SWR1: "Extremwetterereignis", "Chat GPT" oder "Fleischersatz", diese Wörter stehen jetzt im neuen Duden. Wer wählt eigentlich aus und nach welchen Maßstäben?
Kathrin Kunkel-Razum: Eigentlich wählt die gesamte Sprachgemeinschaft aus, denn wir wählen aus den Wörtern aus, die wir alle häufig benutzen.
SWR1: Das heißt, der Duden-Verlag bildet im Grunde Trends ab?
Kunkel-Razum: So kann man das sagen, gut auf den Punkt gebracht!
SWR1: Die maßgebende Instanz für Veränderungen in der deutschen Sprache ist ja der "Rat für deutsche Rechtschreibung", der das amtliche Regelwerk veröffentlicht. Der Duden hat aber die Trends. Werden dann auch Einträge wieder herausgenommen? Was fliegt zum Beispiel jetzt raus?
Kunkel-Razum: Das muss man sauber voneinander trennen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung beschäftigt sich, das sagt der Name, mit Rechtschreibung. Er sagt zum Beispiel, dass Thunfisch immer mit "h" geschrieben werden muss und schmeißt die Variante ohne "h" raus.
Wenn es aber um neue Wörter geht, sowas wie "Distanzunterricht", "Impfskepsis", oder "Erdüberlastungstag", dann agiert die Duden-Redaktion und entscheidet, was aufgenommen wird.
SWR1: Wer schmeißt Wörter raus, oder bleiben immer alle im Gesamtwerk stehen?
Kunkel-Razum: Nein, es bleiben nicht immer alle drin stehen. Über die Schreibvarianten, zum Beispiel Thunfisch ohne "h", entscheidet der Rat. Über sonstige Streichungen, also zum Beispiel, dass der "Wellensalat" oder sich "vertwittern" rausgefallen sind, das entscheidet die Duden-Redaktion.
SWR1: Wie schwer ist es, was rauszuwerfen?
Kunkel-Razum: Aus unserer Sicht ist es häufig deutlich schwieriger, etwas rauszuwerfen, als etwas neu aufzunehmen. Wir trennen uns nicht so gern von Wörtern. Aber der Duden kann auch nicht unendlich viel dicker werden und insofern müssen wir diesen Abschiedsschmerz manchmal auch ein bisschen leben.
SWR1: Man könnte ihn ja auch digital rausgeben, dann wird er gar nicht dicker und Speicherplatz haben wir ja genug.
Kunkel-Razum: Es gibt ja Duden-Online, […] aber das gebundene Buch hat tatsächlich auch seine Vorteile. Wir sehen viel deutlicher als online das Umfeld eines Wortes. Was steht davor, was steht danach. Wir sehen die Einordnung ins Alphabet deutlicher und so weiter.
SWR1: Passiert es denn auch, dass Wörter rausfliegen, die dann wieder reingenommen werden oder umgekehrt?
Kunkel-Razum: Das passiert tatsächlich auch, allerdings wirklich sehr selten. Ein historisches Beispiel ist das "Automatenrestaurant". Das war schon mal draußen, kam dann wieder rein. Aber es gibt auch ein ganz aktuelles, und das ist der "Hackenporsche". Den haben wir 2020 gestrichen und 2024 jetzt wieder neu aufgenommen.
"Pfälzisch – Alla Hopp un Uffbasse" | Dialektduden
SWR1: Was ist ein "Hackenporsche"?
Kunkel-Razum: Beim "Hakenporsche" handelt es sich um diese Einkaufswagen, die man hinter sich herzieht.
SWR1: Welches Wort würden Sie denn gerne aufnehmen, wenn Sie alleine entscheiden könnten?
Kunkel-Razum: Das ist jetzt eine wirklich schwierige Frage, denn ich fand mich schon gut bedient mit den Wörtern, die wir jetzt aufgenommen haben. Dazu gehören beispielsweise die "Plauderlaune", in der wir beide uns ja jetzt gerade befinden, oder das schweizerische Wort, die "Badi". Sich jetzt im Sommer vorzustellen, dass wir jetzt in die Badeanstalt gehen, ist doch sehr schön.
SWR1: Kann man denn selbst Wörter für den Duden vorschlagen?
Kunkel-Razum: Das kann man auf jeden Fall machen. […] Man schickt es uns oder man ruft uns an oder stellt es durch. Aber wir prüfen das natürlich, ob es den Kriterien für die Aufnahme standhält, also häufig vorkommt, in verschiedenen Technologien vorkommt und auch über einen längeren Zeitraum.
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SWR1: Es gibt auch wieder Änderungen in der Rechtschreibung, was kommt da auf uns zu?
Kunkel-Razum: Es kommt das Komma vor dem erweiterten Infinitiv verpflichtend wieder zurück. In dem Satz, "Sie weigert sich, uns zu helfen," muss das Komma jetzt wieder gesetzt werden.
SWR1: Warum wird sowas wieder zurückgedreht?
Kunkel-Razum: Der Rat für deutsche Rechtschreibung verfolgt ja, wie sich Rechtschreibung entwickelt. Er macht also Schreibbeobachtung, und man sieht ganz schön zum Beispiel an diesen Schreibvarianten, dass bestimmte davon, wie Thunfisch oder Spaghetti ohne "h", einfach nicht angenommen worden sind, von der Sprach- oder Schreibgemeinschaft.
Deshalb trennt man sich dann auch wieder davon. Beim Komma ist es eben so, dass man doch erkannt hat, dass es als Gliederungssignal fürs Lesen sehr hilfreich ist. Deshalb soll es jetzt wieder gesetzt werden.
Das Gespräch führte Michael Lueg.