Gesundheitssystem

Das bringt die elektronische Patientenakte für die medizinische Forschung?

Stand
Das Interview führte
Christine Langer
Interview mit
Jens Scholz
Onlinefassung
Richard Kraft
Richard Kraft, Reporter für SWR Wissen Aktuell.

Am 15. Januar kommt die ePA - die elektronische Patientenakte. Sie soll die Behandlung und die medizinische Forschung vereinfachen.

Die ePA für alle soll viele Vorteile haben: Medikamentenplan immer dabei, Ärzte können Therapien besser abstimmen, Blutwerte oder Röntgenbilder sind hinterlegt und stehen dann schnell zur Verfügung. Aber es gibt auch Kritik beim Thema Datenschutz. Man kann der elektrischen Patientenakte allerdings auch widersprechen, wenn man nicht mitmachen will.

Welche Möglichkeiten bringt die ePA für die Forschung und welche Grenzen und Hürden gibt es dabei? Christine Langer im Gespräch mit Prof. Jens Scholz, Vorsitzender des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands

Christine Langer, SWR: Was verändert der Schritt zur ePA für alle, für die medizinische Forschung?

Jens Scholz: Bisher ist es so; wenn man seine medizinischen Daten haben will, dann kann man sich Kopien machen, kann von Arzt zu Arzt gehen, darum bitten, dass er das einem ausdruckt und dann kann man es zum nächsten Arzt oder Ärztin mitnehmen. Das ist unsere gegenwärtige Situation und dabei gehen natürlich viele Daten verloren.

Wir haben ja nicht nur Patientinnen und Patienten, die eine einfache Erkrankung haben, sondern auch chronisch Kranke, da gibt es sehr viele Befunde und wenn man die alle in einer File hat, dann ist es natürlich für die Therapie viel, viel besser, weil uns das auch ermöglicht, dass wir die Daten durchlaufen lassen durch Computersysteme und dann diese Daten auch schneller analysieren können.

KI kann durch Datenauswertung der ePA als Diagnosehilfe genutzt werden

SWR: Können Sie mal ein konkretes Beispiel dafür geben?

Scholz: Zum Beispiel Patienten, die eine seltene Erkrankung haben. Die haben in der Regel meterweise Akten, die sind von Arzt zu Arzt gegangen und häufig erst nach dem zwanzigsten Arztkontakt wird die richtige Diagnose der seltenen Erkrankung gestellt.

Das Ziel ist eigentlich, dass die verschiedenen Befunde, dass man die durchlaufen lässt über eine KI und die guckt, ob es Auffälligkeiten gibt, denn nicht jede Ärztin und jeder Arzt kennt jede seltene Erkrankung.

Wenn man eine KI benutzt, die diese Befunde dann miteinander kombiniert, dann denkt eben die KI schneller an die seltene Erkrankung und schlägt dann der Ärztin oder dem Arzt diese Diagnose vor. Das ist also ein Hilfsinstrument, was dann die Ärztin und den Arzt unterstützt.

Akten liegen in einer Arztpraxis auf einem Schreibtisch. Mitte Januar wird auf die elektronische Patientenakte - ePa - umgestellt.
Hohe Stapel von Patientenakten gehören bald der Vergangenheit an. Ab 15. Januar sollen alle Dokumente digital verfügbar sein.

Durch die ePA gesammelte Daten sollen in der Forschung genutzt werden

SWR: Das ist ja jetzt etwas, was den einzelnen Patienten betrifft, aber es wird auch immer gesagt, dass die erhobenen Daten auch die Forschung in Deutschland weiterbringen sollen. Was wäre denn da so ein Aspekt? Welche Daten könnten das beispielsweise sein?

Scholz: Der große Vorteil in Deutschland im Gegensatz zum Beispiel zu den USA ist, dass wir ja alle Patientinnen und Patienten unabhängig von ihrem Sozialstatus behandeln. Wenn diese ganzen Daten zusammengeführt werden, dann können wir diese nutzen für die Verfolgung und Analyse für wissenschaftliche Fragestellungen.

