Eigentlich war Michael Hartung kein Held, kein Widerstandskämpfer in der DDR. Aber gegen Geld schreibt er die Geschichte um - und gerät in eine folgenschwere Zwickmühle.
DDR und BRD: 30 Jahre Mauerfall
Es ist das Jahr 2019, die Feierlichkeiten zu 30 Jahre Mauerfall stehen an. Wir befinden uns in einer Videothek bei Michael Hartung, ein Mann aus dem Osten, der immer wieder neu anfangen musste, weil der Fortschritt ihn eingeholt hatte. Auch jetzt steht die Miete für die Videothek an - ein Geschäftsmodell, das sich in Netflix- und YouTube-Zeiten nicht wirklich halten lässt. Als der Journalist Alexander Landmann bei ihm auftaucht und ihm unterstellt, seine Lebensgeschichte sei ein deutsches Vermächtnis, begreift Michael Hartung zunächst gar nicht, was er von ihm will. Hatte er doch damals als Angestellter bei der Reichsbahn den Bolzen der Weiche versehentlich abgeschlagen und so 127 Menschen völlig unbeabsichtigt über den Bahnhof Friedrichstrasse den Weg in den Westen bereitet.
Hohenschönhausen, Folter und Stasi - ein neuer Held entsteht
Wie kommt Landmann also darauf, dass er seine Bescheidenheit und Zurückhaltung verstehe, aber nach 30 Jahren wäre es doch wichtig, die ganze Geschichte zu erzählen. Schließlich sei er ja in Hohenschönhausen gewesen und dort gefoltert worden wie es in den Akten stehe und er sei ein wahrer Held! Und nun eben an der Zeit, darüber zu reden. Dafür wolle Landmann ihn auch gut bezahlen. Und plötzlich sieht sich Michael Hartung dabei zu, wie er die Geschichte neu schreibt, wie er sich selbst in ein neues Licht rückt. Und wie ein Held entsteht, der von Presse und Öffentlichkeit gefeiert wird.
Mehr und mehr verstrickt sich Hartung in dem, was Alexander Landmann über ihn geschrieben hat. Es bringt ihm Geld und Aufmerksamkeit und eine Begegnung mit einer Frau, die damals im Zug in den Westen saß, Paula. Zwischen ihnen entwickelt sich mehr. Doch Paula ist misstrauisch und als Hartung zum Jahrestag des Mauerfalls eine Rede im Bundestag halten soll, steht er vor einer folgenschweren Entscheidung.
Maxim Leo hält Deutschland den Spiegel vor
Maxim Leo hält dem Leser den Spiegel vor, mit all den Klischees über den Osten, die sich auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch halten. Es ist eine Polit- und Mediensatire, die mich manchmal an Schtonk oder auch Claas Relotius erinnert hat: Schlagzeilen um jeden Preis, Aufmerksamkeit und Geld.
Hätte es so einen Helden wie Michael Hartung gegeben, seine Vermarktung wäre wahrscheinlich genauso abgelaufen wie es Maxim Leo beschreibt. “Der Held vom Bahnhof Friedrichstrasse“ ist absolut lesenswert.