"Es war ein außerkörperliches Bewusstein jenseits von Raum und Zeit." So beschreibt Christine aus Ulm ihre Nahtoderfahrung. Wie dieses Erlebnis ihr Leben und das Verhältnis zum Sterben verändert hat, verrät sie im SWR1 Neuanfang.
Christine Brekenfeld aus Ulm ist hochschwanger, als sich ihre Plazenta ablöst. Die Blutung ist so stark, das Christine daran fast stirbt. Mehr als 20 Jahre später noch erzählt sie, dass dieses Nahtoderlebnis sie persönlich und spirituell bereichert hat.
Die Nahtoderfahrung prägt das Leben von Christine
Seither geht sie viel bewusster durch die Welt, lebt und liebt intensiver und sagt, dass die Angst aus ihrem Alltag komplett verschwunden ist: die Angst vor dem Sterben genauso wie die Angst vor dem Leben.
Christine wohnt und arbeitet nur einen kleinen Spaziergang entfernt vom Ulmer Münster, im malerischen Fischerviertel. Viel Historie, viel Fachwerk und ganz viel Wasser. Wasser, sagt Christine, ist eine Kraftquelle für sie – auch die Donau, gleich um die Ecke: "alles im Fluss", lächelt die heute 57-Jährige.
Nach der Begegnung mit dem Tod: Ausbildung zur Traumatherapeutin
Christine Brekenfeld hat sich zur Traumatherapeutin ausbilden lassen - sie konnte damals nicht einfach so weiter machen, als wäre nichts gewesen: "persönlich nicht und beruflich auch nicht". Also raus aus der festen Stelle an einer Berliner Uni und rein in die selbstständige, therapeutische Arbeit mit Menschen.
Seit dem Nahtoderlebnis: kein Wälzen von Sorgen & Ängsten mehr
Geändert hat sich auch ihre Einstellung - materialistisch sei sie gewesen. Die Partnerschaft, der Job, die Wohnung - sie habe geglaubt, alles im Griff zu haben. Fast 40 Jahre lang ist Christines Lebenskonzept aufgegangen. Effizient und schon auch eindimensional, sagt sie. Bis zu diesem 12. Juli im Jahr 2004, als sich ihre Placenta ablöste.
Es gelingt Christine noch, am Telefon einen Notruf abzusetzen. Rettungssanitäter rücken an, die Feuerwehr, ein Notarzt. Da habe sie immer noch geglaubt, dass sie alles kontrollieren und die Katastrophe aufhalten kann. Aber dann kommt der Moment, in dem sie merkt, dass das nicht geht. Sie lässt los:
Fühlt sich so der Weg ins Jenseits an?
Ihren Körper hat sie von außen gesehen, wie er in die Klinik transportiert wurde. Sie hört sogar, dass jemand sagt, dass es keine Herztöne vom Kind der Schwangeren mehr gebe. Alles sei ganz friedlich gewesen, sie habe immer das Gefühl gehabt, "es ist alles gut".
Mit einer Notoperation können die Ärzte Christine retten. Ihr Baby hat nicht überlebt. Bis heute empfindet sie ihren Sohn Frederik als Wegbegleiter. Ins Hier und Jetzt ist sie ohne seine körperliche Nähe zurückgekehrt – und das war ganz schön schwer und widersprüchlich, sagt Christine.
Wissenschaftler: Erfahrungsberichte vom Nahtod ähneln sich
Etwa drei Millionen Menschen in Deutschland berichten von ähnlichen Erfahrungen. Das Verlassen des Körpers, Farb- und Lichterscheinungen, die Begegnung mit göttlichen Wesen oder Verstorbenen. Christine hatte solche Begegnungen nicht. Aber auch sie berichtet von einem faszinierenden Licht - dunkel-orange und golden - und, dass sie sich unendlich frei und geborgen zugleich gefühlt hat.
"Wir sollten über Leben und Tod neu nachdenken", regen Mediziner an, die zu Nahtoderfahrungen forschen. Der niederländische Kardiologe Pim van Lommel beispielsweise ist überzeugt, dass menschliches Bewusstsein nicht zwangsläufig an einen funktionierenden Körper oder gar zentral an das Gehirn gebunden ist.
Die Mehrheit der Wissenschaftler sieht das aber anders: Das sterbende Gehirn - so deren Erklärung - schenkt seinem Besitzer zum Abschied noch einmal phantastische Erlebnisse. Ein Feuerwerk, produziert unter Sauerstoffmangel.
Die Begegnung mit dem Sterben hat Christine verändert
In das "Ja, aber" der Wissenschaftler mag sich Christine nicht groß einmischen. Für sie ist die Nahtoderfahrung ein Gewinn. Sie konnte sich persönlich und spirituell entwickeln, sagt sie, ist neugierig geworden - und geblieben: auf das, was hinter der Grenze unserer erlernten Wahrnehmung noch alles liegen könnte.
Das hat ihr geholfen, unaufgeregt auf diese Nahtod-Erfahrung zu schauen – eine Befreiung. Und vielleicht der erste Schritt hin zu ihrem neuen Beruf - ihrer Berufung - Menschen zu stärken: als Traumatherpeutin und als spirituelle Begleiterin.