Oberliga Rheinland-Pfalz - die TuS Koblenz ist zu Gast bei Viktoria Herxheim. Marcel Meinzer hat Herxheim per Foulelfmeter in der 35. Minute in Führung geschossen. Doch Dylan Akpess Esmel (47.) und André Mandt (75.) drehen das Spiel. Am Ende sehen die etwa 750 Zuschauer im Stadion am Krönungsbusch eine 1:2-Niederlage ihrer Mannschaft.
Auf den ersten Blick schien an diesem Mittwochabend (11.9.2024) alles normal. Doch im Hintergrund spielte sich etwas halbseidenes ab - etwas, das nicht wirklich illegal ist, aber etwas, das beide Teams unterbinden möchten. Denn auf den Oberliga-Kick zwischen Viktoria Herxheim und der TuS Koblenz haben internationale Wettfirmen einen Blick geworfen: "Wir wurden gestern darüber informiert, dass das Spiel bei zwei Plattformen für internationale Amateursport-Wetten platziert ist und haben kurz vor dem Spiel die Info bekommen, dass das Spiel weiterhin online ist", sagte Thomas Kempinger, Vorstandsmitglied bei Viktoria Herxheim, im Interview mit SWR Sport.
Kampf gegen internationale Wettanbieter
Die Info kam von Thomas Melchior aus Magdeburg. Der 45-Jährige war lange Zeit spielsüchtig, hat Haus, Hof und Familie verzockt und saß mehrere Jahre im Gefängnis, weil er versucht hatte, seine Wetten mit Betrügereien zu finanzieren. Melchior sagt, er habe seine Lektion gelernt und sich deswegen dem Kampf gegen diese Masche gewidmet, mit dem internationale Wettanbieter deutsche Gesetze aushebeln.
Melchior hat ein Auge auf diese Wettanbieter. Wann immer ein niedrigklassiges Spiel in den einschlägigen Portalen auftaucht, Quoten festgelegt sind und Wetten angeboten werden, informiert er die beteiligten Vereine. Denn das ist das erste Indiz, dass jemand vorbeikommt, um das Spiel zu beobachten.
Scouting für Livedaten und Livewetten
Damit überhaupt Quoten für Livewetten festgelegt werden können, braucht es einen Menschen vor Ort, der die Daten sammelt, auf deren Grundlage die Wettanbieter ihre Quoten festlegen können. Bei Herxheim gegen Koblenz haben sich die Quoten im Laufe des Abends sogar verändert, was darauf schließen lässt, dass tatsächlich jemand auf dieses Spiel gewettet hat. Wer? Das wissen nur die Wettanbieter. Wo? Das wissen ebenfalls nur die Wettanbieter.
Die Scouts, die das Spiel für die Wettanbieter beobachten, haben mit den Wetten nur am Rande zu tun. Aber es braucht sie, damit Livewetten überhaupt möglich sind. Der Mechanismus dahinter ist denkbar einfach: Die Scouts sind per App oder Headset mit einem Statistik-Dienstleister verbunden und senden permanent Daten: Spieler X passt zu Spieler Y. Spieler Z tritt ihm vors Schienbein, deswegen gibt einen Freistoß im linken Halbfeld. Der Statistikdienstleister nimmt die Daten auf, verarbeitet sie und verkauft sie an Wettanbieter, die darauf basierend ihre Wetten formulieren.
Den Vereinen bleibt bei Sportwetten nur das Hausrecht
Diese Scouts bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone: Sportwetten auf Amateurspiele sind in Deutschland illegal - international sind sie jedoch erlaubt. Durch diese Konstruktion können auch Deutsche Wetten auf Amateurspiele platzieren. In den meisten Fällen bekommen die Vereine davon gar nichts mit. Wenn doch, ist das Hausrecht die einzige Möglichkeit, den Scouts Einhalt zu gebieten. Viktoria Herxheim hatte daher auch die Polizei und die Ordner informiert.
SWR Sport war mit der Kamera vor Ort (siehe Video), konnte den Scout jedoch nicht ausfindig machen. Im Laufe des Spiels wurde die Livewetten-Funktion jedoch abgeschaltet. Das lässt darauf schließen, dass der Scout das Stadion irgendwann verlassen oder seine Arbeit eingestellt hat. Ist ihm der Job angesichts der vielen Polizisten und des Kamera-Teams im Stadion zu heiß geworden? Hatte er bloß Hunger oder einen Anschlusstermin? Das lässt sich nicht sagen.
Immer mehr Spiele sind Objekt von Sportwetten
Fest steht jedoch: Immer wieder werden Amateurspiele Objekt internationaler und in Deutschland illegaler Sportwetten. Das zeigt die ARD-Doku "Angriff auf den Amateurfußball · Die Gier der Wettindustrie" (in der ARD Mediathek). Die Rheinzeitung hatte ähnliche Fälle beim TuS Dietkirchen und den Eisbachtaler Sportfreunden recherchiert (Artikel hinter der Bezahlschranke).
Ergebnis-Wetten sind dabei nicht das größte Problem. Dabei legen sich die Wettenden einmal auf eine oder mehrere Optionen fest und müssen das Ende des Spiels abwarten. Das Problem sind die Mikro-Wetten während des Spiels: Wer begeht das nächste Foul? Wer bekommt die nächste Ecke? Bekommt die Nummer 10 in der Schlussviertelstunde noch eine gelbe Karte? Es gibt quasi nichts, auf dass man nicht wetten kann. Darin liegt das große Suchtpotenzial.
Gefahr von Spielmanipulationen
Das niedrigschwellige Angebot erhöht auch die Gefahr der Spielmanipulation. Schließlich müsste ein einzelner Spieler nicht sein gesamtes Team verraten, wenn er beim Stand vom 5:0 für die eigene Mannschaft wild über den Ball senst, weil er 300 Euro bekommt, wenn in den letzten fünf Minuten noch ein Tor für den Gegner fällt. Die Beispiele sind konstruiert. Tatsächlich gab es bei Herxheim gegen Koblenz keinerlei Verdacht auf derartige Eingriffe. Aber möglich wären sie.
Herxheim-Vorstand Kempinger nervt das: "Es soll ja eigentlich das Spiel im Vordergrund stehen", sagte er im Interview mit SWR Sport. "Aber das gehört dazu. Man merkt, das nimmt immer mehr überhand. Es muss raus aus dem Amateurfußball. Und wir stehen dahinter, dass wir jetzt konsequenter eingreifen und sagen: 'Hier gehört es nicht hin!'"