaktionsräume stellte sich "Spiegel"-Chef Rudolf Augstein am 28. Oktober 1962 der Polizei und wurde verhaftet. Am 29. Oktober lädt Verlagschef Hans Detlev Becker die Belegschaft zu einer Betriebsversammlung. Er gibt sich gut gelaunt und selbstsicher, macht sich über die Regierung lustig und erklärt, dass ein "Spiegel" ohne Augstein sicherlich ein anderer Spiegel wäre. Zugleich zeigte er sich zuversichtlich, dass sich die Beschuldigungen in Luft auflösen würden. | Spiegel-Affäre
6.11.1962 Franz Josef Strauß zur SPIEGEL-Affäre: "Ich kenne den Artikel nicht"
6.11.1962 | Die SPIEGEL-Affäre gilt als einer der größten Polit-Skandale der Bundesrepublik. Im Kern wirft die Bundesanwaltschaft Redakteuren des Nachrichtenmagazins der SPIEGEL Landesverrat vor. Am 26. Oktober 1962 werden die Redaktionsräume des SPIEGEL durchsucht, mehrere Redakteure werden festgenommen. Die Polizei-Aktion bringt auch Verteidigungsminister Franz Josef Strauß unter Druck. Es wird gemunkelt, Strauß habe unter anderem die Verhaftung von SPIEGEL-Autor Conrad Ahlers veranlasst – wozu er in seinem Amt offiziell keine Befugnis hat. Im Interview erklärt sich der Verteidigungsminister am 6. November 1962.
Die SPIEGEL-Autoren des umstrittenen Artikels „Bedingt abwehrbereit“ machen später übrigens in der Politik Karriere. Conrad Ahlers ist von 1969 bis 1972 Regierungssprecher von Bundeskanzler Willy Brandt. Hans Schmelz arbeitet von 1969 bis 1982 im Planungsstab, unter anderem von Verteidigungsminister Helmut Schmidt.
7.11.1962 Konrad Adenauer sieht "Abgrund von Landesverrat"
7.11.1962 | Bundeskanzler Konrad Adenauer bekommt durch die SPIEGEL-Affäre mächtig Druck – von der Opposition, aber auch vom Koalitionspartner FDP. Adenauers Verteidigungsminister Franz Josef Strauß soll in die Verhaftung mehrerer SPIEGEL-Redakteure verwickelt gewesen sein. Aber der Bundeskanzler nimmt seinen Minister in Schutz. Den Redakteuren des SPIEGEL dagegen wirft er – die Unschuldsvermutung ignorierend – Landesverrat vor. Am 7. November 1962 verteidigt Konrad Adenauer in einer turbulenten Bundestagsdebatte sein Vorgehen und die Behörden.
Nur wenige Tage nach dieser Bundestagsdebatte, am 19. November 1962, treten die FDP-Minister der Adenauer-Regierung geschlossen zurück. Daraufhin nimmt auch Verteidigungsminister Strauß seinen Hut. Es ist der Anfang vom Ende der Ära Adenauer, der im Dezember 1962 ein letztes Mal ein neues Kabinett zusammenstellt.
19.11.1962 Erich Mende verkündet Rücktritt der FDP-Minister
19.11.1962 | Die Polizeiaktion am 26. Oktober 1962 im Rahmen der SPIEGEL-Affäre sorgt für Ärger in der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP. Franz Josef Strauß soll als Verteidigungsminister in die Verhaftung mehrerer SPIEGEL-Redakteure verwickelt gewesen sein. Aber weil Strauß und auch Bundeskanzler Konrad Adenauer ihr Vorgehen und das der Behörden verteidigen, verkünden die FDP-Minister der Regierung geschlossen ihren Rücktritt. Am 19. November 1962 geht Fraktionsvorsitzender Erich Mende in Nürnberg vor die Mikrofone.