Zwei Frauen sprechen in einem leeren Stadion miteinander.

Sexualisierte Gewalt im Stadion

Schutzkonzepte von Bundesligaclubs versagen oft

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VOLLBILD

Frauen im Stadion können sich oft nicht sicher fühlen. Recherchen des SWR-Investigativformats VOLLBILD zeigen: Die Bundesliga-Clubs tun bisher nicht genug, um weibliche Fans vor Übergriffen zu schützen.

Hunderttausende Menschen in Deutschland gehen regelmäßig ins Fußballstadion. 40 Prozent der deutschen Fußballfans sind laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach mittlerweile Frauen. Doch wie sicher sind Frauen in Fußballstadien? Eine Umfrage des SWR-Investigativformats VOLLBILD liefert dazu neue Zahlen. Mehr als 2.500 Menschen nahmen an der nicht-repräsentativen Befragung teil, die auch auf den Social-Media-Kanälen der ARD-Sportschau und von SWR Sport geteilt wurden. Nahezu alle Teilnehmer erklärten, zumindest unregelmäßig ins Stadion zu gehen. Das Ergebnis: Fast jede vierte Frau gab an, mindestens einmal einen sexualisierten Übergriff in Fanzonen erlebt zu haben. Bei den Männern waren es rund ein Prozent. Fast die Hälfte der Teilnehmer waren Frauen.

VOLLBILD sprach mit betroffenen Frauen

Betroffene berichten VOLLBILD von den unterschiedlichen Arten sexualisierter Übergriffe. Vom "Popo-Klatscher", über Anpinkeln, bis hin zu Fällen von K.o.-Tropfen. Eine Umfrage-Teilnehmerin schreibt: "Ich habe im Stadion K.o.-Tropfen ins Bier bekommen. Die Anzeige, die ich erstattet habe, wurde eingestellt. Der Verein hat auf meine Mitteilung dazu nie reagiert." Diese Fälle häufen sich in den vergangenen Monaten. So machten unter anderem Eintracht Frankfurt, Werder Bremen und der FC St. Pauli Fälle von K.o.-Tropfen in ihren Stadien öffentlich.

Es gibt ein weiteres Phänomen, das in letzter Zeit häufiger beobachtet wird. Von diesem berichtet Elena Müller, Projektleiterin Meldestelle für Diskriminierung im Fußball mit Sitz in Bochum: "Was ich super niederträchtig und krass finde ist, dass Frauen in Kurven anuriniert werden. Und wenn Frauen sich dann umdrehen und sagen: ‚Ey, geht‘s noch, was soll das?‘ wird man gefragt, ob man ihn noch mal rausholen soll".

 

VOLLBILD hat mit Frauen gesprochen, die im Stadion sexuell belästigt worden sind. Cosima Müller, Fan des 1. FC Nürnberg, sagt, sie sei beim Platzsturm in der Saison 2021/22 bedrängt und angefasst worden. Müller, die selbst einmal Stadionsprecherin in Ansbach war, sagt: "Dann habe ich plötzlich eine Hand an meinem Hintern gespürt. (...) Und dann weiß ich nicht, sind mir einfach nur die Tränen gekommen und ich war dann sehr überfordert in dem Moment". Sie zeigt die Tat am selben Tag bei der Polizei an.

Es kommt zum sogenannten "Stadion-Grabscher-Prozess". Die Richterin hielt Müllers Aussagen für glaubwürdig, der angeklagte Mann wurde freigesprochen, da er nicht als Täter identifiziert werden konnte. Vom sexualisierten Übergriff lässt sich Müller nicht einschüchtern. Sie sagt: "Ich gehe, seit ich ein Kind bin, ins Stadion. Ich hatte diesen einen Vorfall, der wirklich nicht schön war, aber ich möchte mir davon meine Liebe zu dem Sport nicht nehmen lassen und bin deswegen auch weiter ins Stadion gegangen."

Anders sieht es bei Mareike aus, die anonym bleiben möchte. Sie erzählt im VOLLBILD-Interview, wie sie im Stadion während der Halbzeitpause am Getränkestand bedrängt und belästigt worden sei. In der Schlange habe sich ein Mann über längere Zeit an sie gedrängt. Sie sagt, dass er "ganz bewusst seinen Penis von hinten an mich drücken möchte und dass das auf keinen Fall ein Versehen ist." Sie verbinde Fußball mittlerweile mit "betrunkenen, übergriffigen Männern und nicht mit einem Ort, an dem ich Spaß haben möchte und mit Freunden Zeit verbringen möchte."

