Dabei ist der prozentuale Anteil der Kinder, die durch Frauen missbraucht werden, gar nicht so gering, wie viele vermuten würden. Trotzdem werden Frauen in dieser Kriminalitätsstatistik oft gar nicht berücksichtigt. In der SWR Story "Das Tabu im Tabu – Kindesmissbrauch durch Frauen" hat sich der Journalist und Filmemacher Sebastian Bellwinkel mit dem Thema auseinandergesetzt. Wir haben mit ihm darüber gesprochen.
SWR1: Wie oft sind eigentlich Frauen Täterinnen in diesem Kriminalitätsbereich? Man hört immer von Männern, die das machen. Haben Sie Zahlen, wie oft Frauen Täterinnen sind?
Sebastian Bellwinkel: Gerade weil das so ein Tabu im Tabu ist – sexualisierte Gewalt gegen Kinder ist an sich schon ein Tabu und mit Frauen noch mehr – gibt es auch in der Forschung noch nicht wirklich viele Ergebnisse dazu, was die Quantität angeht. Die wenigen Studien, die es dazu gibt, deuten darauf hin, dass es bis zu 20 Prozent der Missbrauchsfälle sind, in denen eine Frau verantwortlich ist. Manche angelsächsische Studien sprechen sogar von bis zu 30 Prozent.
SWR1: Was lernen wir daraus, wenn wir den Film schauen? Was ist die Hauptaussage dessen, was Sie da recherchiert haben?
Bellwinkel: Die Hauptaussage ist, dass wir als Gesellschaft viel, viel genauer hingucken müssen. Wir zeigen in dem Film, dass selbst die Strafverfolgungsbehörden, Polizei, Staatsanwaltschaft es nicht für möglich gehalten haben – bis zum Staufen-Fall – dass eine Frau so etwas machen könnte. Dabei weiß man das eigentlich, wenn man sich ein bisschen damit befasst, schon aus der Geschichte der Orden zum Beispiel. Bei den Ordensschwestern – das ist bekannt – ist es häufiger zu Missbrauch gekommen, schon in früheren Jahrzehnten.
Die Betroffenen trauen sich aber kaum, darüber zu sprechen, weil ihnen keiner glaubt. Damit die Betroffenen mehr Chancen haben, Gehör zu finden, müssen wir alle genauer hinhören und hingucken und auch das Unmögliche für möglich halten.
SWR1: Und tatsächlich kommt in Ihrem Beitrag auch ein Betroffener zu Wort, ein heute 60-jähriger Mann, der als Kind von seiner Tante immer wieder missbraucht wurde. Wie geht ein solcher Betroffener beispielhaft mit diesem lebenslangen Trauma um?
Bellwinkel: Ich glaube, dass dieser Mann lange gebraucht hat, weil er es – wie so viele – über Jahre erst mal verdrängt hat. Weil es natürlich für Kinder, die sexualisierte Gewalt erfahren [schwierig ist]. Und wenn es auch noch eine Anvertraute ist, die Tante, in vielen Fällen sogar die Mutter, dann wissen Kinder und Jugendliche überhaupt nicht damit umzugehen, weil sie völlig verstört sind. Dann packen sie das im Unbewussten erst einmal weg.
Bei ihm war es so, dass es zehn, zwanzig Jahre später überhaupt erst wieder an die Oberfläche gekommen ist. Er hat lange damit gekämpft und über viele Therapien hat er dann einen Weg gefunden, damit umzugehen. Aber das hat eben sehr lange gedauert.
Das Gespräch führte SWR1 Moderator Hanns Lohmann.
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Die SWR Story "Das Tabu im Tabu" ab sofort in der ARD Mediathek. Sendetermin: Donnerstag, 19.10.2023 um 21 Uhr im SWR.