SWR1: Wie kann ich feststellen, ob auf Wikipedia Unfug geschrieben steht oder nicht?
Dr. Thomas Roessing: Sie können zum Beispiel die Diskussionsseite eines Artikels aufrufen.
Die größte Gefahr bei der deutschsprachigen Wikipedia ist, dass Artikel eine inhaltliche Schieflage haben. Das gibt es bei gesellschaftlich umstrittenen Themen. Da ist Wikipedia also im Grunde ein Spiegel der Gesellschaft.
Wenn sie einen Artikel über ein Thema aus den Bereichen Umweltschutz oder Alternativmedizin, also allem, was auch in der Gesellschaft umstritten ist, vor sich haben und sich nicht ganz sicher sind, ob dieser Artikel eine inhaltliche Schlagseite hat, dann schauen sie auf die Diskussionsseite.
SWR1 Podcast-Tipp
Sockenpuppenzoo – Angriff auf Wikipedia
Wikipedia ist die vielleicht wichtigste Webseite unserer Demokratie. Eine Internet-Utopie, wo jede und jeder freien Zugang zu Wissen hat. Und sogar selbst mitschreiben darf. Doch das System ist fragil.
Rechtsextreme haben die Offenheit Wikipedias genutzt, um Informationen und Diskurse unerkannt zu manipulieren. Mutmaßlich schrieben sie mithilfe von hunderten von Fake Account Artikel zur deutschen Geschichte um, erfanden Fakten, relativierten den Holocaust – bis sich ihnen eine Handvoll Wikipedianer*innen mutig entgegenstellte. Ob die Täter wirklich gestoppt wurden, ist bis heute nicht klar.
Die Investigativjournalisten Christoph Schattleitner und Daniel Laufer nehmen im Podcast "Sockenpuppenzoo" die Spur auf und fragen: Was sind das für Menschen, die hinter diesem Angriff stecken? Und können wir Wikipedia heute wirklich noch vertrauen? Ihre Recherche führt sie von den dunkelsten Ecken des Internets zu holzvertäfelten Burschenschaftskellern bis in die Kaderschmiede der Bundeswehr.
Jeder Wikipedia-Artikel hat eine Diskussionsseite, auf der sich die Nutzer darüber austauschen, wie dieser Artikel verbessert werden kann. Wenn sie auf dieser Diskussionsseite sehen, dass dort vielleicht schon seit Jahren um einzelne Formulierungen gestritten wird oder es darum geht, ob bestimmte Informationen in den Artikel rein- oder rausgelassen werden sollen, dann wissen Sie, dass an diesen Stellen Streit herrscht und dass sie sich vielleicht noch auf anderen Quellen informieren sollten.
Berühmt ist hier der Artikel über Homöopathie. Dessen Diskussionsseite ist deutlich länger als die Bibel. Und es dauert auch deutlich länger, diese Diskussionsseite komplett zu lesen als die ganze Bibel zu lesen. Wenn man da mal einen Blick reingeworfen hat, dann bekommt man ein Gefühl dafür, wo Streitpunkte bestehen könnten und welche Informationen vielleicht noch mal überprüft werden sollten.
SWR1: Wer kontrolliert Wikipedia?
Roessing: Wenn jemand einen komplett gefälschten Artikel einstellt, wird das üblicherweise von der sogenannten Eingangskontrolle entdeckt. Der Schuldige wird dann auf der Seite für die Vandalismus-Meldung als Vandale gemeldet. Dann wird er von den Administratoren gesperrt, sodass er keinen weiteren Unfug stiften kann.
Für diese Eingangskontrolle sind Nutzer zuständig, die sich darauf konzentrieren, neue Artikel auf Inhalt, Form und sprachliche Richtigkeit zu überprüfen.
SWR1: Das sind dann die, die Wikipedia im Hintergrund kontrollieren?
Roessing: Das ist die aktive Nutzerschaft. Also jeder, der Wikipedia aktiv nutzt, also einen Benutzeraccount hat. Man kann natürlich solche Überprüfungen auch ohne Benutzeraccount machen,. Aber wenn man einen Benutzeraccount hat, dann ist man tiefer integriert in Wikipedia.
Alle diese Nutzer passen auf, dass da kein Unfug passiert!
Es gibt eine gewisse Anzahl von Nutzern – die gewählten Administratoren – die Artikel sperren können, wenn dort immer wieder versucht wird, falsche Informationen einzutragen.
Das ist besonders der Fall bei moralisch oder anderweitig emotional aufgeladenen Themen. Das muss gar nicht immer die große Politik sein. Da reicht zum Beispiel auch ein unglücklich ausgegangenes Fußballspiel oder ähnliches. Dann spielen sich in manchen Artikeln über einzelne Fußballspieler sehr unschöne Szenen ab. Diese Artikel werden dann von den Administratoren temporär für Bearbeitungen gesperrt. Damit dort kein weiterer Unfug geschehen kann.
Das Wikipedia Versprechen
Qualität des Inhalts bei Wikipedia
SWR1: Wie gut ist Wikipedia?
Roessing: Wenn sie einfache Sachinformationen suchen, weil sie zum Beispiel eine Reise machen wollen und wissen möchten, wie in dieser Stadt der Hauptbahnhof aussieht und wie das Stadtbahnsystem funktioniert, dann sind sie bei Wikipedia genau richtig.
Da findet man also sehr selten Falschinformationen. Man hat eher das Problem, dass Informationen möglicherweise fehlen, weil die Community nicht über jeden U-Bahnhof und über jede Straßenbahnhaltestelle einen eigenen Artikel haben möchte.
Wenn sie aber in die Bereich gehen, wo gesellschaftliche Konflikte herrschen, dann gibt es immer wieder Nutzer, die versuchen, ihre Sichtweise in den Artikel hineinzudrücken. Zum Teil durch ganz subtiles sogenanntes "Instrumentelles Editieren". Also das Einbringen von Informationen, die die eigene Sichtweise stützen, oder das Herauslöschen von Informationen, die der eigenen Sichtweise widersprechen.
Je nach Thema, sind sie da sicherer unterwegs oder weniger sicher. Einen relativ guten Ruf haben die Artikel in Wikipedia über naturwissenschaftliche Themen. Zum Beispiel aus der Biologie und auch über viele Bereiche aus der Medizin und der Tiermedizin.
In der Biologie kann man sich das leicht vorstellen, wenn es um irgendwelche Pflanzen im Regenwald geht hat keiner ein Interesse daran, Fälschungen einzubringen oder eine ideologisch gefärbte Sichtweise durchzusetzen. Und es gibt genug Fachliteratur, die als Beleg angegeben werden kann, so dass man die Informationen, die man findet, auch leicht überprüfen kann.
SWR1: Je kontroverser ein Thema ist, desto weniger kann man Wikipedia also vertrauen?
Roessing: Ja, da muss man eben vorsichtig sein. Die Community achtet auch hier darauf, dass keine eklatanten Verstöße gegen die Neutralität einer Enzyklopädie auftreten.
Aber, subtile Änderungen in der Art, wie eine Person, eine Organisation, oder eine Partei mit dem Wikipedia eigenen Kategoriensystem kategorisiert wird, werden nicht immer gleich entdeckt oder nicht immer gleich richtig gestellt. Da muss man sich eben beim Lesen ein bisschen konzentrieren.
Das Gespräch führte Frank Jenschar.