Vorfall in Fanzug war Initialzündung für Gründung von Anlaufstellen

Die meisten Vereine der ersten und zweiten Bundesliga haben sogenannte Anlaufstellen, an die sich Frauen diskret wenden können, wenn sie im Stadion einen sexualisierten Übergriff erlebt haben. Initialzündung für die Gründung solcher Anlaufstellen war ein Vorfall in einem Fanzug von Mönchengladbach im Jahr 2018. Eine Frau warf einem betrunkenen Fan vor, er habe sie vergewaltigt. Anschließend kam es zu einem Prozess, in dem der Angeklagte in erster Instanz wegen Vergewaltigung verurteilt, in zweiter Instanz freigesprochen wurde, da ihm die Tat nicht nachgewiesen werden konnte. Der Prozess sorgte für großes Aufsehen und ging wie ein Ruck durch die Fußballszene.

Doch was ist seither bei den Bundesligisten passiert? Nach VOLLBILD-Recherchen haben 13 von 36 Erst- und Zweitligisten der Saison 2023/24 noch immer keine Anlaufstelle etabliert. Damit konfrontiert antworteten nur sechs der angefragten Vereine. Sie verwiesen darauf, dass eine Anlaufstelle im Aufbau sei oder dass sie andere Maßnahmen einsetzten.

Ein Nachweis für Initiativen gegen Diskriminierung ist Teil der Lizenzbedingungen der Deutschen Fußballliga (DFL). Dabei handelt es sich allerdings um eine sogenannte C-Kategorie, das heißt, eine Nichterfüllung hat für die Vereine keine Konsequenzen. Auf Anfrage, warum die Bekämpfung von Diskriminierung immer noch freiwillig sei, teilte die DFL mit, sie wolle den Clubs die Möglichkeit geben, "ihre Strukturen fortlaufend und zukunftsgerichtet auf- und auszubauen".

VOLLBILD testete stichprobenartig Anlaufstellen im deutschen Profi-Fußball

Um herauszufinden, ob die bestehenden Anlaufstellen der Bundesligisten funktionieren, hat VOLLBILD die Konzepte von Hertha BSC, Hansa Rostock und dem 1. FC Magdeburg in den Fußball-Stadien stichprobenartig getestet. Während beim 1. FC Magdeburg, bei dem sich die Meldestelle nach eigenen Angaben noch im Aufbau befindet, das System gut funktioniert hat, versagten im Test sowohl die Systeme beim Hansa Rostock, als auch bei Hertha BSC im Olympiastadion.

Hansa Rostock verspricht auf seiner Webseite, dass Betroffene sich mit dem Codewort "Möwe Emma" an Ordner wenden können. "Wir bieten dir dann einen sicheren Rückzugsort und helfen dir, diskret und direkt – auch ohne Rückfragen zu stellen". Im Ostseestadion konnte der Undercover-Reporterin jedoch kein Rückzugsort zur Verfügung gestellt werden. Außerdem wusste nur einer der beiden getesteten Ordner mit dem Codewort etwas anzufangen. Im Falle eines Übergriffs wäre die Betroffene allein geblieben. Hansa Rostock ging auf eine Anfrage von VOLLBILD nicht genauer ein und teilte mit: "Die Erreichbarkeit einer weiblichen Kontaktperson muss zwingend gegeben und verbessert werden."

Im Olympiastadion wussten zwei von vier in der Stichprobe getesteten Ordnern mit dem Codewort ‚Wo ist Lotte?‘ nichts anzufangen. Das Codewort, das im Stadion großflächig plakatiert wird, soll auf die Anlaufstelle aufmerksam machen. Betroffene sexualisierter Gewalt können sich mit diesem Codewort unter anderem an Ordner wenden. Ihnen soll dann eine Rückzugmöglichkeit, ein Ruheraum und eine Ansprechpartnerin geboten werden. Einer der getesteten Ordner fragte die Reporterin stattdessen, ob sie etwas zum Rauchen brauche. Eine Verantwortliche von Hertha BSC stellte sich im Interview und gab Defizite zu: "Ziel ist, dass irgendwann alle wissen, dass es ‚Wo ist Lotte‘ gibt. Zwei von vier Ordnern ist auf jeden Fall noch verbesserungswürdig."

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