Historische Aufarbeitung oder Identitätspolitik

Aufregung um Netflix-Doku: Wie schwul darf Alexander der Große sein?

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Autor/in
Dominic Konrad
Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik

Alexander der Große gilt als der größte Feldherr der Antike: In seinen dreizehn Jahren auf dem Thron eroberte er das persische Großreich und Ägypten und stieß bis ins heutige Indien vor. Noch heute wird um den griechischen Nationalhelden hitzig gestritten, vor allem bei der Frage, ob er mit Männern das Bett teilte. Jetzt sorgt eine Netflix-Dokuserie für neuen Zündstoff, auch in der griechischen Politik.

Die Alexanderschlacht”, Mosaik aus Pompeji im Archäologischen Museum von Neapel
Bedeutendster Feldherr der Antike: Alexander der Große besteigt mit 20 Jahren den Thron des Königreichs Makedonien. Er vereint die griechischen Stadtstaaten und erobert in 13 Jahren ein Reich, das sich bis ins heutige Indien erstreckt. Er stirbt mit 32 Jahren in Babylon.

Alexander küsst seinen Jugendfreund und das Internet ist empört

Sex sells, das wissen auch die Macher des neuen Historien-Dokudramas „Alexander der Große: Wie er ein Gott wurde“, das Ende Januar auf Netflix startete. Noch nicht mal zehn Minuten dauert es, da sieht man den gutgebauten makedonischen Prinzen Alexander beim Baden und leidenschaftlichen Küssen – mit einem anderen Mann.

lol. "Alexander: The Making of a God" was so underwhelming, but homophobes are making me wanna hardcore support it . #netflix #AlexanderTheMakingOfAGod pic.twitter.com/dtXcog0XWp

Die Empörung ist groß – und mit Sicherheit auch so von den Machern kalkuliert. Im Internet werfen Konservative dem Streaming-Giganten vor, Alexander den Großen für ihre „woke Agenda“ zu instrumentalisieren. Ähnliche Kritik gab es im vergangenen Jahr, als Netflix in einer anderen Geschichtsdoku Kleopatra mit einer Schwarzen Frau besetzte.

Die griechische Kulturministerin Lina Mendoni kritisiert die Serie als „Fiktion von extrem schlechter Qualität“. Vertreter der konservativ-orthodoxen Partei Niki forderten sogar ein Verbot. Dass die griechische Politik über die Serie streitet, liegt nicht zuletzt auch an der jüngst beschlossenen Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare in Griechenland.

Griechische Proteste am Alexander-Denkmal in Thessaloniki (2018)
Alexander der Große gilt als nationale Identifikationsfigur in Griechenland und Nordmazedonien. Am Reiterstandbild im Hafen von Thessaloniki finden politische Kundgebungen statt.

Dabei ist die Annahme, dass Alexander (vielleicht sogar vorrangig) an Männern sexuell interessiert war, unter Historikern weit verbreitet. Vor allem Alexanders Verhältnis zu seinem engen Berater und Leibwächter Hephaistion wird dabei immer wieder diskutiert.

Philalexandros – Freund Alexanders

Nur wenig wissen wir über jenen Hephaistion. Mit Sicherheit stammte er aus dem makedonischen Adel, denn er wurde gemeinsam mit Alexander und anderen Fürstensöhnen in der Schule des Aristoteles in Mieza ausgebildet. Als Alexander nach der Ermordung seines Vaters Philipps II. die Thronfolge antritt, befindet sich Hephaistion unter den engsten Vertrauten des 20-jährigen Königs. 334 v. Chr. zieht er als einer der ranghöchsten Generäle Alexanders in den Krieg gegen das persische Großreich.

Colin Farrell als Alexander der Große (2004)
Kaum etwas ist bekannt über Hephaistion mit Ausnahme seiner Bedeutung im Alexander-Feldzug. Diese Büste (ca. 320 v. Chr.) soll den griechischen General und späteren Halbgott darstellen.

Alexander verleiht Hephaistion sogar einen persönlichen Ehrentitel: Während er andere Vertrauten als „Philbasileus“ (Freund des Königs) bezeichnet, steht Hephaistion als Einzigem das intimere „Philalexandros“ – Freund Alexanders – zu. Nach der Niederlage des Perserkönigs Dareios und der Eroberung Babylons unterstützt Hephaistion Alexanders Politik der Übernahme persischer Herrscherrituale bei Hofe und macht sich damit Feinde innerhalb der makedonischen Heerführung.

Auf dem Rückweg seines Indienfeldzugs lässt Alexander 324 v. Chr. in der Massenhochzeit von Susa rund 80 seiner griechischen Gefolgsleute mit Perserinnen verheiraten, um die Verbindung beider Völker zu festigen. Alexander selbst heiratet zwei persische Königstöchter, Hephaistion wird durch die Heirat mit Drypetis, der Schwester von Alexanders Frau Stateira, sein Schwager und Mitglied der Königsfamilie.

Hephaistion stirbt noch im selben Jahr in Ekbatana an einer ungeklärten Krankheit. Alexander hat aus Trauer den größten Zusammenbruch seines Lebens. Er richtet prunkvolle Trauerfeiern aus und lässt seinen toten Freund als Halbgott kultisch verehren. Alexander überlebt Hephaistion nicht einmal ein Jahr: Am 10. Juni 323 v. Chr. stirbt der König in Babylon; er ist 32 Jahre alt.

