Müssen wir alle mehr arbeiten?

Fachkräftemangel in Deutschland

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Michael Lueg
SWR1-Moderator Michael Lueg
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Während manche Betriebe die Vier-Tage-Woche einführen, sagt Michael Hüther vom Institut der Deutschen Wirtschaft im SWR1 Interview: Wegen des Fachkräftemangels müssen wir mehr arbeiten.

SWR1: Wer sollte länger arbeiten? Leistungsträger, die schon länger im Job sind oder diejenigen, die jetzt gerade in ihr Berufsleben starten?

Michael Hüther: Eigentlich alle. Wir haben ein generelles Problem, da wir durch die geringen Geburtenraten immer weniger Menschen verfügbar haben. Bis Ende des Jahrzehnts sind wir rund drei Millionen Menschen weniger.

Gleichzeitig haben wir unheimlich viel zu tun. Die Transformation zur Klimaneutralität, die vielen Themen im Bereich der sozialen Dienstleistungen, Pflegealter der Gesellschaft. Und all das führt auch zu der Frage, wie wir mit der Arbeitszeit umgehen. Und deswegen es ist eine generelle Frage.

In Deutschland arbeitet ein Vollzeit-Erwerbstätiger knapp 300 Stunden im Jahr weniger als in der Schweiz.

SWR1: Die meisten Arbeitnehmer klagen aktuell über zu viel Arbeitslast. Auch die Firmen entschuldigen sich damit, wenn irgendetwas nicht läuft. Wie soll noch mehr Arbeit ohne mehr Personal gehen?

Hüther: Das Klagen hat damit zu tun, dass wir jetzt schon einen Arbeitskräftemangel haben, der weit über den Fachkräftemangel hinausgeht, den wir öffentlich diskutieren. Und wir müssen auch mal der Frage nachgehen, warum das so selbstverständlich ist, dass in Deutschland ein Vollzeit-Erwerbstätiger knapp 300 Stunden im Jahr weniger arbeitet als jemand in der Schweiz und in Schweden.

Transformation durch Wandel

SWR1: Was sagen Sie zum Beispiel der Generation, die jetzt auf den Arbeitsmarkt strömt? Die Generation, die sehr darauf achtet, nicht zu viel zu arbeiten, der Work-Life-Balance wichtig ist und die sich nicht versucht an den Job anzupassen, sondern eher umgekehrt.

Hüther: Das ist die gleiche Generation, die diese Transformation zur Klimaneutralität möchte. Die Transformation geschieht aber nicht von selbst und die geschieht auch nicht durch "Abstellen". Sondern die geschieht dadurch, dass wir einen Beitrag für die Welt leisten und zeigen, wie es geht – durch klugen industriellen Wandel, durch eine Transformation unserer Produktion und der Gesellschaft.

Fachkräftemangel: Ist Zuwanderung die Lösung?

SWR1: Gegen den Fachkräftemangel schlägt die Wirtschaftsweise Schnitzer mehr Zuwanderung vor: 1,5 Millionen Menschen pro Jahr. Mit 1,4 Millionen Zuzügen 2022 haben wir das ja fast geschafft. Also warum mehr arbeiten?

Hüther: Erstens finde ich die Vorstellung grundsätzlich falsch. Zuwanderung ist ein wichtiger Ansatz. Und es ist ja auch gut für eine offene Gesellschaft. Aber Zuwanderung und Abwanderung geht immer Hand in Hand. Wenn wir 200.000 Menschen als Netto-Zuwanderung pro Jahr haben, heißt das: 800.000 Menschen kommen, 600.000 gehen.

1,5 Millionen Menschen – was soll das also bedeuten? Brutto? Netto? Das ist alles nicht richtig ausgeführt. Das ist ein bisschen neokolonialistisch: Das, was wir nicht machen wollen, kann ein anderer für uns tun. Da wäre ich doch ein bisschen ehrlicher und sage: Wir können selbst auch etwas tun. Der Vergleich mit der Schweiz und Schweden ist jetzt nicht so erschreckend.

Kritik am Modell der Vier-Tage-Woche

SWR1: Sie bezeichnen das Thema Vier-Tage-Woche als unrealistischen Traum. Bei uns hatten sich einige Betriebe aus Rheinland-Pfalz gemeldet, die sagen, das funktioniert ganz gut. Und eine Studie in Großbritannien sagt, Produktivität und Motivation seien sogar besser. Warum also nicht so eine Vier-Tage-Woche?

Hüther: Weil die empirischen Grundlagen dafür gar nicht da sind. Die Studie, die immer wieder erwähnt wird aus Großbritannien, ist keine ernsthaft heranzuziehende. Denn am Anfang wurde gefragt: Welche Unternehmen sind an einer Verkürzung der Arbeitszeit mit vier Tage-Woche interessiert? Die haben sich dann gemeldet und die wurden befragt. Es war auch überwiegend Dienstleistungsindustrie.

Aber wenn es richtig ist, dass ich zwanzig Prozent Arbeitszeit weniger habe und ich die Produktivität um zwanzig Prozent erhöhe, dann habe ich nur 100 Prozent von vorher erreicht und nicht mehr. Ich habe noch keine Kompensation geschafft. Und dass es Produktivitätssprünge von 20 Prozent gibt, ist historisch in Extremsituationen darstellbar, nach Nachkriegssituationen, wenn Stillstand war. Aber nicht als normaler Prozess, das ist völlig unrealistisch.

Das Interview führte SWR1-Moderator Michael Lueg.

Mehr Informationen

Michael Hüther beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln

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