Eigentlich hatte Christian Streich den Job als Cheftrainer des SC Freiburg schon abgesagt. Mit Marcus Sorg als Coach und Streich als Co-Trainer standen die Breisgauer im Dezember 2011 auf dem letzten Tabellenplatz. Erstmals in der Vereinshistorie wurde dann ein Trainer des Sport-Clubs entlassen. Für Streich war er selbst eigentlich nicht der richtige Nachfolger: "Wir waren Letzter. Das ist indiskutabel. Und dann wirst du Cheftrainer, wenn du ein schlechter Co-Trainer bist. Das ist auch nicht gut. Also das ist nicht gut fürs Gefühl." Er hatte Angst. Vor der Verantwortung, vor der Konsequenz und davor, Schuld zu sein, wenn es nicht klappt.
Christian Streich - chancenlos ins Traineramt
Dass zu diesem Zeitpunkt schon niemand mehr an die Freiburger geglaubt hat, dass kein Druck da war, dass es nichts zu Verlieren gab, habe ihm geholfen, so Streich. Er ließ sich überreden. In seiner ersten Pressekonferenz trug er einen dicken Schal, weil er sich so "zerbrechlich" gefühlt habe. Der Rest ist Geschichte. Freiburg und Streich gelang der Klassenerhalt doch noch, zwölf weitere gemeinsame Spielzeiten voller Emotionen sollten folgen. Abstieg, direkter Wiederaufstieg, DFB-Pokalfinale und die Europa League. Christian Streich hat mit dem SC Freiburg all das und noch viel mehr erlebt.
Lieber Trainer als Spieler
Rückblickend sagt der fußballverrückte Streich, er sei "auf eine gewisse Art lieber Trainer gewesen als Spieler". Für Entscheidungen und auch Misserfolge gerade stehen zu müssen sei anspruchsvoll, sagt er. Aber er hat es gern getan. Es war sein Anspruch, Verantwortung zu tragen. "Und als Spieler war ich in den Bereichen, wo ich gerne gespielt hätte, einfach nicht gut genug und deshalb konnte ich nicht genug einwirken." Als Trainer wirkte Streich bisher "nur" in Freiburg und ist damit ein Sonderling im Fußball-Geschäft.
Ein normaler Bundesligatrainer wird im Schnitt nach 15 Monaten entlassen, so Streich. "Dann sind sie arbeitslos, dann kriegen sie irgendwo was wieder. Vielleicht in der Bundesliga, in der zweiten Liga." Familienmitglieder wären an einem Ort, die Trainer lebten monatelang allein in Hotelzimmern. All das hat Streich nie erlebt. "Also, ich habe da wahnsinnig Glück gehabt, war an einem Ort, habe aber dadurch aber auch gewisse Erfahrungen nicht gemacht. Das eine hat man, das andere hat man nicht."
Christian Streich: "Ich war nicht immer nett"
Was Streich definitiv hat, sind Emotionen während des Spiels. Bilder von ihm an der Seitenlinie versucht er sich allerdings nicht anzuschauen. "Ich war nicht immer nett", sagt er. Stolz wirkt er auf die ein oder andere Situation nicht, ist aber auch der Meinung, dass er aktiv daran gearbeitet hat, sich zurückzuhalten. "Es ist weniger geworden", so Streich. Vor den Spielen suchte er sogar das Gespräch mit dem vierten Offiziellen, damit der ihn frühzeitig einbremst. Aber ganz emotionslos ging es dann doch nicht für Streich: "Es ist nicht ideal, aber manchmal muss man als Trainer vorausgehen."
In Freiburg ging es immer nur gemeinsam
Auch wenn er das Gesicht des Vereins war, allein war Streich nie. "Das hat alles nur funktioniert, weil wir immer alles zusammen gemacht haben", beschreibt er die Arbeit mit seinem Trainerteam. Er habe nie Entscheidungen allein getroffen. "Ich glaube, das ist was ganz, ganz Besonderes. Das liegt aber in meinem Wesen, weil ich mir gar nicht zutraue, diese Dinge alleine zu gestalten und alleine zu entscheiden." Auch deshalb ist es für Streich aktuell schwierig, sich beispielsweise einen Job in einem anderen Verein vorzustellen, wo er die Menschen nicht jahrelang kennt.
Alles ist offen für Christian Streich
Was Christian Streich in der Zeit nach dem SC Freiburg macht, ist noch vollkommen offen, sagt er. Nach jahrelangem hohen Puls im Fußballgeschäft hofft er, dass der jetzt runter geht. Und er ist gespannt, wie es sich anfühlt, wie sich das Ende physisch und psychisch auswirkt. Die Entscheidung, so Streich, sei schwer gewesen. Aber er wollte den Zeitpunkt nicht verpassen, wollte nicht, dass andere ihm sagen müssen, wann es genug ist oder selbst handeln und ihn möglicherweise sogar entlassen. Der Fußball, so sagt er, verändert sich. Es werde anders gespielt und es brauche viel Zeit und Energie, um die Qualität zu halten. Für ihn der richtige Zeitpunkt, um zu gehen. "Und jetzt machen es andere und ich schau von außen drauf. Und das ist auch richtig."
Eine "große Befreiung" fühle er nicht, so Streich. "Weil ich überhaupt nicht weiß, was mit mir passiert. Arbeit ist erst mal keine Arbeit mehr. Ich kenne es ja nicht anders." Seine gewohnte Struktur war immer klar. "Montag dahin, Dienstag dahin. Und zwar ins Stadion, Arbeiten oder Auswärtsspiele oder Spiele. Oder ich spreche mit Spielern." All das ist jetzt vorbei und es wird spannend, wie es weitergeht. "Aber ich lasse es offen, weil ich jetzt gar nicht die Substanz habe, mir da Gedanke zu machen und weil es wahrscheinlich dann eh anders kommt."
Vieles wird anders - für Streich und auch für die Bundesliga. Ein Gesicht, ein Charakter, ein Lautsprecher fehlt jetzt. Aber vielleicht kommt Christian Streich ja doch irgendwann irgendwie zurück.