MrWissen2Go über Alexander den Großen

Ein Patroklos zu Alexanders Achilles

Das große Problem der Alexander-Forschung ist, dass keine Quellen aus Alexanders Lebzeiten bis heute überdauert haben. Die wichtigsten Texte stammen aus römischer Zeit. So hüllt sich um viele Details von Alexanders Vita ein Schleier der Ungewissheit, auch über die Beziehung Alexanders zu Hephaistion. Doch mehrere überlieferte Episoden lassen vermuten, dass ihr Verhältnis mehr war als eine rein platonische Männerfreundschaft.

Alexander sieht sich in der Nachfolge des trojanischen Helden Achilles. Nach der Überquerung des Hellespont bringt er am Grab des Helden in Troja in einer feierlichen Zeremonie Opfer dar. Hephaistion vollzieht das gleiche Opfer am Grab des Patroklos. Wenngleich bei Homer nicht eindeutig so bezeichnet, galten Achilles und Patroklos zu Alexanders Lebzeiten als Liebespaar.

Charles Le Brun: Die Königinnen von Persien zu Füßen Alexanders des Großen (um 1660)
Sysigambis, die Mutter des entmachteten Königs Dareios III., fällt vor Alexander auf die Knie, als dieser in Babylon einmarschiert. Doch sie verwechselt Alexander mit seinem Gefährten Hephaistion.

Hephaistion steht auch im Zentrum einer Anekdote um die Einnahme Babylons: Als die Mutter des geflüchteten Perserkönigs vor Alexander geführt wird, fällt diese vor Hephaistion auf die Knie. Sie soll den größeren der beiden Männer für den König gehalten haben. Alexander habe sie vor einer Demütigung bewahrt, indem er ihr entgegnete, dass auch Hephaistion Alexander sei, schreibt etwa der römische Autor Curtius Rufus in seiner Alexander-Vita.

Natürlich finden sich auch Frauen in den Alexander-Biografien: Alexander zieht gegen Persien in die Schlacht, ohne zuvor eine Königin zu wählen, die seine Nachfolge sichern könnte. Erst spät in seinem Feldzug ehelicht er Roxane, die Tochter eines Regionalfürsten im heutigen Afghanistan. Mit ihr hat Alexander einen Sohn, der erst nach Alexanders Tod geboren wird.

Die Hochzeit Alexanders mit Roxane. Fresko in der Villa Farnesina, Rom.
Alexanders Hochzeit mit der baktrischen Prinzessin Roxane wurde von Künstlern in der Renaissance romantisch überhöht. Ein Alexander-Fresko in der römischen Villa Farnesina zeigt im Schatten der Hochzeitsnacht auch Alexanders halbnackten Kampfgefährten.

War Alexander der Große schwul?

Ob Alexander nun mit Männern schlief oder nicht: Ihn als schwul zu bezeichnen ist in jedem Fall falsch. Begriffe wie Hetero- und Homosexualität gab es in der griechischen Antike nicht. Sexuelle Präferenz wurde nicht als Teil der eigenen Identität angesehen.

Welche Form der gleichgeschlechtlichen Liebe im antiken Griechenland akzeptiert war, unterschied sich mitunter von Stadtstaat zu Stadtstaat. Generell akzeptiert waren päderastische Beziehungen zwischen erwachsenen Männern und Jugendlichen, denen man eine gewisse erzieherische Komponente beimaß.

Man kann davon ausgehen, dass im Königreich Makedonien der Umgang mit Sex zwischen Männern relativ frei war. Das legen überlieferte Reiseberichte nahe. Auch Alexanders Vater Philipp II. wird sexueller Umgang mit Männern nachgesagt, unter seinen Partnern soll auch sein späterer Mörder Pausanias gewesen sein.

Geschichte der Liebe (1/3) Liebe bei den alten Griechen und Römern

In der Antike wurden Ehen meist arrangiert. Sex und Leidenschaft fanden zumindest Männer jenseits der Familie. Gab es also schon Romantik, wie wir sie am Valentinstag inszenieren? (SWR 2021/2022)

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Warum es wichtig ist, über Alexanders Sexualität zu reden

Bis heute bleibt unser Bild der Geschichte vornehmlich männlich, weiß und eben auch heterosexuell. Homosexualität dient in der Geschichtsschreibung und -rezeption vor allem als abschreckendes Beispiel oder als Stoff für Skandale: Neros Hochzeit mit seinem Sklaven Sporus, die Ermordung Edwards II. von England oder die Hinrichtung Hans Hermann von Kattes, der die Jugendliebe Friedrichs des Großen gewesen sein könnte.

Dabei sind zwischenmenschliche Beziehungen wichtig für unser Verständnis historischer Persönlichkeiten. Kaum bestritten werden der Einfluss der Madame de Pompadour auf die Außenpolitik Ludwigs XV. oder Grigori Potemkins Stellung am Hofe Katharinas der Großen.

Colin Farrell als Alexander der Große (2004)
Oliver Stones Alexander-Biopic mit Hauptdarsteller Colin Farrell sorgte 2004 für große Diskussionen und Klagen in Griechenland. Grund schon damals: die angedeutete Intimität mit Hephaistion (gespielt von Jared Leto).

War Hephaistion wirklich der Mann an Alexanders Seite, dann hatte er maßgeblichen Einfluss auf Alexanders Politik und damit auf die Hellenisierung, die Verbreitung griechischer Kunst und Gepflogenheiten weit über den Mittelmeerraum hinaus bis in die entlegensten Winkel des Alexanderreichs.

Alexander wird bis heute verehrt: als Volksheld, als aufgeklärter Idealherrscher, als ausgezeichneter Militär- und Machtstratege und schließlich auch als queere Projektionsfigur. An seiner historischen Bedeutung ändert letzteres nichts.

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