Antonio Rüdiger jubelt

Fußball | Meinung

Antonio Rüdiger: Vom Risikofaktor beim VfB zum Weltstar bei Real Madrid

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Martin Maibücher

Antonio Rüdiger greift am Samstagabend nach seinem zweiten Titel in der Champions League. Er gehört zu den besten Verteidigern der Welt und hat damit viele Zweifler Lügen gestraft, sagt SWR-Sportreporter Martin Maibücher.

Zugegeben: Ich gehörte zu den Zweiflern. Zu denen, die sich Anfang der 2010er Jahre nicht haben vorstellen können, dass Antonio Rüdiger mal zur Elite im Weltfußball gehören wird. Genau dort ist der heute 31-Jährige längst angekommen. Eine überaus bemerkenswerte Entwicklung.

Die Anfänge beim VfB Stuttgart

Als Antonio Rüdiger im Januar 2012 sein Bundesliga-Debüt für den VfB Stuttgart feierte, war er 18 Jahre jung. Es sollte für viele Monate der einzige Einsatz im Fußball-Oberhaus für den jungen Verteidiger bleiben. Erst Ende des Jahres 2012 bekam Rüdiger wieder Spielzeit in der Bundesliga und erkämpfte sich über Kurz-Auftritte einen Stammplatz für große Teile der Rückrunde der Saison 2012/2013. In der folgenden Spielzeit war er dann gesetzt, sowohl unter Trainer Thomas Schneider als auch unter Feuerwehrmann Huub Stevens.

Ich habe die Spiele des VfB Stuttgart intensiv verfolgt und staunte über die Auftritte des Abwehr-Talents. Im Positiven wie im Negativen. Er war schnell, beweglich, robust im Zweikampf. Aber er war auch regelmäßig ungestüm, ging mit hohem Risiko in Zweikämpfe und in der Spieleröffnung landeten mehr Bälle im Aus oder beim Gegner als bei den Mitspielern. So zumindest ist meine - sicherlich etwas zugespitzte - Erinnerung an die Aktionen des gebürtigen Berliners.

Antonio Rüdiger im Einsatz für den VfB Stuttgart im Jahr 2012
Antonio Rüdiger (l.) bei seinem Debüt für den VfB Stuttgart am 29. Januar 2012 gegen Borussia Mönchengladbach.

Schon damals war mir bewusst, dass Rüdiger noch jung und seine Entwicklung längst nicht abgeschlossen ist. Und es gab natürlich auch zahlreiche Spiele, in denen er gute Leistungen zeigte. Doch seine risikobehaftete Spielweise ließ mich zweifeln, ob er jemals den ganz großen Sprung schaffen kann. Dieses Gefühl wurde durch Undiszipliniertheiten verstärkt. Rüdiger kassierte im Mai und Oktober 2013 jeweils einen Platzverweis, jeweils glatt Rot, jeweils für eine Tätlichkeit.

Über Rom nach London

Als Antonio Rüdiger im August 2015 für eine Leihgebühr von vier Millionen Euro zur AS Rom wechselte und ein Jahr später für neun Millionen Euro fest verpflichtet wurde, hielt ich das für ein gutes Geschäft für den VfB Stuttgart. Zumal sich der Verteidiger 2016 einen Kreuzbandriss zuzog und nicht klar war, in welcher Verfassung er auf den Platz zurückkehren würde und ob das Knie in den folgenden Jahren zum Dauerproblem werden könnte.

Ich verlor die Entwicklung von Antonio Rüdiger zu dieser Zeit etwas aus den Augen und wurde erst wieder aufmerksam, als der FC Chelsea 2017 35 Millionen Euro für die Dienste des Abwehrspielers an die AS Rom zahlte. Eine stolze Summe, die für so manchen Beobachter sehr hoch schien, sich aus Sicht des FC Chelsea aber komplett lohnen sollte.

Antonio Rüdiger reift beim FC Chelsea zum Top-Verteidiger

Auf der Insel zeigte sich früh, dass Rüdiger nach seinem Abgang aus Stuttgart und seiner Zeit in der Serie A einen gewaltigen Leistungssprung gemacht hatte. Er bewies sich regelmäßig auf höchstem Niveau, stand in seinen ersten beiden Jahren in 60 von 76 möglichen Premier-League-Spielen auf dem Platz. Dazu kamen zahlreiche Einsätze auf internationalem Parkett.

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Und so musste auch ich zugeben, dass meine Zweifel aus Stuttgarter Zeiten keine Grundlage mehr hatten. Rüdiger überzeugte mit starken Leistungen, ungestüme oder gar undisziplinierte Aktionen gab es fast gar nicht mehr. Weder im Dress des FC Chelsea noch bei seinem aktuellen Club Real Madrid kassierte er einen Platzverweis. Also seit 2017. Als Innenverteidiger.

Titel, Titel, Titel?

Beim FC Chelsea begann Rüdiger auch, auf Vereinsebene Titel um Titel zu gewinnen. Englischer Pokalsieger 2018, Europa-League-Sieger 2019 und allen voran Champions-League-Sieger 2021. Mit Real Madrid gewann er den Spanischen Pokal 2023 und die Spanische Meisterschaft 2024. Dazu wurde er sowohl mit Chelsea als auch mit Real Madrid jeweils UEFA-Supercup-Sieger und FIFA-Klubweltmeister.

Antonio Rüdiger mit dem Champions-League-Pokal 2021
Mit dem FC Chelsea gewann Antonio Rüdiger 2021 die Champions League. Im Finale besiegten die Londoner Manchester City mit 1:0.

Sowohl die Titelsammlung als auch seine Leistungen für Chelsea und Madrid belegen, dass Antonio Rüdiger ein Verteidiger auf Welt-Niveau geworden ist. Kein Wunder, dass er auch für Bundestrainer Julian Nagelsmann eine zentrale Rolle spielt und bei der EM eine der wichtigen Stützen des deutschen Teams sein soll.

Erst Champions-League-Finale, dann Heim-EM

Am Samstagabend (ab 20:00 Uhr in SWR1 Stadion, Anstoß 21:00 Uhr) geht es für Antonio Rüdiger erneut um einen Titel. Im Finale der Champions League trifft er mit Real Madrid auf Borussia Dortmund. Es könnte nach 2021 der zweite Triumph in der Königsklasse werden für den 31-Jährigen. Und wer weiß, was danach bei der Heim-EM im Juni und Juli für das DFB-Team möglich ist?

Es könnte ein glorreicher Sommer werden für Antonio Rüdiger, der sich vom Risikofaktor beim VfB Stuttgart zum Weltstar bei Real Madrid entwickelt hat. Eine Entwicklung, die ihm viele nicht zugetraut hätten. Eine Entwicklung, die auch ich ihm nicht zugetraut habe. Heute kann ich sagen: Ich bin froh, dass ich mich mit meiner Einschätzung geirrt habe. Die Entwicklung von Antonio Rüdiger als Sportler und Mensch ist absolut bemerkenswert und verdient höchste Anerkennung. Meine hat er.

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Martin Maibücher