Die Bilder der Versuchsreihen in der Fachzeitschrift „Nature“ sind zum Staunen. Der künstliche Mäusenachwuchs hat sich 8,5 Tage lang entwickelt. Das ist eine verblüffend lange Zeit, denn eine komplette Schwangerschaft dauert bei Nagern nur rund 19 Tage.
Mäuseembryonen mit Kopf, Darmrohr, Neuralrohr und funktionsfähigem Herzen
Ein Stammzellforscher nannte das Ergebnis atemberaubend, ein anderer fand die Studie so bedeutsam wie die Geburt des Klonschafs Dolly. Anders als bei früheren Stammzellversuchen mit Mäusen ist die Entwicklung diesmal weitergegangen als je zuvor – die gezüchteten Embryonen haben einen Kopf, ein Darmrohr, ein funktionierendes Herz. Zudem haben sie das sogenannte Neuralrohr ausgebildet. Ein zentraler Schritt, denn daraus entstehen Hirn und Rückenmark.
Durchbruch in der Embryoforschung mit noch hoher Fehlerrate
Um das zu erreichen, haben Magdalena Zernicka-Goetz vom California Institute of Technology und Kollegen in Cambridge einen Mix aus drei Stammzelltypen kultiviert. Anschließend organisierten sich die unterschiedlichen Mäusezellen auf verblüffende Weise von selbst. Ohne Signale von außen und ohne eine Gebärmutter.
Das Verfahren unterliegt dennoch einer großen Fehlerquote. Bei lediglich ein bis zwei von 100 Versuchen gelang die Entwicklung im künstlichen Inkubator.
Bereits Anfang des Monats wurden Versuche israelischer Forscher im Fachblatt „Cell“ veröffentlicht. Hier ein Video vom Weizmann Institute of Science, wie die synthetischen Mausembryonen im Labor gezüchtet wurden:
Visionen für die Zukunft und ethische Fragen
Eine der Hoffnungen beim Züchten von Mäuseembryonen im Labor ist, dass der neue Ansatz den Bedarf an Versuchstieren reduzieren könnte. Doch das ist aufgrund der noch zu hohen Fehlerquote eher fraglich.
Andere Visionen gehen sehr viel weiter – und werfen gravierende Fragen auf: Könnte das, was bei Mäusen möglich ist, auch beim Menschen klappen? Und wenn ja – wollen wir das?
Synthetische Embryonen auch beim Menschen? - Einige Einschätzungen von Wissenschaftlern
Der Münsteraner Biomediziner Michele Boiani hält die Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen trotz enormer technischer Hürden für gut vorstellbar. Er sieht die Entwicklung mit Sorge und mahnt, der rechtliche Rahmen gerate schon jetzt ins Wanken.
Der Humangenetiker Malte Spielmann ist überzeugt, die Studie werde „weitreichende Konsequenzen für die moderne Wissenschaft haben“. Er hält es für möglich, dass einzelne Organe oder auch Blutzellen synthetisch gezüchtet werden können – ein möglicher Durchbruch der Transplantationsmedizin.
Der Neurowissenschaftler und Stammzellexperte Jesse Veenvliet hält synthetische Embryonen beim Menschen gleichfalls für möglich. Er erwartet sogar einen regelrechten Wettlauf auf dem Weg dahin. Aber er betont die fundamentalen Unterschiede zu echten Embryonen. Schon bei den Mausversuchen hätten sich Defekte gezeigt, die Embryonen blieben trotz aller Ähnlichkeit zum Original unvollkommen. Eine Lebendgeburt hält Veenvliet für ausgeschlossen.
Zusammenfassend ist die Forschung direkt an menschlichen Embryonen ethisch und praktisch bisher sehr schwierig. Dennoch ist man sich einig, dass die Diskussion um synthetische Embryonen gerade erst losgeht.