Wir sind ja heute häufig limitiert, dass wir nur die Daten haben von den Patientinnen und Patienten, die bei uns Krankenhaus sind. Aber je größer ein Datenpool ist, desto besser kann man ihn analysieren und desto eher findet man auch Auffälligkeiten, Muster, so dass man die Behandlung für die Patientinnen und Patienten am Ende auch verbessern kann.

Datensätze können personalisierte Erkenntnisse über Therapie-Erfolg liefern

SWR: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen, was diese vielen Daten bringen können? Wo bringen diese neue Erkenntnisse?

Scholz: Was wir ja wissen wollen, ist: Ist eine bestimmte Ernährung, ein bestimmter Lebensstil, eine Erhöhung des Blutzuckerwertes, die Behandlung von Fettstoffwechselstörungen, hilft das eigentlich oder hilft es nicht? Hilft es allen Patienten, hilft es nur bestimmten Patienten?

Mittlerweile ist es ja so, dass wir nicht nur die klassischen medizinischen Daten haben, sondern die genetischen Daten werden immer günstiger zum Durchführen. Das sind riesige, riesige Datenmengen, die dort vorhanden sind, und wir wollen eben die klassischen medizinischen Daten eben auch mit genetischen Daten kombinieren und dann zu neuen medizinischen Erkenntnissen kommen und zu besseren Behandlungswegen.

Nehmen sie das klassische Beispiel eines onkologischen Patienten, da kriegen nach bestimmten Schemata alle Patientinnen und Patienten heute eine bestimmte Chemotherapie. Bei einigen nützt sie, bei anderen hat man nur Nebenwirkungen.

Wenn wir jetzt diese Daten kombinieren können, zum Beispiel mit den genetischen Daten, und wir finden heraus, welche Patientinnen und Patienten profitieren von der onkologischen Behandlung und welche haben nur Nebenwirkungen, dann können wir viel gezielter und viel besser die Patientinnen und Patienten behandeln.

Verlässlichkeit der Daten für die Forschung fraglich

SWR: Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass die Daten, die in der ePA eingepflegt werden, dann auch verlässlich sind? Man kann ja als Patient widersprechen, ganz generell, oder man kann für einzelne Erkrankungen widersprechen und in der Forschung, bei Daten geht es ja immer darum, die müssen eigentlich möglichst gut sein und möglichst durchgängig und einheitlich. Was versprechen Sie sich da aus den Daten oder von den Daten aus der ePA?

Scholz: Ja, das ist noch komplizierter. Die Daten müssen auch strukturiert sein. Jedes Krankenhaus, jede Arztpraxis hat ein anderes System, das heißt die Daten werden ganz unterschiedlich eingespeist. Und wir brauchen jetzt Tools, die in der Lage sind, in der ePA so zu suchen, dass wir die strukturierten Daten auch so herausbekommen, diese korrekt sind und wir sie auswerten können.

Das wird nicht am ersten Tag der Einführung der ePA gelingen. Das heißt, der Fortschritt ist, wir haben jetzt diese Daten vorliegen und jetzt können wir in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass sie so gut und so strukturiert sind, dass wir die Fragestellung damit auch beantworten können.

ePA soll Gesundheitsdaten besser schützen

SWR: Mit KI und vielen Daten ist ja auch immer ein gewisser Vorbehalt verbunden. Wie sehen Sie das in Bezug auf die Sicherheit der Daten und diesen KI-Tools, die da zum Einsatz kommen werden?

Scholz: Na ich würde mal sagen, die ePA ist sicherer als alles, was wir heute haben. Wir müssen im Krankenhaus jeder Patientin und jedem Patienten, wenn er geht, alles, was er unterschrieben hat, worüber wir ihn aufgeklärt haben, mitgeben. Und wenn wir großes Pech haben, dann sagt er, was soll ich mit dem ganzen Papierkram, schmeißt er den in irgendeinen Papierkorb.

