Wenn eine Eizelle und ein Spermium verschmelzen, ist die Sache beschlossen: Ein Embryo entsteht, neun Monate später kommt ein Kind auf die Welt. Könnte man meinen. Doch weit gefehlt: Die menschliche Fortpflanzung ist erstaunlich ineffizient. 60 Prozent der Schwangerschaften gehen bereits in den ersten zwei Wochen nach der Befruchtung verloren, oft bekommen die Frauen gar nichts davon mit. Aber wieso ist das so?
Über die embryonale Entwicklung beim Menschen und so komplizierte Prozesse wie die Einnistung in der Gebärmutter wissen wir erstaunlich wenig. Das liegt auch daran, dass man vielerorts nicht oder kaum an menschlichen Embryonen forschen darf, zum Schutz des ungeborenen Kindes.
Regelrechtes Wettrennen in der Biomedizin
Vor wenigen Jahren hatten mehrere Forschungsgruppen gezeigt, dass sie in der Lage sind, künstliche Mäuse-Embryonen herzustellen. Dass sie nun versuchen würden, diese Technik auf menschliche Zellen zu übertragen, war klar. Die Frage war nur: Wem gelingt das als erstes?
Team um Entwicklungsbiologin Zernicka-Goetz gelingt menschliches Embryo-Modell aus Stammzellen
Mitte Juni erklärte jetzt die US-amerikanische Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz auf einem Kongress in Boston, sie und ihr Team hätten genau das geschafft, sie hätten ein menschliches Embryonen-Modell, wie sie es nennen, künstlich hergestellt. Überprüfbare Daten gab es da noch nicht, doch der Guardian berichtete darüber, die Aufregung war groß.
Israelisches Team folgt wenige Tage später
Nur wenige Tage später lud dann ein konkurrierendes Team aus Israel ähnliche Ergebnisse auf einem Preprintserver hoch, weitere internationale Gruppen folgten, schließlich veröffentlichte auch das amerikanische Team ihre Daten.
Auch wenn bisher keine der veröffentlichen Studien von unabhängigen Experten überprüft wurden, sprechen Fachleute von einem Durchbruch. Denn offenbar ist es mehreren Forschungsteams parallel gelungen, embryo-ähnliche Strukturen aus menschlichen Stammzellen herzustellen. Sie brauchten keine Eizelle, kein Spermium, keine Befruchtung. Das ist ein radikaler Wendepunkt, wie Fachleute sagen.
Normale menschliche Zellen werden zu Stammzellen werden zu künstlichem Embryo
Um ihr Embryo-Modell herzustellen, haben die Forschenden normale menschliche Zellen im Labor dazu gebracht, sich zurückzubilden, zu sogenannten Stammzellen. Das sind quasi Ausgangs-Zellen, aus ihnen können die verschiedensten Zelltypen entstehen. Und: Sie können im Labor dazu gebracht werden, einen Embryo zu bilden. Oder sich zumindest zu einem Gebilde zusammenzutun, dass einem echten menschlichen Embryo im Alter von 13/14 Tagen stark ähnelt.
Und hier wird es für die Wissenschaft spannend und ethisch kniffelig: Denn bei einer Schwangerschaft wäre der Embryo bereits in der Gebärmutter eingenistet, die verschiedenen Zellschichten entstehen. Der Embryo wird zu diesem Zeitpunkt langsam vom Zellhaufen zum Baby.
Forschung an menschlichen Embryonen ist in Deutschland verboten
In Deutschland ist es verboten an Embryonen zu forschen. Jedoch entsteht laut Gesetz ein Embryo per Definition aus einer befruchteten Eizelle. Künstliche Embryonen aus Stammzellen wären also nicht verboten. Aber sind künstliche Embryonen weniger wert als solche, die durch eine Befruchtung entstanden sind? Müssen sie weniger geschützt werden? Darüber wird jetzt intensiv diskutiert.
Aktuell kann daraus kein lebensfähiges Baby entstehen
Unklar ist noch, wie weit sich diese künstlichen Embryonen-Modelle im Labor weiterentwickeln würden, wenn man sie denn lassen würde. Da sie bei der Entstehung einige Entwicklungsschritte eines natürlichen Embryos auslassen, könnten sie sich höchstwahrscheinlich nicht in einer Gebärmutter einnisten. Die vorgestellten Embryo-Modelle könnten also nicht von einer Frau ausgetragen werden, aus ihnen kann kein Kind entstehen. Zumindest aktuell.
Doch das Forschungsfeld hat Fahrt aufgenommen. Und damit auch die ethische Diskussion.