Und da ist natürlich so, wenn es elektronisch gespeichert ist, mit einem Zugangscode und man sich da große Mühe gibt, das so sicher zu machen wie ein Bankkonto und sie vertrauen ja auch ihr Geld einer Bank an. So können Sie sich jetzt vorstellen, dass die ePA diesen Anspruch auch hat, so sicher zu sein wie ein Bankkonto. Und dann sind die Daten sicherer als heute.

Gesicht mit Brille
Künstliche Intelligenz findet immer mehr Anwendung in der Medizin. Neben Bilderkennungshilfen soll KI jetzt auch zur Datenanalyse für die elektronische Patientenakte genutzt werden.

Elektronische Patientenakte ist schon europäischer Standard

SWR: Dennoch würden ja auch Daten verwendet werden müssen um solche KI-Anwendungen, wie sie wir sie brauchen, um sie zu analysieren, auch erstmal zu trainieren, richtig?

Scholz: Das ist absolut richtig und dafür haben wir ja Mechanismen. Also wir haben die Medizininformatik-Initiative und das Netzwerk Universitätsmedizin, da haben wir Datenintegrationszentren gebaut, so dass wir unsere aktuellen klinischen Daten anonymisieren können, so dass man dann eben Forschung machen kann ohne Rückverfolgung der Patientinnen und Patienten.

SWR: Die neue ePA, die wurde schon als Gamechanger bezeichnet. Weckt das vielleicht auch Erwartungen, die dann am Ende etwas überzogen sind?

Scholz: Ich würde mal sagen, wir bewegen uns endlich auf den europäischen Standard. Also wenn sie in andere europäische Länder gucken, die haben schon seit über zehn Jahren so etwas. Wir haben natürlich die Chance zu sagen, wie können wir jetzt aus den Erfahrungen der anderen europäischen Ländern lernen, dass wir diese Daten so zur Verfügung stellen können und so nutzen können, dass wir vielleicht besser sind als unsere europäischen Nachbarn. Dass wir das nachholen können, was wir in den letzten Jahrzehnten wirklich versäumt haben.

Wissenschaftliche Zeitschriften: The Lancet, Nature und Science mit einem Stethoskop
Die Zahl der klinischen Studien in Deutschland geht zurück. Doch die Hürden zur Durchführung sollen abgebaut werden, unter anderem durch die elektronische Patientenakte.

Weitere Maßnahmen zur Förderung klinischer Studien beschlossen

SWR: Es gibt ja aber tatsächlich auch Kritik. An überhöhte Erwartungen in Bezug auf die Forschung. Das hat zum Beispiel Jürgen Windeler kürzlich in einem Interview gesagt, der hat zwölf Jahre lang das IG Quick geleitet, also das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, und der sagt, Deutschland hat keine gute Kultur der klinischen Studien. Wie sehen Sie das?

Scholz: Das kann ich nur unterstützen. Deswegen gibt es ja auch zum Glück noch das zusätzliche Medizinforschungsgesetz, was auch noch verabschiedet worden ist.

Wir waren ja früher mal, nach den USA, das Land, wo die zweitmeisten klinischen Forschungen durchgeführt worden sind, mittlerweile auf Platz Sechs oder Acht in der Welt. Die klinischen Studien werden hier nicht mehr durchgeführt, weil wir so viele Hürden haben zum Durchführen von klinischen Studien, die wir abbauen wollten.

Dafür ist jetzt dieses Medizinforschungsgesetz gekommen und das hat dafür gesorgt, dass man eben nicht mehr alle 17 Ethikkommissionen in Deutschland befragen muss, sondern es reicht eine, dass wir Musterstandardverträge haben, dass wir eine bundeseinheitliche Kommission haben, die dann festlegt wie diese Studie durchgeführt wird, mit dem Ziel, dass die klinischen Studien wieder zurückkommen nach Deutschland und damit natürlich auch unsere Patientinnen und Patienten profitieren können von den neuesten medizinischen Fortschritten.

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